Fensterscheiben gingen schon zu Bruch. Sogar Altäre wurden beschädigt. Denn in Eschenlohe brach einst ein richtiger Wettkampf unter den Burschen aus, wer die längste Palmstange mit zum Gottesdienst brachte. Auch wenn heute die schwankenden Gebilde vor der Kirche abgestellt werden müssen, die alte Tradition lebt weiter – werden den Ruten doch magische Kräfte zugesprochen.
Palmsonntag ist in Eschenlohe eine wackelige Angelegenheit. Die Buben kommen an dem Tag richtig ins Schwitzen, denn sie müssen die gewaltigen Palmstangen zur Kirche schleppen. Palmstangen, Palmbüschel? Klar, die gehören auch in anderen bayerischen Gemeinden zum katholischen Brauchtum am Wochenende vor Ostern. Doch in Eschenlohe – das Dorf liegt im Norden des Landkreises Garmisch-Partenkirchen – sind diese Gebilde bis zu zehn Meter lang.
Kunstvolle Herstellung: Schnur und Draht sind tabu
Woher die Sache mit den riesigen Palmstangen in seiner Heimatgemeinde kommt, weiß Toni Mangold nicht mehr zu sagen. Er ist einer der Alten im Dorf, die diese Tradition über Jahrzehnte hinweg pflegen, auch zu einer Zeit, als das überlieferte Brauchtum ein wenig in Vergessenheit geraten war. Früher ist es in Eschenlohe, erinnert sich Mangold, ein richtiger Wettkampf gewesen, wer die längste Palmrute beim Gottesdienst dabei hatte. Die mussten natürlich selbst geschnitten worden sein. Heutzutage ist das anders: „Die Jungen finden draußen im Wald nichts mehr. Das müssen jetzt die Väter machen, wenn die sich auskennen.“ Der alte Herr findet es schade, dass die Kinder durch Fernsehen und Computer keinen richtigen Bezug mehr zur Natur haben, auch nicht auf dem Land. Die Zeiten haben sich eben geändert: „Als ich jung war, hatten alle Burschen ein Taschenmesser. Das ist nicht mehr gefragt, dafür besitzt jeder ein Handy.“
Die Herstellung der Palmstangen ist eine eigene Kunst. Die Basis dafür bildet eine dreispitzige Alzerbor-Gabel, wie die Traubenkirsche in Eschenlohe heißt. An diesen Ast werden Sträußerl aus Eiben und Palmkätzchen fest gezurrt. Dafür darf allerdings keine Schnur und kein Draht verwendet werden, am besten geht es mit gespaltenen Weidengerten. In einem nächsten Schritt kommen diese Buschen an die großen Haselnuss-Stecken. Diese wurden zuvor auf die Kraft des Kindes abgestimmt, denn die Gebilde müssen ja quer durchs Dorf getragen werden, ohne dass sie zu sehr ins Schwanken kommen. Damit es schöner aussieht, werden an der Spitze der Stange ein paar Frühlingsblumen angebunden.
Als Toni Mangold ein Kind war, ist es üblich gewesen, die Palmstangen nach der Weihe in die Pfarrkirche Sankt Clemens hineinzutragen. Dass war keine gute Idee. Gelegentlich gingen Fensterscheiben zu Bruch oder es wurden Altäre beschädigt. Einmal haben zwei Buben beim Aufrichten der Stangen nicht aufgepasst, und sind damit an den gewaltigen Leuchter im Kirchenschiff geschlagen. Den ganzen Gottesdienst über schaukelte der Lüster über den Köpfen der Betenden. Die Glaskristalle haben geklimpert und das Gebälk knarzte bedrohlich.
Inzwischen findet die Weihe zwar immer noch draußen am Brunnen statt, doch während der Messe werden die Palmstangen heute außen an die Kirchenwand gelehnt. Treffpunkt zur Weihe ist um neun Uhr am Dorfbrunnen. Danach zieht eine lange Prozession über die Loisachbrücke zur Pfarrkirche. Die Ministranten führen mit ihren Kirchenfahnen den Zug an. Dann folgen die Kinder mit den Palmstangen, die Vereinsvertreter und die restlichen Kirchgänger.
Die Erwachsenen haben ihre kleinen Palmbüschel dabei. Das sind die etwa 30 Zentimeter großen Hauspalmen oder die etwas einfacheren Stallpalmen. Die geweihten Palmbüschel kommen als Haussegen in den Herrgottswinkel der Stuben. Die Palmen sollen – wenn man einen Ast daraus bei aufziehendem Gewitter verbrennt – vor Blitzschlag und Hagel schützen. Die einzelnen Palmkätzchen gelten als bewährtes Hausmittel: Eine oder mehrere Knospen verschluckt, bewahren vor Halsweh und Fieber.
Und auch die riesigen, eindrucksvollen Palmstangen der Kinder finden nach dem Palmsonntag noch Verwendung. Sie werden nach der Weihe in Stücke zersägt und die Bauern benutzen sie im Frühsommer zum ersten Viehaustrieb. Manchmal rammen sie die Stecken aber auch an den Ecken der Weiden in den Boden: Denn dann geschieht dem Vieh übern Sommer kein Unheil. (Günter Bitala)
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