Ein bisserl Fremdgehen halte ihre Ehe lebendig, witzeln die Schauspieler Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec. Bereits seit einem Vierteljahrhundert gehen die beiden für den BR gemeinsam im „Tatort“ auf Mörderjagd und sind auch privat sehr eng. Das erste Treffen in einem Münchner Biergarten allerdings barg ganz schön Zündstoff.
Diese Ehe hat es in sich. 152 Tote gab es bereits, es wurde geschossen, erstochen, vergiftet, erwürgt, überfahren, ertränkt, vom Hund zerfleischt. Ein Opfer starb an einer Nussallergie (siehe unten). Jetzt feiern Ivo Batic und Franz Leitmayr quasi Silberhochzeit: Seit 25 Jahren gehen sie in und um München gemeinsam auf Mörderjagd.
Bis zu zehn Millionen Zuschauer schalten ein, wenn die beiden Münchner Urgewächse am Sonntagabend Dienst schieben. München-Tatort, das ist ein bisschen wie die Lieblings-Strickjacke. Bequem, vertraut und immer noch mit allem kombinierbar. Man weiß, was einen erwartet: routinierte Ermittlerarbeit zweier authentischer, schlagfertiger Typen, die ganz gerne mit dem Nimbus des alten Ehepaares kokettieren. Und doch wird man immer wieder überrascht: von ungewöhnlichen, starken Geschichten und zwei Kommissaren, die auch nach 25 Jahren mal aus der Rolle fallen dürfen, wenn ihnen ein Fall unter die Haut geht.
Kroate mit Stenzpotenzial und Großstadt-Yuppie
Die zwei Typen, die im Januar 1991 den Tatort-Kosmos aufmischten, passten damals so gar nicht ins Schema: Statt gesetzterem Kommissar mit jungem Assistenten lümmelten sich hier zwei freche

Jungspunde neben uns auf der heiligen Sonntagabend-Fernsehcouch. Ein großspuriger Deutsch-Kroate mit Stenzpotenzial und ein Großstadt-Yuppie mit Porsche und Riesenkaro-Anzug. „Der junge Udo Wachtveitl war der damaligen Redakteurin Silvia Koller in der Serie Hans im Glück und Miroslav Nemec in den Wiesingers positiv aufgefallen“, erzählt Stephanie Heckner, seit 2012 Kollers Nachfolgerin in der BR-Tatort-Schmiede. „So kamen die beiden zusammen.“ Ein Traumpaar war gefunden. Eines, bei dem – so bestätigen heute beide – von Anfang an die Chemie stimmte.
„Verlobung“ wurde im Biergarten bei Brotzeit und Halbe gefeiert – mit zwei ahnungslosen Jungschauspielern, die zum selben Termin einbestellt wurden – beide als heiße Anwärter für die Rolle des Assistenten, wie sie glaubten. „Jetzt, so dachte ich, ging’s darum, wer sich da gegenüber dem anderen besser profiliert und aufschäumt“, erinnert sich Wachtveitl schmunzelnd. „Ich fand das unmöglich und hab dem Miro vorgeschlagen, dass wir das boykottieren.“ Der war entspannter: „Ich hab’ gesagt, lass uns hingehen, da gibt’s was umsonst zu essen. Was sollten wir machen? Konkurrenzsituationen gibt es immer unter Schauspielern.“ Am Ende wurde es ein netter Nachmittag, und der Tatort hatte zwei neue, gleichberechtigte Kommissare.
Nach den legendären Zeiten mit Gustl Bayrhammer und später Helmut Fischer wollte man Anfang der 1990er-Jahre alles anders und neu machen. Und so wirkt die erste Folge Animals aus heutiger Sicht noch arg überladen mit Originalität und plakativem Junggesellengedöns – Leitmayrs Porsche

verschwand später ebenso wie Büro-Aquarium, Mini-Kühlschrank und Ivos cooles Loft. „Wenn man wie wir mit Anfang 30 diese Rollen angeboten bekommt, dann versucht man vielleicht anfangs, besonders grimmig zu schauen oder besonders kommissarisch zu wirken“, sagt Wachtveitl. „Man pumpt so ein bisschen, will so ein toller Typ sein, wie er noch nie dagewesen ist. Diese forcierte Anstrengung wirkt auf den klugen Zuschauer sofort lächerlich“, gesteht der 57-Jährige. Heute, 72 Folgen später, sind die Charaktere gereifter, authentischer. „Man selbst entwickelt sich ja auch – als Mensch im Privaten, aber auch in der Spielweise“, sagt Nemec. „Mit der Zeit traut man sich mehr, Dinge wegzulassen, zu entschlacken, nicht zu viel zu machen.“ Mittlerweile reicht zwischen den beiden oft eine hochgezogene Augenbraue, wo früher vielleicht das gesamte Konflikt-Repertoire lautstark abgespult worden wäre. „Ich muss nicht mehr jedes Mal beweisen, dass ich einen Kommissar spielen kann“, sagt Wachtveitl. „Dadurch ergibt sich eine ganz andere Souveränität und Gelassenheit, die aber nicht ins Letscherte, in so eine Routine von ,kenn ich, weiß ich, hab ich immer schon so gemacht’ abrutschen darf.“
Dass genau das in 25 Jahren nie passiert ist, ist wohl das Erfolgsgeheimnis des Münchner Tatorts. Die Episoden ragen immer wieder dank starker Drehbücher und renommierter Regisseure wie Dominik Graf, Friedemann Fromm, Max Färberböck oder Rainer Kaufmann aus dem Krimi-Einheitsbrei heraus. Und sie räumten über die Jahre auch etliche Preise ab – 2002 gab’s den Grimme-Preis für die beiden Hauptdarsteller. Immer wieder schaffte das Kreativteam um Redakteurin Koller bzw. Heckner den Spagat zwischen gesellschaftlich relevanten Themen und Münchner Lokalkolorit.
Geplant wird immer nur für ein Jahr im Voraus
Längst sind Batic & Leitmayr so etabliert, dass auch experimentiert werden darf, etwa wenn in Der oide Depp (2008) die Rückblenden ins München der 1960er-Jahre in Schwarzweiß zu sehen sind, oder wenn Dominik Graf in Aus der Tiefe der Zeit (2013) gängige Stilkonventionen über Bord wirft. 2014 gab’s dann mit Neu-Redakteurin Heckner eine Generalüberholung der in die Jahre gekommenen Reihe: Mit Assistent Kalli (Ferdinand Hofer), Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) und neuerdings auch Kollege Ritschy Semmler (Stefan Betz) – erstmals zu sehen in der Jubiläumsfolge Mia san jetzt da, wo’s wehtut am Sonntag, 3. April – verstärkt ein neues Team das eingespielte Dreamteam.
Die Fans halten den Ermittlern die Treue und lassen sich viel gefallen. Viel, aber nicht alles. Als Leitmayr am Schluss der Folge Am Ende des Flurs (2014) niedergestochen und um sein Leben ringend am Boden lag, schlug das hohe Wellen. Die Empörung war so groß, dass der Sender am nächsten Tag das Überleben Leitmayrs verkündete und zwei Wochen später eine kurze nachgedrehte Szene mit dem

Rekonvaleszenten ins Netz stellte. Welche Rolle soziale Medien wie Facebook mittlerweile spielen, zeigte sich auch nach Der tiefe Schlaf (2012), in dem Nerv-Assi Gisbert Engelhardt erst die Ermittler zur Weißglut trieb und dann überraschend zu Tode kam. Engelhardt alias Fabian Hinrichs wurde im Handumdrehen zur Kultfigur, hatte sogar eine eigene Facebook-Fangemeinde. Ein Jahr später stand fest: Hinrichs wird selbst Tatort-Kommissar. Im neuen Franken-Krimi. Ein Zufall? Wohl kaum.
Wachtveitl und Nemec selbst sehen das Jubiläum zwiegespalten. „Mir ist die Zählweise 72 Folgen lieber als 25 Jahre“, meint Wachtveitl. Schließlich sei jeder Film ein eigenständiges Projekt. Deshalb gab es von Anfang an auch keinen Vertrag, der die beiden auf eine bestimmte Dauer oder Anzahl von Folgen festlegte, auch wenn der BR das gerne gehabt hätte. Beide arbeiten eng mit Redaktion, Regisseur und Autoren an der Figuren- und Drehbuchentwicklung zusammen, vorausgeplant wird aber immer nur fürs folgende Jahr. Eine stabile Verbindung also – auch ohne Trauschein. Und: „Diese Ehe ist vielleicht deshalb noch so lebendig, weil man so viel fremdgehen kann“, witzelt Wachtveitl. Und das tun beide ausgiebig: Nemec, studierter Musiker, spielt in zwei Rockbands und steht immer mal wieder auf der Theaterbühne, Kollege Wachtveitl synchronisiert, beide halten Lesungen und drehen regelmäßig Filme und Serien. Den Punkt, an dem sie Angst vor Schubladen haben müssten, haben beide längst überschritten.
Im größeren Tatort-Team, das ja von Folge zu Folge wechselt, sind Wachtveitl und Nemec die Konstanten. „Sie sind echte Sympathieträger und passen immer auf, dass es auch dem Team gut geht“, verrät Maskenbildnerin Sabine Hehnen-Wild, die das Duo schon seit 20 Jahren kennt. „Aber Mittelmaß akzeptieren sie nicht, sie stellen hohe Qualitätsanforderungen in allem.“ Und so kann es passieren, dass auch noch am Set an einer Szene oder einem Dialog gefeilt wird. Regisseur Marvin Kren (Die letzte Wiesn) bezeichnete die beiden einst als „Silverbacks der Tatort-Familie, als weise, mächtige Gorilla-Männchen, die genau wissen, wo es langgeht“.
Gefeiert wird übrigens mit im Jubiläums-Krimi am Sonntag übrigens nicht mit „so am g’schissenen Champagner“, wie Leitmayr ätzt, sondern mit Espresso-to-go aus Pappbechern, danach ist business as usual. Fernsehkommissar Batic übrigens erreicht in drei Jahren das Rentenalter. Ist dann Schluss? Bei der Filmpremiere in München erklärte Wachtveitl dazu: „Wenn man diese Frage in einer Beziehung stellt, ist sie eigentlich schon zu Ende.“
(
Wibke Heise)
Fotos (BR) von oben nach unten:Vor 25 Jahren eroberten zwei freche Jungspunde den Traditions-Krimi: Nemec und Wachtveitl 1991 in ihrem ersten Fall: „Animals“.
2012 durfte Fabian Hinrichs als Assi ran: Jetzt ermittelt er im
Tatort in Franken.
Auch eines der Erfolgsgeheimnisse der BR-
Tatort-Episoden: Jede Menge Lokalkolorit. Die Wiesn war schon zwei Mal Hauptdarstellerin, zuletzt 2015.
Der Münchner Tatort in Zahlen: Affären, Opfer, Täter
Auch wenn es eine Frau nie dauerhaft an die Seite eines der Ermittler geschafft hat: Batic und Leitmayr hatten in all den Jahren Liebesgeschichten. Batic hatte eine Beziehung und sieben Affären, Leitmayr drei Beziehungen und fünf Affären.
Wichtiger aber sind für einen Krimi ohnehin die Opfer: Hier liegen die Männer klar vorne: Von den 152 Toten waren nur 36 weiblich. Auch bei den Tätern sind die Herren in der Überzahl, darunter ist Kommissar Leitmayr: Er hat bereits zwei Menschen in Notwehr erschossen, sein Kollege Batic niemanden.
Der Sender hat zum Jubiläum auch die häufigsten Todesursachen aufgelistet. 32 Opfer wurden erschossen, 23 erschlagen und 20 erstochen. 12 Menschen begingen Selbstmord, 11 Opfer wurden vergiftet und 9 wurden aus großer Höhe in den Tod gestürzt. Jeweils 5 Opfer wurden erstickt, erwürgt, überfahren oder starben bei einem Unfall und je 2 Menschen wurden verbrannt oder ertränkt. Auf ein Opfer wurde ein Hund gehetzt, eins verhungerte, eins wurde erhängt. Ein Opfer starb an einer Nuss-, ein weiteres an einer Katzenallergie. (dpa)
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