Leben in Bayern

Im 4000-Seelen-Ort Heinersreuth im Landkreis Bayreuth lebte bis zu seiner Festnahme ein mutmaßlicher Spion. (Foto: dpa/Daniel Löb)

26.04.2024

So lebten die mutmaßlichen Putin-Spione

In Oberfranken wurden zwei Männer festgenommen. Zumindest einer von beiden soll US-Stützpunkte ausgespäht und Anschläge auf militärische Transportwege geplant haben

Carsten M. (Name von der Redaktion geändert) kann es noch immer nicht richtig glauben. Wie im Fernsehen sei das am Mittwoch vergangener Woche gewesen. Über ein Dutzend Polizisten seien in das Haus eingedrungen, sagt der Rentner und fügt hinzu: „Ich habe zuerst gedacht, das ist eine Drogenrazzia.“ Daran, dass er Zeuge eines richtigen Spionage-Thrillers wird, habe er keine Sekunde gedacht. Aus den Medien erfuhren er und die meisten Bewohnenden schließlich, dass nur ein paar Meter Luftlinie entfernt im selben Haus ein mutmaßlicher russischer Saboteur gewohnt hat. Die Rede ist von Dieter S. (39). Die Bundesanwaltschaft wirft dem Deutschrussen unter anderem vor, er solle im Auftrag des russischen Geheimdiensts Sabotageaktionen in Deutschland geplant haben. Es ist wohl einer der spektakulärsten Spionagefälle der vergangenen Jahre.

Carsten M. sitzt am Tag nach der Razzia auf seiner Couch, hält mit einer Hand eine Zigarillo und deutet mit der anderen zum Fenster in Richtung Parkplatz. Auch Spürhunde seien im Einsatz gewesen. Nicht nur eine Wohnung im selben Haus, sondern auch ein Jeep auf dem Parkplatz sei genau untersucht worden. Dieter S. soll in Heinersreuth im Landkreis Bayreuth gelebt haben – zumindest ist dort seine gemeldete Adresse.

Im kleinen Ort herrscht Fassungslosigkeit

In der 4000-Einwohner-Ortschaft geht es eigentlich eher beschaulich zu. Es gibt einen Bäcker und eine Tankstelle. Wenn der örtliche Seniorenclub einen Ausflug in den Oberpfälzer Jura macht, wie an diesem Donnerstag, ist das der Gemeinde eine Meldung wert – ebenso wie ein geplanter „Löschangriff“ der Kinderfeuerwehr. Dass hier jemand gelebt haben soll, der womöglich eine ganz reale Attacke plante, können viele Einwohner*innen kaum glauben.

Im Ort läuten die Kirchenglocken. Das mehrstöckige Mietshaus ist in einem etwas heruntergekommenen Zustand, der Putz bröckelt. Laute Technomusik dröhnt aus einem Fenster. Kratzer und Holzsplitter an der Tür mit der Nummer 7 verraten, dass sich das Bundeskriminalamt bei der Razzia am Mittwoch rustikal Zutritt zur Wohnung verschafft hat, in der Dieter S. gemeldet war. Auf dem Klingelschild vor dem Haus steht zwar über dem „Keine Werbung“-Schild noch ein zweiter Name – doch an diesem nieselig-grauen Donnerstag im April öffnet niemand die Tür.

Gesehen haben die Hausbewohner*innen den Deutschrussen hier selten. „Der hat immer nur die Post geholt“, sagt ein Nachbar. Mehrere Bewohner des Mietshauses zeigen dem Reporter jedoch einen bordeauxroten Wagen. Der Jeep habe dem russischen Saboteur gehört, versichern sie. Tatsächlich steht er auf dem zu Wohnung Nummer 7 gehörenden Parkplatz. Die Kennzeichen wurden mittlerweile abgenommen.

Neben Dieter S. wurde in Oberfranken ein weiterer Mann festgenommen. Beide stehen unter Verdacht, für Russland spioniert und mögliche Anschlagsziele in Deutschland ausgekundschaftet zu haben. Den beiden Russlanddeutschen ging es nach Angaben des Generalbundesanwalts um Sabotageaktionen, die insbesondere dazu dienen sollten, „die aus Deutschland der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg geleistete militärische Unterstützung zu unterminieren“. Sie seien dringend verdächtig, in einem besonders schweren Fall für einen ausländischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein, so der Generalbundesanwalt.

Dieter S., dem Älteren der beiden, wird auch die Verabredung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und zur Brandstiftung sowie Agententätigkeit zu Sabotagezwecken und sicherheitsgefährdendes Abbilden militärischer Anlagen vorgeworfen. Die in Russland geborenen Männer haben den Angaben zufolge beide die deutsche und die russische Staatsbürgerschaft. Polizeikräfte durchsuchten Wohn- und Arbeitsort der beiden. Konkret soll sich Dieter S. mit jemandem, der mit einem russischen Geheimdienst in Verbindung steht, seit mindestens Oktober vergangenen Jahres über mögliche Sabotageaktionen ausgetauscht haben. Er soll sich seinem Gesprächspartner gegenüber bereit erklärt haben, Sprengstoff- und Brandanschläge vor allem auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industriestandorte in der Bundesrepublik zu begehen.

Zugriff mitten auf Kaufland-Parkplatz

Dieter S. sammelte dem Generalbundesanwalt zufolge Informationen über potenzielle Anschlagsziele, darunter auch Einrichtungen der US-Streitkräfte. Zu den ausgekundschafteten Orten gehören der US-Stützpunkt Grafenwöhr sowie andere militärische Einrichtungen in Bayern. Einige der ins Visier genommenen Objekte soll Dieter S. vor Ort ausgespäht und fotografiert haben, etwa Militärtransporte. Ein Angriff soll aber dem Vernehmen nach nicht unmittelbar bevorgestanden haben. Beide Männer sitzen nun in Untersuchungshaft.

Einer von beiden wurde am helllichten Tag auf einem Kaufland-Parkplatz im Bayreuther Industriegebiet festgenommen. Ein Zeuge sagt, der Zugriff sei plötzlich erfolgt – und das, obwohl der Parkplatz gut gefüllt war. Mannschaftswagen sollen mit Blaulicht vorgefahren sein, Einsatzkräfte mit Maschinenpistolen bewaffnet den Mann zu Boden gebracht haben. Der Einsatz war schnell vorüber – doch in der Bierstadt spricht man immer noch über das Geschehene. Denn der Fall zeigt, dass der lange Arm Putins bis nach Oberfranken reicht.

Der zweite Beschuldigte, Alexander J., half Dieter S. nach Angaben der Ermittler spätestens ab März 2024. Der 37-jährige Familienvater lebte noch immer bei seinen Eltern in einem Mietshaus in der Bayreuther Altstadt. Als der Reporter dort vergangene Woche klingelt, sagt eine offenbar ältere Frau: „Ich kann nicht reden.“ Der Bild hatte die Mutter von Alexander J. gesagt, Dieter S. sei viel mit seinem Sohn spazieren gegangen. „Er hat sich viel um ihn gekümmert.“

Zwei eher unauffällig lebende Männer, die für den Kreml spioniert haben sollen? Sind das Einzelfälle? „Wir wissen, dass der russische Machtapparat auch unser Land in den Fokus nimmt“, weiß Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Auf diese Bedrohung müsse Deutschland wehrhaft und entschlossen reagieren.

Klar ist: In Berlin steht aktuell ein ehemaliger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) vor Gericht. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm und einem Geschäftsmann Landesverrat in besonders schwerem Fall vor. Sie sollen im September und Oktober 2022 geheime Dokumente und Informationen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB gegeben haben. Dafür sollen sie laut Anklage einen „Agentenlohn“ von 450 000 Euro beziehungsweise 400 000 Euro bekommen haben. Die beiden Deutschen sitzen in Untersuchungshaft.

Deutschland steht im Fokus Russlands

Im vergangenen August war in Koblenz ein Berufssoldat festgenommen worden, der beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr arbeitete. Die Einrichtung ist zuständig für die Ausstattung der Bundeswehr mit Material und Waffen sowie die Entwicklung, Erprobung und Beschaffung von Wehrtechnik. Ab Mai 2023 soll der Mann mehrfach dem russischen Generalkonsulat in Bonn und der russischen Botschaft in Berlin eine Zusammenarbeit angeboten haben.

Sind die Spione von der Richtigkeit des russischen Angriffskriegs in der Ukraine überzeugt? Im Fall der oberfränkischen Russlanddeutschen scheint es so zu sein. Darauf deuten zumindest Posts in sozialen Medien hin. Dieter S. steht laut Generalbundesanwalt im dringenden Verdacht, sich als Kämpfer einer bewaffneten Einheit der als ausländische terroristische Vereinigung eingestuften „Volksrepublik Donezk“ angeschlossen zu haben. Er soll zwischen Dezember 2014 und September 2016 in der Ostukraine für diese prorussische Vereinigung aktiv gewesen sein und über eine Schusswaffe verfügt haben.

2014 hatten sich moskautreue Separatisten nach dem Sturz des russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch von Kiew losgesagt. Die neue prowestliche Führung in Kiew hatte danach mit einem Militäreinsatz vergeblich versucht, die Kontrolle über Donezk und andere Ortschaften im Donbass zurückzuerlangen.

Im Fall der mutmaßlichen Bayreuther Spione könnte es noch einige Zeit dauern, bis Klarheit über das Ausmaß der möglichen Verschwörung herrscht. Die Anwälte der beiden Verdächtigen, die für die BSZ nicht erreichbar waren, reagierten auch auf Anfragen anderer Medien zunächst nicht.

In dem Heinersreuther Mietsblock geht das Leben derweil weiter. „Es ist ja nicht die erste üble Sache, die hier passiert ist“, sagt ein Nachbar. Im Sommer 2021 hatten Anwohner die Leiche eines Babys in einem Müllsack gefunden. Eine junge Mutter hatte es zusammen mit ihrem Freund dort in einen Abfallcontainer geworfen. Im Hausflur liegen an diesem nieseligen Apriltag Infoblätter herum. Darin geht es um den Verkauf des Hauses. Bald will der neue Investor die Bewohnenden kennenlernen – vermutlich kein guter Zeitpunkt. (Tobias Lill) 
 

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