Leben in Bayern

Auch das gehört zur Ausbildung: Semmeln schmieren. Berufsvorbereitung mit Lehrerin Annette Stelter. (Fotos: Stumberger)

02.05.2014

Sprungbrett ins (Arbeits-)Leben

Die Asylpolitik Bayerns ist immer wieder Kritik ausgesetzt – bei der Ausbildung von Flüchtlingen aber ist der Freistaat Vorreiter: Die Staatszeitung hat ein Münchner Pilotprojekt besucht

Das dreistöckige Gebäude an der Münchner Balanstraße  hat noch immer seinen großen und tragfähigen Lastenaufzug, früher fertigte dort Siemens. Auch heute wird mit Maschinen produziert: Allerdings keine Waren, sondern Bildung. In der Metallwerkstatt steht Reza an einer Bohrmaschine und bearbeitet ein Werkstück. „Mir gefällt der Unterricht sehr gut“, sagt der 18-Jähige, nur GSE bereite ihm Probleme. GSE meint Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde und eines der Fächer an der Berufsschule für junge Flüchtlinge, wo Reza, der  aus Afghanistan stammt, sich auf eine Ausbildung vorbereitet. Die Schule ist ein bayerisches Pilotprojekt, das Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) vor gut zwei Jahren angestoßen hat.

Viele der Jugendlichen sind traumatisiert

Die Einrichtung in München ist eine von heute insgesamt 32 derartigen Bildungsstätten im Freistaat und nennt sich Städtische Berufsschule zur Berufsvorbereitung. Berufsschule zur Berufsvorbereitung? „Das hört sich ein bisschen seltsam an“, sagt Schulleiter Eric Fincks und erklärt den Zusammenhang: Berufsschulpflicht gibt es nur für jene, die sich in Ausbildung befinden. Oder jünger als 18 Jahre sind. Weil nun aber viele junge Flüchtlinge in Bayern älter sind und keinen Ausbildungsplatz haben, fallen diese  durch das Raster. Die Folge: Untätigkeit. Doch jetzt können diese Jugendliche die Schule besuchen.
„Wir bringen die jungen Leute zielführend in Ausbildung“, sagt Fincks und betont: „Bayern ist hier Vorreiter.“ 114 Schüler werden an der Balanstraße in acht Klassen unterrichtet. Sie kommen aus dem gesamten Stadtgebiet, ein Schüler nimmt sogar den weiten Weg von Landsberg am Lech auf sich. „Die jungen Menschen sind hochmotiviert, sehr diszipliniert und sehr dankbar für dieses Angebot“, weiß Lehrer Fincks. Denn viele wollen später der Gesellschaft zurückgeben, was sie an Unterstützung erlebt haben. Und auch die Wirtschaft sei froh über qualifizierte Ausgebildete – angesichts des Fachkräftemangels.
Es ist zehn Uhr und die halbstündige Pause beginnt. Die jungen Männer versammeln sich im Aufenthaltsraum und belagern die beiden Kicker. An der Wand hängen einige Plakate mit der Beschreibung von Berufen: Friseur, Maurer, Einzelhandelskaufmann. „Wir sind super“ steht unter einem Foto mit einer Fußballmannschaft. Die Mädchen und jungen Frauen versammeln sich derweil in einem Raum schräg gegenüber, man plaudert in Grüppchen. Die Schüler kommen aus vielen Ländern. „Alle Krisenregionen sind vertreten“, sagt Fincks: Etwa Irak, Somalia, Afghanistan. Einige kamen mit ihren Familien, andere als so genannte unbegleitete Jugendliche, also allein. Reza zum Beispiel stammt aus einem Dorf nahe Kabul und war erst 16, als seine Familie flüchtet. Zweieinhalb Jahre war er unterwegs, bis er nach München kam. Heute wohnt er in einem Heim für Jugendliche, teilt sich ein Zimmer mit einem Mitbewohner. Sein Berufswunsch? Er will Lehrer werden. Oder Kaufmann.
Noch ist Pause, doch im Zimmer der Klasse 1.5 sitzt der 18-jährige Mytaba und geht Vokabeln durch: Nächste Stunde wird eine Schulaufgabe geschrieben. Deutsch ist ein zentrales Lernfach für die Schüler und Voraussetzung für den Beginn einer Ausbildung. Auch Mytaba stammt aus Afghanistan und will vielleicht Maler werden.
In der Metallwerkstatt lässt Fachlehrer Markus Glas seine Schüler verschiedene Werkzeuge zeichnen, einen Schraubenschlüssel etwa. Manchmal gibt es ihm zu denken, welche Defizite einige seiner Schüler aus der Heimat mitbringen: „Einige wissen nicht, wie man eine Schere bedient.“ Andere können kein Quadrat zeichnen, haben noch nie ein Lineal gesehen.
Manche mussten als Kindersoldaten dienen. Und auch die Flucht hinterlässt Spuren: Einige Schüler sind traumatisiert, leiden unter Depressionen, Angst und Lernstörungen. An der Schule stehen ihnen neben den 19 Lehrkräften auch drei Sozialpädagogen zur Seite. Aber auch die Lehrkräfte machen spezielle Fortbildungen, damit sie den richtigen Umgang mit den Problemen der Flüchtlinge und anderen Kulturkreisen lernen. „Es ist wichtig, dass ein Lehrer weiß, ob das Ausländeramt im Kreisverwaltungsreferat auch nachmittags geöffnet hat“, sagt Schulleiter Fincks. Denn Flüchtlinge hätten sehr viele Termine zu meistern, das soll nicht von der Schulzeit abgehen. Die dauert zwei Jahre, sechs Stunden täglich. Die Unterrichtsfächer reichen vom Mathematik über Sport, EDV und Ethik bis zu den praktischen Fächern in Holz- und Metallbearbeitung. Bedingung für die Aufnahme in die Schule ist ein gewisses Niveau an Deutschkenntnissen, das zuvor in Kursen erworben werden muss.

Schnittlauch oder Käse? In der Küche Vokabeln lernen

Es geht nun auf Mittag zu und im Erdgeschoss weist Annette Stelter ihre Schüler an: Erst einmal Händewaschen! Danach geht es an den Käse. Der wird auf die aufgeschnittenen Semmel verteilt, dann kommt eine Scheibe Tomate darauf. So entstehen hier im Cafe Balan Sandwiches, die für einen Euro fünfzig an die Schüler zur Mittagszeit verkauft werden – im Gebäude sind auch noch andere Fachschulen wie etwa die Städtische Berufsschule für Bürokommunikation und Industriekaufleute untergebracht. „Der Umgang mit den Kunden ist Teil unseres Unterrichts“, sagt Fachlehrerin Stelter. Im Cafe Balan geht es um die Berufsvorbereitung im gastronomischen Bereich, selbstverständlich werden hier Kochmützen aufgesetzt, Hygiene wird großgeschrieben und der Praxisbezug ist immer gegeben: Man übernimmt auch kleine Catering-Aufgaben wie für die Lehrerkonferenz nächste Woche. Und auch die Sprache steht dabei immer wieder im Mittelpunkt: Was ist jetzt der Schnittlauch und was der Mozarella? „Was hier gelernt wird, lässt sich auf andere Bereiche übertragen“, sagt Annette Stelter.
Auch Wareena hat eine Kochmütze auf. Die 18-Jährige kam vor drei Jahren aus einem kleinen Dorf im Norden Iraks. Jetzt lebt sie bei ihrer Cousine in München Laim. Schwierig findet sie die Mathematikstunden, dafür macht ihr der Umgang mit dem Computer Spaß. Das Arbeitsamt hat sie an die Berufsvorbereitung vermittelt, sie kann sich vorstellen, später als zahnmedizinische Assistentin zur arbeiten.
„In unseren Schülern schlummern viele Potenziale“, meint Fincks. Man versucht, die jungen Leute nach zwei Jahren mit einem Quali zu entlassen und in eine Ausbildungsstelle zu überführen. Im Juli wird die erste Zwei-Jahres-Klasse soweit sein. Die Schüler bleiben aber danach nicht allein. An der Balanstraße hat man sich mit verschiedenen Organisationen vernetzt, die für eine weitere Betreuung sorgen, zum Beispiel mit dem Münchner Verein Lichterkette, der sich für den Austausch und das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzt. (Rudolf Stumberger)

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