Leben in Bayern

Sonya Gropman (links) und ihre Mutter Gabrielle Rossmer Gropman haben das Kochbuch (kleines Bild) geschrieben. (Foto: dpa)

28.12.2017

Suche nach dem schwarzen Rettich

Von den Nazis vertrieben floh Familie Rossmer einst aus Bamberg in die USA. Das jüdisch-deutsche Essen aber konnte der Großvater nicht vergessen und gab die Leidenschaft weiter. Tochter und Enkelin veröffentlichten jetzt das erste Kochbuch dazu

Auf einem Bauernmarkt in Bamberg fand der Großvater von Sonya Gropman Anfang der 70er Jahre endlich das wieder, wonach er sich seit Jahrzehnten gesehnt hatte: einen schwarzen Rettich. "Er rannte auf dem Markt herum, bis er endlich einen Stand mit einem großen Berg davon fand", erinnert sich die Enkelin. "Zurück im Hotelzimmer schnitt er ihn auf, streute Salz darauf und gab uns allen ein Stück."

Es war der erste gemeinsame Besuch der Familie Rossmer Gropman in Bamberg. Die Großeltern Rossmer waren Ende der 30er Jahre vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen. "Meine Großmutter war nicht begeistert davon, für einen Besuch zurückzukehren, aber mein Großvater hatte nach wie vor eine starke Bindung an seine Geburtsstadt Bamberg - und vor allem an das Essen von dort. Heute ist schwarzer Rettich in den USA ja relativ einfach zu finden, in einem koreanischen Laden zum Beispiel, aber damals in den 70ern gab es das einfach nicht und mein Großvater hatte die ganze Zeit, seitdem er 1939 geflohen war, danach gesucht."

Die Leidenschaft für deutsch-jüdisches Essen hat sich auf Tochter und Enkelin übertragen. Gemeinsam haben Gabrielle Rossmer Gropman und Sonya Gropman nun ein deutsch-jüdisches Kochbuch herausgebracht - erstmal in ihrer amerikanischen Heimat, aber sie hoffen, dass eine deutsche Übersetzung folgen wird. Nach Angaben der Autorinnen ist es das erste auf diese Küche spezialisierte Rezeptbuch. Es feiere "Spezialitäten aus einer vergangenen Ära", schrieb der "Boston Globe".

Gänsefett als Milchersatz

Deutsch-jüdische Küche lasse sich in drei Kategorien unterteilen, erklärt die 55-jährige Gropman. Erstens deutsche Gerichte, die unangepasst übernommen werden konnten, wie etwa Kartoffelknödel oder Reisauflauf. Zweitens original jüdisch-deutsche Gerichte wie Berches, ein Brot für Festtage mit Kartoffelbrei im Teig. Und drittens deutsche Gerichte, die koscher gemacht, also an die speziellen jüdischen Speisevorschriften angepasst, wurden, etwa Fleischgerichte wie Sauerbraten ohne Milchprodukte in der Soße, oder Würstchen ohne Schweinefleisch, dafür aber mit Rind oder Lamm. Als Milchersatz wird Gänsefett verwendet. "Gänsefett ist köstlich und ein sehr wichtiger Teil der deutsch-jüdischen Küche", sagt Rossmer Gropman.

Für die Rezepte kramten Mutter und Tochter in ihren eigenen Küchen und Kochbuchsammlungen und befragten Dutzende Menschen in den USA und Deutschland, etwa in einem Altenheim in München. "Die Menschen haben begeistert ihre Familienrezepte mit uns geteilt." Auch sie selbst habe ihre "Geschmackserinnerungen" herausgekramt, sagt die 79-jährige Rossmer Gropman - zum Beispiel als es um einen Krautsalat ging. "An den erinnere ich mich gut aus meiner Kindheit, es gab ihn immer zu besonderen Festtagen als Beilage zum Fleisch. Das Fleisch war mir nicht so wichtig - aber der Krautsalat war wunderbar. Ich habe dann überall nach Rezepten geschaut, aber es hat nie so geschmeckt - bis ich gelernt habe, dass man den Kohl zuerst in heißes Salzwasser einlegen muss, dann schmeckt es nachher so wie das, an was ich mich erinnere."

Karpfen oder Sauerkirschsuppe - in New York kaum aufzutreiben

Über das Essen hätten sie sich auch mit ihrer Herkunft auseinandergesetzt, sagen Mutter und Tochter. "Deutsch und jüdisch zu sein ist wie eine Minderheit in einer Minderheit", sagt Rossmer Gropman, die als Baby mit ihren Eltern vor den Nationalsozialisten floh. "Wir kamen in den 1930ern in die USA und waren in einem schrecklichen Krieg mit Deutschland - wer wollte da deutsch und jüdisch sein? Es gab eine Tendenz, abzutauchen, amerikanisch zu werden, Deutschland zu vergessen, schließlich hatten viele Menschen schreckliche Erinnerungen." Die Rossmers zogen nach Washington Heights in den Norden von Manhattan, wo mehr Juden aus Deutschland beieinander lebten als sonst irgendwo in den USA. "Dort war es völlig normal."

Rossmer Gropmans Großeltern wurden von den Nationalsozialisten umgebracht. "Mein Vater hat dann ein Leben lang versucht, das zusammenzubringen - die Ermordung seiner Eltern und die sehr positiven Erinnerungen, die er an seine Kindheit in Deutschland hatte." Über das Essen gab er die positiven Erinnerungen an Tochter und Enkelin weiter, die nun genauso leidenschaftlich wie er einst nach den Zutaten suchen.

"Karpfen zum Beispiel, die gibt es hier eigentlich nicht. Aber dann sind wir vor Weihnachten nach Greenpoint gegangen, eine polnisch geprägte Gegend in Brooklyn - und da waren ganze Wannen voll, aber nur in der Woche vor Weihnachten", erzählt Gropman. "Oder Sauerkirschsuppe, das ist eines meiner Lieblingsgerichte, aber ich konnte nie Sauerkirschen hier finden. Bis ich mal im Sommer nach Brighton Beach gegangen bin, eine russisch geprägte Gegend - und da gab es sie in jedem Laden. Mit der Sauerkirschsuppe kann man auch gut einen Mythos widerlegen, nämlich den, dass das jüdische Essen immer schwer und mächtig ist - das stimmt einfach nicht."
(Christina Horsten, dpa)

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