Leben in Bayern

Miriam Markoff ist das erste Mal auf einer Kleidertauschparty – sie ist mit einem gefüllten Müllsack gebrauchter Kleidung gekommen. (Foto: Monika Goetsch)

24.05.2019

Tauschrausch statt Kaufrausch

Sie schonen nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Umwelt: Kleidertauschpartys haben Konjunktur

 Schon vor Beginn: eine lange Schlange vor der Kasse. Frauen schwer bepackt mit Müllsäcken, Ikeatüten oder karierten Einkaufstaschen im XL-Format. Zum vierten Mal führt der Münchner Verein Green City eine Kleidertauschparty durch. Das Ziel: zum kritischen Konsum anregen und Alternativen zur Wegwerfgesellschaft aufzeigen. Kleidertauschpartys, so der Verein, seien „der beste Beweis dafür, dass ein nachhaltiger Lebensstil nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten muss“.

Nach Verzicht sieht es im Ökologischen Bildungszentrum tatsächlich nicht aus. An der Kasse stellt Miriam Markoff einen prall gefüllten Müllsack ab –  Klamotten, die von einer privaten Tauschparty mit ein paar Freundinnen übrig geblieben sind. „Wie funktioniert das hier?“, will die 29-Jährige wissen. Und erfährt, dass man seine Sachen möglichst ordentlich auf den verschiedenen Tischen verteilt.

Getauscht wird nur, was einer nicht mehr anziehen mag. Nicht aber Altes, Verschlissenes. Ansonsten: keine Regeln. Man gibt und nimmt nach Gusto. Andere Kleidertauschpartys mögen nach Punktesystem arbeiten oder Anzahl oder Gewicht der Tauschware begrenzen. Nicht so Green City. Dort geht es entspannt zu. „Wenn du alles verteilt hast, kannst du dich nach Lust und Laune selbst umsehen“, sagt Clara Scharl, die beim Verein ihr freiwilliges ökologisches Jahr macht.

Passiert oft: Kleidung wird gekauft – und nie getragen

Miriam Markoff schleppt ihre schwere Tüte in den Saal, zieht ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus und verteilt ihre Sachen geschäftig auf den Tischen. „Ich muss meinen Schrank räumen, ich hab einfach keinen Platz mehr“, sagt sie. Denn es sei ja so: Man finde etwas schön, kaufe es –  und ziehe es dann oft doch nicht an.

Allein ist sie mit diesem Problem nicht. Laut einer im Auftrag von Greenpeace durchgeführten Studie hat jeder Deutsche durchschnittlich 95 Kleidungsstücke im Schrank (Frauen 118, Männer 73). Im Schnitt liegen dort 18 Teile, die nie getragen werden. Spätestens nach drei Jahren trennen sich die meisten Menschen von vielen Stücken. Nicht, weil diese nicht mehr tragbar wären – aus Sicht der Besitzer trifft das nur in zwanzig Prozent der Fälle zu. Man verabschiedet sich meist von Rock und Bluse, weil sie dem Geschmack nicht mehr entsprechen, aus der Mode sind oder sich der eigene Stil gewandelt hat. Und nicht zuletzt: Um im Kleiderschrank Platz für Neues zu schaffen.

Wegwerfen will Markoff ihre Sachen nicht. Zum Container bringt sie die Textilien auch ungern. „Darüber hab ich viel Negatives gelesen. Besser, es freut sich wirklich jemand über meine Sachen.“ Also hat sie sich für die Kleidertauschparty entschieden. Das Versprechen: Alles, was sie mitbringt, wird sie los. Denn bleibt etwas übrig, holt es die Diakonie ab. Nur acht Säcke werden das an diesem Abend sein, bei insgesamt 120 Gästen.

Noch aber landet von Minute zu Minute mehr auf den Tischen. Ein Poloshirt von Yoop liegt neben einer ärmellosen Bluse von H&M, Kleidergröße 36. Es gibt lange Hosen und kurze, Röcke, T-Shirts, Stricksachen, Badeanzüge und Bikinis, an ein paar Stangen hängen Mäntel und Kleider. Dazwischen: Trauben von Frauen, junge wie ältere. Eine Art Schlussverkaufsgefühl stellt sich bei ihnen ein. Kleidungsstücke werden hochgehalten, Skepsis, Stirnrunzeln, fragende Blicke zur Freundin. „Schon süß.“ „Hm. Passt aber nicht zu meinen Sachen.“

Das alles kennt man auch von den Wühltischen in den Kleiderkaufhäusern. Aber die Stimmung, findet Carmen, unterscheidet sich. „Jeder freut sich für den anderen, es ist ein Miteinander, in den Geschäften ist man mehr auf sich bezogen“, sagt die 22-Jährige.

Kleider hat Carmen bereits getauscht, als der heiße Trend, vom englischen Guardian bereits 2007 ausgerufen, noch völlig unbekannt war. Sogenannte Swap partys vereinen laut Guardian ethischen Konsum, Schnäppchenjagd und soziales Netzwerken. Werde ein Kleidungsstück nur drei Monate länger aktiv getragen, reduziere das seinen ökologischen Fußabdruck um fünf bis zehn Prozent.

Carmen findet das wichtig. Ein Kleidertausch ist für sie aber vor allem ein „Geben und Nehmen“. Gekommen ist sie mit ihrer Mutter, die seit dreißig Jahren „trödeln“ geht – auf Flohmärkten und Basaren. Sie tauscht Klamotten, schließt dabei Freundschaften, denn man trifft einander immer wieder. Neues kauft sie kaum. „Wenn etwas oft gewaschen wird, ist viel weniger Gift drin.“

Textilkonsum ist seit 2000 um fast 50 Prozent gestiegen

Der Ehemann und Familienvater allerdings komme hin und wieder mit einem Aldi-T-Shirt für 3,99 Euro nach Hause, erzählt Carmens Mutter. „Ich sag dann zu meinem Mann: Das können keine guten Stundenlöhne sein.“ Aber man könne nun mal beim besten Willen nicht jeden überzeugen. Ohnehin gehören Kleidertauscher zu einer Minderheit. Klamotten an andere weiterzugeben, ist noch ziemlich unüblich. 83 Prozent der Deutschen haben noch nie Kleider getauscht. Für zwei Drittel kommt es nicht einmal in Frage, Kleidung zu verleihen.

Von den ökologischen und sozialen Problemen in der Textilbranche dürften zwar die meisten Konsumenten gehört haben. Aber zwischen Wissen und Handeln klafft eine Lücke: der „Attitude-Behaviour Gap“. Die Verantwortung übernehmen für die Produktionsbedingungen eines T-Shirts und darum auf den Kauf verzichten? Das schaffen die wenigsten. Hinzu kommt: Die Mode macht es dem einzelnen Konsumenten wirklich nicht leicht. Immer schneller folgt Kollektion auf Kollektion, „fast fashion“ nennt das die Branche. Was gerade noch hochmodern war, wirkt schon kurz darauf wie aus der Zeit gefallen. Zwischen 2000 und 2010 ist auch deshalb der Textilkonsum um 47 Prozent gestiegen. Die Nutzungsdauer der Kleidung hat um durchschnittlich ein Drittel abgenommen.

Wegwerfen von Kleidung gehört zum Alltag. Reparaturen lohnen sich ohnehin kaum. Wer stopft noch einen Strumpf, wenn die Sechserpackung Socken für zwölf Euro zu haben ist? Schuhe frisch besohlen zu lassen, mag sich für die Umwelt auszahlen. Aber für den Konsumenten ist es billiger, sich ein neues Paar zuzulegen. Und eine Jeans flicken, wo das erste Loch doch bereits das zweite ankündigt: Warum die Mühe?

Hinzu kommt: Kleiderkaufen ist ein emotionaler Kick. Die Hälfte aller Befragten der Greenpeace-Studie fanden: Es sei „ein freudespendendes Erlebnis“. Vor allem Frauen genießen das Shoppen. Genderdebatte hin oder her: Das sind gelebte Unterschiede. Auch auf Kleidertauschpartys sind Männer eine Rarität. Ein einzelner junger Mann steht an diesem Tag etwas unschlüssig herum. Die Freundin habe ihn mitgebracht, sagt er. Er dachte, es gäbe auch für ihn was zu holen. Fehlanzeige.

Man möchte ab und zu was anderes, was Neues“, bestätigt Christa Markoff – auch Miriam Markoff hat ihre Mutter mit dabei. Die trägt einen Schal und ein T-Shirt zum Anprobieren überm Arm. „Ich glaube, dass Frauen so ticken. Ich sag immer: Das ist wie Pilze suchen.“ Gerade hat sie für ihre Tochter einen rosa Pullover ausgesucht. Ihre Hoffnung ist gering, dass der Vorschlag ankommt. „Meistens lieg ich eh daneben.“ Spaß macht ihr das Ganze trotzdem. „Die einen werden was los. Die anderen schonen ihren Geldbeutel. Ökologisch ist es außerdem. Optimal!“

Ihre Tochter hat in der Zwischenzeit sechs Teile gefunden. Das siebte, eine Bluse, schaut sie lange an. „Ich bin tatsächlich nicht so der Blusentyp...“, sagt sie schließlich. Dann legt Miriam das Stück zurück auf den Tisch und wendet sich ab. „Das hätte ich doch nie angezogen!“, sagt sie.
(Monika Goetsch)

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