Ben lebt seit vier Jahren an der Münchner Freiheit. Aber nicht in einer der schicken Altbauwohnungen rund um den Platz, sondern im Seiteneingang eines Kaufhauses. Der 52-Jährige ist einer von mehr als 5500 Wohnungslosen in der bayerischen Landeshauptstadt. Nun schlägt der Winter mit frostigen

Nächten erbarmungslos zu. Hilfe kommt auf vier Rädern: mit dem Kältebus. Berthold Troitsch versorgt mit einer Gruppe Ehrenamtlicher Obdachlose mit Tee, Kaffee und einer warmen Mahlzeit.
Abend für Abend rollt der Kältebus durch die Innenstadt. Am Freitag hat es acht Grad unter Null. Und die Temperatur soll weiter sinken - die bisher kälteste Nacht des Winters steht bevor. Troitsch und seine Kollegin Katharina Schneider verladen Kisten ins Fahrzeug: Thermoskannen mit heißem Wasser, Mehrweggeschirr, Gaskocher, Teebeutel, Kaffeepulver, Brühe, Fertig-Kartoffelpüree, Fischkonserven, Salat, Kekse und Pudding. Dazu hat Troitsch Putengeschnetzeltes in Tomatensoße vorgekocht. Der große Suppentopf kommt in den Kofferraum. Das Essen spendet ein Supermarkt.
Mehr als 5500 Menschen in München haben nach Angaben des Sozialreferates keine Wohnung, mehrere Hundert von ihnen leben auf der Straße. Im Winter bietet die Stadt ein Kälteschutzprogramm an. "Einige fallen durch das Raster, weil sie keinen Anspruch auf das Angebot haben. Oder weil sie es aus irgendwelchen Gründen nicht annehmen wollen", sagt Troitsch, während er das Fahrzeug durch die Innenstadt steuert. Wochentags ist der Kältebus von 19 bis 23 Uhr unterwegs. Jeden Abend sind zwei Ehrenamtliche im Einsatz.
Hartz IV und eine Unterkunft? Ben lässt die Streetworker abblitzen
Troitsch kennt die Stellen, an die sich Obdachlose zurückziehen. Und weil sie tagsüber als Flaschensammler oder Tagelöhner unterwegs sind, kommt der Kältebus abends. Troitsch stoppt bei Ben. Der 52-Jährige sitzt im Schlafsack auf einer Isomatte und quatscht mit einem Spezl.
Fröhlich grüßt Ben die beiden Helfer. Einen Becher Schwarztee mit Zitrone wünscht er sich. Und auch eine Plastikbox mit Salat nimmt er gerne. Wie er die Kälte hier erträgt? "Indem man stur ist", sagt Ben und lacht. Pullover, Jeansjacke, Anorak, Strickmütze. "Und inzwischen habe ich eine zweite Isomatte." Ein Zeitungsausträger kommt vorbei und schenkt Ben ein Exemplar. Man kennt sich.
Natürlich würde er sich ein anderes Leben wünschen. "Mit Wohnung, Job und so. Aber ich bin halt ein Riesenanarchist." Am liebsten wäre ihm eine große Wohngemeinschaft, die alles, was man zum Leben braucht, selbst anbaut. "Aber sowas kann auf Dauer nicht funktionieren." Nun lebt er auf der Straße. Zwar kämen immer wieder Streetworker vorbei, die ihn in das Kälteschutzprogramm und Hartz IV reinbringen wollten, aber die lasse er abblitzen. Warum? "Weil ich es eben nicht will."
Fleisch mit Püree - und zum Nachtisch gibt's einen Pudding
Mit seinem Schlafplatz im Kaufhaus-Seiteneingang ist er zufrieden. Einigermaßen windgeschützt und trocken. Außerdem kämen immer genug Menschen vorbei, so dass er sich auch sicher fühle vor Diebstahl oder Angriffen. Da seien abgelegene Plätze gefährlicher. Den Humor lässt er sich auch vom Frost nicht nehmen: "Die Grünen haben schon vor vielen Jahren versprochen, dass es im Winter bald 20 Grad hat. Und jetzt ist es immer noch eisigkalt", sagt er und lacht.
Der Kältebus fährt weiter. Nächste Station ist ein Hauseingang an einer viel befahrenen Straße. Zwei Männer liegen hier in Schlafsäcke gehüllt auf ihren Matten. Die Kapuzen haben sie über die Köpfe gezogen. "Hallo? Tee? Kaffee? Was zu essen?", spricht Troitsch die beiden an. Kaffee nehmen sie gerne. Einer der beiden auch das Geschnetzelte. Troitsch packt Tisch und Kocher aus, erwärmt das Fleisch und rührt Püree an. Passanten schauen neugierig. Als Nachspeise gibt es Pudding. Die Männer freuen sich.
"Das sind Leute, mit denen kann man sich normal unterhalten"
"Das sind Leute, mit denen kann man sich normal unterhalten. Die wollen mit Respekt behandelt werden", sagt Troitsch über die Obdachlosen. Es gebe unterschiedlichste Gründe, warum sie auf der Straße leben. Job verloren, Wohnung gekündigt worden, Armutsmigration. Er hält seinen Wagen unter der Wittelsbacherbrücke an der Isar an. Das Thermometer zeigt neun Grad unter Null. Beißende Kälte. Hier haben sich Wohnungslose Matratzenlager eingerichtet.
Susanna und ihr Mann Alexander schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch. Jetzt freuen sie sich über Kaffee und Geschnetzeltes. Wieder bauen Troitsch und Schneider ihre kleine Küche auf. Etwas Soße tropft auf den Tisch und ist im Nu gefroren. Kaum vorstellbar, eine Nacht im Freien hier überleben zu können. "Wenn man zusammenrückt, wird es schon warm", sagt Susanna.
Zuletzt stoppt der Bus am Isartor. Ein Dutzend Obdachloser wartet. Darunter: ein Nachrichtentechniker, ein Zimmermädchen, ein Maschinenbau-Ingenieur, ein Studienabbrecher. Die Helfer verteilen den Rest der Speisen. Warum Troitsch, der Immobilienverwalter ist, das macht? "Ganz einfach weil es eine gute Sache ist."
(Ute Wessels, dpa)
Foto (dpa): Der Obdachlose Ben an seinem Schlafplatz an einem Kaufhaus.
Info: Hilfe für Münchner Obdachlose im Winter
Für Obdachlose in München gibt es im Winter spezielle Angebote. Das städtische Kälteschutzprogramm bietet Betroffenen eine warme Unterkunft. Angesiedelt ist es in der ehemaligen Bayernkaserne und wird vom Evangelischen Hilfswerk betrieben. Für alleinstehende erwachsene Frauen und Männer standen nach Angaben des Sozialreferates in der Saison 2015/2016 etwa 500 reguläre Kälteschutzplätze zur Verfügung. Zudem gibt es Plätze für Familien mit Kindern.
Zuflucht bekommen diejenigen, die die Angebote des sogenannten Regelsystems der Wohnungslosenhilfe nicht annehmen wollen oder - weil sie etwa keinen Aufenthaltsstatus haben - nicht annehmen können. Die Kälteschutzräume dürfen aber auch Armutsmigranten nutzen.
Ehrenamtliche Initiativen wie der Kältschutzbus und die Aktion Möwe Jonathan versorgen Obdachlose, die die städtischen Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht nutzen wollen oder können - und die auch die Kälteschutzräume nicht aufsuchen. (dpa)
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