Leben in Bayern

Iris Rußwurm-Laufer bemalt einen Stein für ein Sternenkind. Oft gehen tagelange, wenn nicht wochenlange Gespräche mit den Eltern voraus, bevor sie sich der Anfertigung des Grabschmucks widmen kann. (alle Fotos: Bäumel-Schachtner)

15.10.2021

Tränen auf Stein

Die 40-jährige Straubingerin Iris Rußwurm-Laufer hat einen außergewöhnlichen Beruf: Sie gestaltet Steine, Herzen, Sterne und Vasen für verstorbene Kinder

Angefangen hat alles damit, dass Iris Rußwurm-Laufer für ihre Frühchen keine passende Babykleidung fand. Damals war die Straubingerin noch Marketingleiterin. Sie gründete mit Mitstreiter*innen den Verein „Handgemachtes für Sternenkinder und Frühchen“. Und merkte schnell: Verwaisten Eltern mit selbst gestaltetem Grabschmuck Trost zu spenden, erfüllte sie weit mehr als der alte Job.

Wenn ein Kind stirbt, steht die Welt still. Für die Eltern ist nichts mehr, wie es war. Sie müssen versuchen, mit dem Verlust zu leben, und gleichzeitig ihrer Trauer um das geliebte Kind Raum geben, ohne völlig unterzugehen. Oft fühlen sich Betroffene allein mit ihrem Schmerz, unverstanden von den Menschen um sie herum, die nicht selten mit Hilflosigkeit reagieren. Und sich zurückziehen. Iris Rußwurm-Laufer hat sich zur Aufgabe gemacht, Eltern, die so schweres Leid erfahren haben, Lichtblicke zu schenken.

Die 40-Jährige aus Straubing gestaltet Vasen, Steine, LED-Kugeln, Sterne und Herzen aus Beton für Kindergräber. Sie bannt die Liebe der Eltern in kräftigen, fröhlichen Farben auf die Gegenstände. Für Eltern, deren Babys tot zur Welt kamen oder die ihr Kind durch einen Unfall oder eine schwere Krankheit – oft Leukämie – begraben mussten, bevor der kleine Mensch überhaupt richtig leben durfte.

Ein essenzieller Teil der Arbeit der empathischen Straubingerin: zuhören

Tupfen für Tupfen malt Iris Rußwurm-Laufer in wasserfesten, wetterbeständigen Farben kleine, leuchtende Punkte auf Steine. Sie werden zum bunten Motiv, das den Namen des Kindes umhüllt. Fast scheint es, als stünde jeder der bunten Tupfen für eine Träne der Eltern. „Eltern müssen eine andere Form finden, um ihrem verstorbenen Kind die Liebe zu geben, die sie ihm auf der Welt nicht mehr zuteilwerden lassen können“, sagt Rußwurm-Laufer. „Sie können ihren Kindern keine Schokolade mehr geben, keine Geschichte vorlesen, Zeit mit ihnen verbringen. Sie können nur noch ihr Grab schön machen. Und dabei möchte ich ihnen helfen.“

Das Wort „Grab“ verwendet die ungewöhnliche Künstlerin mit den roten Haaren, den Tattoos und den Piercings nur sehr selten. Im Umgang mit den Eltern, die ein Kind verloren haben, spricht sie von „Bettchen“ oder „Erdenbettchen“. Iris Rußwurm-Laufer sieht es so: Es ist das Ersatz-Kinderzimmer. In ihrer Trauer benötigen viele Mütter und Väter jemanden, der ihre Liebe ausdrücken kann. Rußwurm-Laufer kann das auf ihre eigene Art.

Früher war die Straubingerin Marketingleiterin bei einem großen Autohaus. Dass sie zweifache Mutter ist, ist ein Glücksfall. Zweimal machte sie Risikoschwangerschaften durch, die sie im Liegen verbringen musste. Beide Male kamen die Kinder als Frühchen auf die Welt, die aufgepäppelt werden mussten. Sie sind Rußwurm-Laufers ganzes Glück. Und durch sie hat sich auch einiges in ihrem Leben verändert.

Events zu organisieren und mit Champagner auf das Gelingen der Veranstaltungen anzustoßen war ihr irgendwann nicht mehr genug. Als Rußwurm-Laufer via Facebook nach Babykleidung für Frühchen suchte – in Läden fand sie so winzige Strampler nicht –, lernte sie eine Frau kennen, die solche Kleidung näht. Die Chemie stimmte auf Anhieb – und man gründete gemeinsam mit weiteren Mitstreiter*innen den Verein „Handgemachtes für Sternenkinder und Frühchen e.V.“. Rußwurm-Laufer übernahm das Marketing ehrenamtlich.

Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur Mütter mit Frühchen mit geeigneter Babykleidung zu unterstützen, sondern auch denjenigen Trost zu spenden, deren Kind tot auf die Welt gekommen ist oder kurz nach der Geburt starb. Dafür fertigten die Mitglieder sogenannte Trostboxen. Rußwurm-Laufer hatte die Idee, ihnen auch Steine für die Kindergräber beizulegen – und versuchte sich an ihren ersten Werken. Sie probierte und malte ununterbrochen, bis sie mit den Ergebnissen zufrieden war.

Und die Steine kamen an. Plötzlich riefen immer mehr Menschen an, ob sie solche Steine auch für sie gestalten könnte. Das Problem: Das ging ganz schön ins Geld – die Farben und Lacke sind teuer. Gleichzeitig merkte die junge Mutter aber auch, wie viel sie durch ihr Engagement zurückbekommt. Also meldete sie ein Gewerbe an, um alles ordnungsgemäß abzurechnen. Und merkte, dass sie diese Tätigkeit mehr erfüllte als ihr Marketing-Job. Sie gab ihn auf.

Es ist keine leichte Aufgabe, die sich Iris Rußwurm-Laufer da ausgesucht hat. Doch schon in ihrem früheren Unternehmen war sie der Mensch, zu dem alle kamen, wenn sie Probleme hatten. Und auch als Steinmalerin hört sie zu. Oft dauert es Tage oder gar Wochen, bis Eltern so weit sind, sich der eigentlichen Bestellung zuzuwenden. Davor muss die Geschichte über ihr Kind, um das sie trauern, erzählt werden – sie muss raus. Manchmal aber ist die Trauer auch so überwältigend, dass Mütter und Väter nicht über ihren Verlust sprechen können.

Fürs Zuhören stellt Iris Rußwurm-Laufer keine Rechnung. Auch dann nicht, wenn kein Auftrag zustande kommt. Und die empathische Frau hat auch Verständnis dafür, wenn es dauert, bis alles für den Stein, die Vase oder das Licht ausgesucht ist: die passende Schrift, die richtige Farbe und das perfekte Motiv. Oft wird jeder einzelne kleine Stern besprochen, Dutzende Fotos hin- und hergeschickt. „Bei Grabschmuck gibt es keine Kompromisse“, sagt sie selbst. Steine gibt es bei ihr in verschiedenen Größen und mit sämtlichen Motiven, bunt oder ganz schlicht. Oft sucht Rußwurm-Laufer in aufgelassenen Brunnen nach den Steinen, das richtige Material zu finden ist nicht leicht. Als eine Sternenkind-Mutter fragte, ob sie auch eine Grabvase gestalten würde, erfüllte Rußwurm-Laufer den Wunsch. Inzwischen hat sie auch Solarleuchten im Sortiment.

Manche finden ihre Tätigkeit befremdlich – ihr selbst gibt sie viel zurück

Erzählt sie von ihrem Beruf, erntet die kommunikative junge Frau nicht selten Befremden, manchmal auch blanke Ablehnung. Man habe ihr auch schon vorgeworfen, ein Geschäft mit dem Tod zu machen, erzählt sie. Wem sie ihre Preise nennt, schüttelt dann darüber aber oft den Kopf und fragt sich, wie Rußwurm-Laufer damit überhaupt auf einen Stundenlohn kommt, der nicht schmerzlich unter dem Mindestlohn liegt.

 Rußwurm-Laufer aber ist wichtig, dass sich alle ihre Sachen leisten können. Klar, mit fröhlich bemalten Steinen ohne traurigen Hintergrund ließe sich eine Menge Geld verdienen, meint sie. Das aber würde ihr nichts geben. „Ich möchte für meine Sternenkinder malen. Das ist meine wirkliche Berufung“, betont sie. So sehr Rußwurm-Laufer am Leid anderer auch teilnimmt, sie kann sich davon auch abgrenzen. Es sei wichtig, betont sie, weiter zu lachen, zu leben und für ihre Familie da zu sein.
Kommen ihre Werke bei den Eltern an, ist die Freude von Iris Rußwurm-Laufer groß. Und Grund zur Freude hat sie oft. Nicht selten ist es sogar die 40-Jährige, die als Erste erfährt, wenn wieder Nachwuchs unterwegs ist: „Das ist dann immer der absolute Wahnsinn, einfach nur wunderschön.“
(Melanie Bäumel-Schachtner)

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