Leben in Bayern

Im vergangenen Jahr feierte Ursula Kober in ihrem Naturladen in Neuburg an der Donau 40-jähriges Bestehen – im Sommer ist nun Schluss. (Foto: Stark)

24.02.2023

Überleben nach dem Corona-Boom

Inflation und drastisch gestiegene Energiekosten haben dem Biofachhandel zugesetzt – jetzt ist Durchhaltevermögen gefragt, was nicht alle leisten können

Als Ursula Kober beschloss, ihren Lebensmittelpunkt in München aufzugeben und in ihrer Geburtsstadt Neuburg an der Donau einen Naturladen zu eröffnen, gab es in Bayern weder eine Veggie- noch eine Ökoszene. 1982 war das. Auf 30 Quadratmetern verwirklichte sie ihren Lebenstraum. 40 Jahre später steht sie – unterstützt von zwei 450-Euro-Kräften – noch immer jeden Tag in ihrem Laden mitten im Zentrum der 30 000-Einwohner*innen-Stadt. Mit 73 Jahren. „Noch vor 15 Jahren haben sie bei Aldi, Lidl und Edeka über uns gelacht“, sagt Kober. Inzwischen findet man in allen Supermärkten und Discountern eigene Bioabteilungen, die beständig wachsen.

In der Hochphase der Pandemie konnten viele Menschen gar nicht genug Bioprodukte in die Hände bekommen. Der Urlaub in Übersee war gestrichen, ebenso wie Restaurant- oder Theaterbesuche. Auch große Feiern waren nicht möglich. Entsprechend hatten viele Menschen mehr Geld zur Verfügung, das sie dann in hochwertige Lebensmittel investierten. Auch um damit zu Hause zu kochen – denn viele Betriebe hatten zeitweise ihre Kantinen geschlossen.

So legte der Umsatz mit Biolebensmitteln bundesweit im zweistelligen Prozentbereich zu. Für Bayern gibt es keine separaten Zahlen. Nicht nur Supermärkte und Discounter mit ihrem immer größeren Biosortiment profitierten von dem Ökoboom während der Pandemie. Auch Bioläden und -supermärkte verzeichneten Rekordumsätze. Betrug der Umsatz bundesweit 2019 noch 3,76 Milliarden Euro, stieg er bis 2021 auf 4,21 Milliarden Euro.

Auch Ursula Kobers kleiner Laden profitierte von dem Bioboom. Um 10 Prozent ging der Umsatz im ersten Jahr der Pandemie nach oben. „Aber nur ganz kurz“, sagt Kober.

Mit dem sich ankündigenden Ende der Pandemie und der vor allem durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Energie- und Inflationskrise gingen die Umsätze überall wieder zurück. Das bekam besonders der Fachhandel zu spüren. Dort wurden 2022 nur noch 3,83 Milliarden Euro umgesetzt, 12 Prozent weniger als 2021. Bei den Bioprodukten insgesamt waren es 15,3 Milliarden Euro – ein Rückgang um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ende des vergangenen Jahres gab die in München sitzende Biokette Basic dann bekannt, dass sie Insolvenz im Eigenverfahren beantragt hatte. Auch andere Biounternehmen klagten über die deutlich höheren Kosten und die zurückgehenden Einnahmen, die sie wesentlich mehr als die normalen Supermärkte und Discounter betrafen. Die Kundschaft wollte offenkundig ihr Geld lieber zusammenhalten.

Im Sommer ist der Naturladen wohl Geschichte

Ursula Kober hat die Zahlen sofort im Kopf parat. 2021 ging der Umsatz in ihrem Laden schon wieder um 5 bis 6 Prozent zurück. 2022 waren es gar 8 Prozent minus. Sie entschied sich schließlich auch aus gesundheitlichen Gründen Anfang des Jahres – schweren Herzens –, den Mietvertrag zu kündigen und im Sommer aufzuhören.

Dass sie oftmals nachhaltigere und hochwertigere Produkte in ihrem Geschäft als die Supermärkte und Discounter anbietet, das sähen viele Leute nicht, sagt Kober leicht resigniert. „Die meisten wollen gar nicht so genau hinschauen.“ Und so kommen zwar immer wieder auch junge Menschen in ihren Laden, die gerade das Thema der ökologischen Ernährung für sich entdeckt haben. Doch nicht genug, um die gleichzeitig sinkende Zahl an Kundschaft auszugleichen. „Meine Stammkunden sterben“, sagt sie. „Ich habe viel von anderen aus meiner Pioniergeneration gelesen. Die suchen alle Nachfolger.“ Sicher gebe es auch kleine inhabergeführte Läden, die gut laufen, sagt Kober. Doch da setzten die Betreibenden oft auf Events wie regelmäßige Themenabende. Dafür fehle ihr mittlerweile die Kraft.

Von einer Biokrise will aber niemand sprechen. Die gesamte Branche verweist darauf, dass die Umsätze im Handel insgesamt wie auch im Fachhandel immer noch über den Zahlen aus der Vor-Corona-Zeit liegen.

„Wir hatten einen extremen Corona-Boom“, sagt Heidi Kelbetz, Sprecherin der bayerischen Landesvereinigung für den ökologischen Landbau (LVÖ). Und nun seien die Umsätze wieder auf ein normales Niveau zurückgegangen. Dabei spielt aus ihrer Sicht auch die Psychologie eine große Rolle: „Der Preisabstand zwischen Bio- und konventionellen Produkten war noch nie so gering wie gerade“, sagt sie. Doch den Menschen sei das leider nicht so bewusst. Dabei seien die konventionellen Produkte stärker den Schwankungen am Weltmarkt und den höheren Energiepreisen unterworfen, sodass Bionudeln zum Beispiel aktuell sogar günstiger zu haben sind. Und die Discounter erhöhten Kelbetz zufolge viele Bioartikel deutlich, mehr als der Biofachhandel. Seit Herbst melden laut Kelbetz auch wieder viele Fachgeschäfte steigende Umsätze. „Bio ist gekommen, um zu bleiben“, bekräftigt sie.

Mehrere Bioläden sprechen von einer Durststrecke, die es gerade zu überwinden gelte. Auch Ursula Kober könnte sich vorstellen, dass ihr Laden in ein bis zwei Jahren wieder mehr Umsatz erwirtschaftet. „Aber mit fast 80 muss ich mich nicht mehr in den Laden stellen.“ Sie habe ohnehin vorgehabt, mit 75 aufzuhören. Nur hätte sie den Laden, ihr Lebenswerk, dann gerne übergeben. Eine Nachfolge ist bislang aber nicht in Sicht. 

Unterstützung durch Politik gefordert

In der Branche wird unterdessen die Forderung nach einer Unterstützung durch die Politik laut. Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) will unter anderem die Senkung der Mehrwertsteuer bei allen Produkten mit Biosiegel auf 0 Prozent. Die LVÖ sowie die Bioketten fordern, dass die Kosten von Produkten für die Gesellschaft stärker eingepreist werden – etwa für den Einsatz von Pestiziden beim Anbau von konventionellem Gemüse oder weite Transportwege.

Das bayerische Landwirtschaftsministerium will die Branche auf andere Weise stärken. Eine Sprecherin verweist auf mehrere Initiativen zur Unterstützung von Bioerzeugnissen und -produzierenden. Etwa mehr Werbung für das bayerische Biosiegel – und ein Coaching-Angebot für die Außer-Haus-Verpflegung: „Hier besteht großes Potenzial, denn immer mehr Menschen essen in Kita und Schule, Betriebskantinen, Unimensen und Senioreneinrichtungen“, erklärt die Sprecherin. Der Bioanteil dort ist noch gering. Die Produkte dafür sollen Ökobetriebe liefern.

Doch die Umwandlung von konventionellen landwirtschaftlichen Betrieben ist zuletzt auch ins Stocken geraten. In Bayern gab es zwar 2022 laut Landwirtschaftsministerium einen Zuwachs, der fiel aber äußerst gering aus. Gerade einmal 300 Betriebe mit einer Fläche von 7000 Hektar stellten um. Der Ökoanteil in der Landwirtschaft beträgt nun 13 Prozent. Politisch vereinbart war das Ziel von 30 Prozent bis 2030.

Im Landwirtschaftsministerium räumt man ein, dass das ein „natürlich sehr ambitioniertes Ziel“ sei. „Wir gehen aber davon aus, dass sich im Laufe dieses Jahres wieder mehr Betriebe mit der Umstellung befassen werden.“ Das glaubt auch die LVÖ. „Die Umstellung ist ein langfristiges Projekt. Und die Betriebe, die sich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken tragen, werden auch umstellen“, sagt Sprecherin Kelbetz. (Thorsten Stark)
 

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