Leben in Bayern

Ein Wasserschöpfrad an der Regnitz. Früher dienten die Wasserschöpfräder in der regenarmen Region von Pegnitz, Rednitz und Regnitz der künstlichen Bewässerung von sandigen Wiesengrundstücken. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

03.08.2021

Uralte Kulturtechnik mit aktueller Bedeutung

Die Wässerwiesen haben seit Jahrhunderten Tradition in Franken. Heute sind sie vielerorts verschwunden. Angesichts von Klimawandel und Hochwasser könnten sie jedoch eine Renaissance erleben

Unermüdlich dreht sich das große Holzrad und schöpft Wasser aus der Regnitz. In Möhrendorf, einer kleinen Gemeinde bei Erlangen, fühlt man sich Jahrhunderte in der Zeit zurückversetzt. Schon vor mehr als 600 Jahren bewässerten Wasserschöpfräder und ein ausgeklügeltes System aus Staugräben dort den sandigen Boden. Nur so konnten Landwirte ihre Wiesen und Felder bestellen.

Heute gehört die traditionelle Wiesenbewässerung in Franken zwischen Forchheim und Schwabach zum immateriellen Kulturerbe in Deutschland. Im März nahm die deutsche Unesco-Kommission sie in das bundesweite Verzeichnis auf.

Einst drehten sich etwa 250 Wasserschöpfräder in der Region. Heute sind es in Möhrendorf nur noch zehn, die Ehrenamtliche von Mai bis September betreiben. Jedes Jahr im Frühjahr müssen diese Helfer die im Durchmesser etwa vier Meter großen Räder aus etlichen Einzelteilen neu zusammensetzen und am Fluss einbauen, im Herbst folgt dann wieder der Abbau. "Das ist Schwerstarbeit", sagt Möhrendorfs Bürgermeister Thomas Fischer, der seit 15 Jahren eins der Räder betreut.

Bis zu 1,4 Millionen Liter Flusswasser schaufeln diese Räder am Tag mit ihren Schöpfeimern - Kümpfe genannt - in einen Holztrog, von wo das Wasser über eine Rinne in die Gräben läuft. "Früher hat es in diesen Wiesen überall Gräben gegeben", sagt Fischer. Heute existieren viele davon nicht mehr, weil die Landwirte inzwischen elektrische Pumpen benutzen.

Das Wissen geht immer mehr verloren

Die Räder drehen sich trotzdem weiter - um das Kulturgut zu bewahren, wie Fischer erläutert. Das Wissen über Auf- und Abbau, Herstellung und Wartung werde innerhalb der Vereine, die die Räder betreuen, weitergegeben. Doch die haben Nachwuchsprobleme. "Das Wissen geht immer mehr verloren. Es gibt nur noch wenige, die die Räder einbauen können", sagt Fischer.

Bei Forchheim und im Rednitztal rund um Nürnberg bewässern Landwirte noch heute auf traditionelle Weise ihre Wiesen, um ihre Kühe mit frischem Gras und Heu füttern zu können. Dafür stauen sie in Gräben Wasser auf und lassen das umliegende Gelände gezielt überfluten.

Knöchelhoch stehe das Wasser dann, erläutert der zuständige Fachbereitsleiter Johannes Mohr vom Landratsamt Forchheim. Der Boden wird dadurch nicht nur gut durchfeuchtet, sondern auch mit vielen Nährstoffen versorgt. Der Effekt lässt sich besonders gut im Sommer beobachten: An den Hängen ist das Gras vertrocknet braun, im Tal dank Bewässerung saftig grün.

Mehrere Wässergenossenschaften unterhalten die Anlagen und bewahren das Wissen. "Die gehen zum Teil bis ins 14. Jahrhundert zurück", sagt Mohr. In den Satzungen stehe genau, wer welche Wiese wie lange wässern dürfe. "Das hat auch lange Tradition."

Die Bewässrungstechnik stammt wohl aus den Nahen Osten

Ursprünglich stammt die Bewässerungstechnik mit Wasserrädern und Grabensystem nach Ansicht von Fachleuten aus Mesopotamien. Kreuzritter, Pilger oder Nürnberger Kaufleute brachten diese Idee vermutlich von ihren Reisen in den Nahen Osten nach Franken.

Faszinierend sei, wie die Menschen das raffinierte Grabensystem vor Jahrhunderten ohne genaue Messgeräte anlegen konnten, findet Gisa Treiber vom Nürnberger Umweltamt. Das Gelände müsse so geneigt sein, dass das Wasser langsam drüber läuft. "Es muss genau passen."

Doch was einst Fortschritt brachte, erlebte mit der Industrialisierung nach und nach seinen Niedergang. Elektrische Pumpen, Beregnungsanlagen und Kunstdünger machten die mühevolle Handarbeit unrentabel. Doch vor allem der Wandel der Landwirtschaft ließ die Wässerwiesen schwinden. Gräben wurden zugeschüttet, um Flächen zu vergrößern und für Traktoren passierbar zu machen. Statt be- wurde entwässert, um Ackerboden zu gewinnen.

Damit ging auch wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere in den Feuchtwiesen und an den Grabenrädern verloren: Libellen, Molche, Frösche, Kröten, Sumpfschrecke und stark gefährdete Wiesenvögel sind einige der vielen Arten, die in den verbliebenen Gebieten vorkommen.

In Möhrendorf schöpft das größte Rad des Ortes, das "Vierzigmannrad", heute deshalb Wasser, das in ein Feuchtbiotop fließt. "Das lockt auch den Storch", sagt Bürgermeister Fischer und zeigt in den Himmel, wo einer der schwarz-weißen Vögel seine Kreise auf der Suche nach Futter zieht.

Paradies für die Artenvielfalt

Wässerwiesen sind ein Paradies für die Artenvielfalt, könnten aber auch angesichts des Klimawandels an Bedeutung gewinnen. Denn diese speicherten große Mengen Kohlenstoff, erläutert Mohr. Außerdem kühlten diese die Temperatur in Forchheim messbar herunter. Auch in Nürnberg sorgten die Wässerwiesen für kühle Frischluft und schützten außerdem vor Hochwasser, da dieses über die Gräben abfließen könne, sagt Treiber.

Das Landratsamt Forchheim will deshalb die traditionelle Bewässerungstechnik in Deutschland bekannter machen und dafür werben, frühere Wässerwiesen wieder zu aktivieren. Dafür soll zusammen mit Interessensvertretern der Queichwiesen in Rheinland-Pfalz, die nach einem ähnlichen Prinzip bewässern und ebenfalls zum immateriellen Kulturerbe zählen, eine bundesweite Agentur gegründet werden, sagt Mohr.

Die Aufnahme erst in das bayerische und dann in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes habe den fränkischen Wässerwiesen auf jeden Fall geholfen, meint Mohr. "Das Thema hat Fahrt aufgenommen."

Der nächste Schritt ist auch schon in Planung: Die Wässerwiesen sollen Welterbe-Status erhalten. Dafür haben sich nach Angaben von Mohr sechs europäische Länder mit traditionellen Bewässerungssystemen zusammengeschlossen. Neben Deutschland sind bisher Österreich, die Schweiz, die Niederlande, Belgien und Luxemburg dabei. Bis März 2022 muss der Antrag fertig sein.
(Irena Güttel, dpa)

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