Sie helfen Neuankömmlingen bei Alltagsproblemen, bieten kostenlose Rechtsberatung oder medizinische Versorgung und unterrichten Deutsch. Viele junge Menschen im Freistaat unterstützen Altersgenossen aus fremden Ländern. Und einige profitieren dabei selbst enorm, zum Beispiel wenn ihnen Afghanen die Landessprache Dari beibringen.
Jeder kennt sein Gesicht und seine Relativitätstheorie, aber nur wenige verbinden Albert Einstein mit einem Flüchtling. Doch der gebürtige Ulmer flüchtete vor den Nationalsozialisten 1935 in die USA. Die Deutsche Akademische Flüchtlingsinitiative, die sich seit 1992 um Flüchtlinge kümmert, trägt deshalb den Namen des Nobelpreisträgers. Und auch immer mehr junge Menschen engagieren sich ehrenamtlich. Eine davon ist Özlem Körolu. Die Münchner Studentin arbeitet seit fast zwei Jahren ehrenamtlich bei der Inneren Mission in der Erstaufnahmeeinrichtung für Menschen mit Fluchterfahrung. „Für mich bedeutet diese Tätigkeit das Aufbauen einer Brücke zu Menschen, die eine benachteiligte Rolle in unserer Gesellschaft haben“, erklärt sie.
In der ersten Zeit hat Körolu insbesondere mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Ausflüge unternommen, weil die Unterkünfte keine Freizeitaktivitäten anbieten. Aktuell begleitet sie eine Alleinerziehende mit ihren drei Kindern zu verschiedenen Ärzten. „Eins davon hat autistische Erkrankungserscheinungen und die Mutter ist damit völlig überfordert“, erklärt Körolu. Und sie empfiehlt auch anderen Jugendlichen, sich zu engagieren: „Durch die gemeinsame Zeit mit den Flüchtlingen habe ich so viel mehr über mich selbst und über das Leben anderer Menschen gelernt, was mir allein nur durch das Lesen von Büchern nie vermittelt werden könnte.“
Eine andere junge Frau, die sich für Flüchtlinge einsetzt, ist Franziska Faßbinder. Sie gründete vor einem Jahr die Refugee Law Clinic Munich, die Asylbewerbern kostenlose Rechtsberatung anbietet. In den wöchentlichen Sprechstunden in Dachau geht es um Ausländerrecht, Krankenhausrechnungen, Handyverträge oder Ärger mit dem Sozialamt. Inzwischen hat die Gruppe fast 60 Mitglieder, inklusive 16 Übersetzern und neun Anwälten zur Expertise.
Allein ein Arztbesuch kann eine große Hürde bedeuten
Fabian Jacobs hat mit „International Medical Culture“ die Unterstützung für Flüchtlinge sogar an der medizinischen Fakultät der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) institutionalisiert. „Im Medizinstudium kam die

Kultur bis dahin zu kurz“, sagt er. Sein Projekt aber fördert nun die interkulturelle Kompetenz im Medizinstudium: Es geht zum Beispiel darum, welche Möglichkeiten es gibt, wenn Flüchtlinge keine Aufenthaltsgenehmigung oder Krankenversicherung haben und rein rechtlich trotz Krankheit abgewiesen werden müssten. „Das wird auf jeden Arzt zukommen, daher müssen sich Studierende schon jetzt überlegen, wie sie mit dieser Frage umgehen.“
In Seminaren mit Experten wird darüberhinaus diskutiert, wie beispielsweise die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Bayern verbessert werden und welchen Beitrag jeder Einzelne dazu leisten kann. „Davon profitiert die LMU, aber auch die Gesellschaft“, schwärmt Jacobs und kann schon auf einen ersten Erfolg verweisen: MigraMed. Diese Initiative von einigen seiner ehemaligen Teilnehmer betreut in Zusammenarbeit mit der Caritas Flüchtlinge und ihre Familien bei medizinischen Fragen, Arztbesuchen oder Sprachproblemen.
An anderen Hochschulfakultäten wird Flüchtlingshilfe sogar im Lehrangebot berücksichtigt. Da die Zahl der berufsschulpflichtigen Asylbewerber und Flüchtlingen im Freistaat stark gestiegen ist, reagierte das Kultusministerium mit der Einrichtung von speziellen Klassen an Berufsschulen. Mangels qualifizierter Lehrkräfte bat die Staatsregierung Kooperationspartner wie die Technische Universität München (TUM) und die LMU um Unterstützung. Gemeinsam mit ihren Studierenden schaute sich Sprachwissenschaftlerin Elisabetta Terrasi-Haufe bei Hospitationen den Unterricht im Berufsbildungswerk Waldwinkel in Aschau am Inn an und entwickelte zusammen mit der Regierung von Oberbayern ein Fortbildungskonzept. Im letzten Schuljahr unterrichteten ihre angehenden Lehrerinnen und Lehrer in einigen Klassen und erprobten neue Materialien. Deutsch wird dabei anhand problembasierter Aufgaben in allen Fächern vermittelt, beispielsweise bei der Kfz-Stunde in der Werkstatt.
„Die Schüler haben sich sehr über den Austausch mit den Studierenden und die Aufmerksamkeit gefreut“, berichtet sie. Zudem hätten engagierte Doktoranden des Instituts aus Marokko und Burkina Faso den jungen Ausländern Mut gemacht. „Viele von ihnen träumen davon, an einer Hochschule zu studieren.“ Das scheint alles andere als unmöglich: Trotz der oft traumatischen Erfahrungen würden die berufsschulpflichtigen Asylbewerber und Flüchtlinge sehr schnell lernen, einige hätten bereits einen guten Bildungshintergrund. So verwundert es nicht, wenn nach zwei Jahren bereits zehn von 15 einen Ausbildungsvertrag haben. Auf der Grundlage dieser ersten Erfahrungen entwickeln LMU und TUM in den nächsten drei Jahren mit Unterstützung der Stiftung Mercator ein neues Unterrichtsfach „Sprache und Kommunikation Deutsch“ für Studierende des Lehramts berufliche Bildung.
Speeddating zwischen Afghanen und Bayern
Manchmal helfen aber auch Flüchtlinge den Menschen in Bayern. In einem Fall organisierten Jugendliche zusammen mit dem Verein für globales Lernen „Commit to partnership“ das Projekt „Perspektiven bilden“. Dabei wollten die Organisatoren lernen, welche Lebenswege es gibt und welcher Weg der richtige für sie ist. Um Alternativen aufzuzeigen, wurde neben unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auch ein geflüchteter Agraringenieur aus dem Kongo eingeladen.
In einem anderen Fall wagte die Kulturwissenschaftlerin Angela Parvanta ein in Deutschland bisher einzigartiges Experiment: Afghanische Flüchtlinge sollten Interessierte in ihrer Landessprache Dari unterrichten. Lange mussten sie nicht nach Sprachtrainern suchen: An der Münchener SchlaU-Schule, die schulanalogen Unterricht für junge Flüchtlinge durchführt, kommt knapp jeder Zweite aus Afghanistan. Sie wissen, wie es sich anfühlt, eine Sprache nicht zu verstehen. Zum Kennenlernen führten die Schüler mit 20 Teilnehmern ein Speeddating auf Dari durch. Neben der spielerischen Vermittlung der Sprache waren auch landeskundliche und kulturelle Aspekte Teil des Unterrichts. So wurde über die Küche, den Humor, die Musik, die Literatur und vieles mehr auf Dari gesprochen und diskutiert. „Immer in Tandems – wegen der verschiedenen Dari-Dialekte“, ergänzt Parvanta.
Zum Abschluss des zweiwöchigen Intensivkurses ging es dann in den Englischen Garten, wo die Teilnehmer den Afghanen ihre Lieblingsorte auf Dari näherbringen sollten. „Sie haben durch den Sprachkurs viele Berührungsängste abbauen können, wurden aber auch mit viel Elend konfrontiert“, resümiert Parvanta. Durch die teils jahrelange Flucht hätten viele Jugendliche eine Geschichte hinter sich, die für beide Seiten nicht leicht zu ertragen sei. So können selbst hochgebildete Flüchtlinge trotz unbefristeter Aufenthaltserlaubnis oft nicht über ihre Flucht sprechen. „Aus Sicherheitsgründen“, erzählt Aabid Al Sayed (Name geändert) beim Stammtisch in der evangelischen Studentengemeinde. Er musste nach seinem Studium an der Universität Damaskus Syrien aus religiösen Gründen verlassen. „Außerdem ist meine Familie leider noch in meinem Heimatland“. Für die Flucht habe die Familie Schlepper bezahlen und sich verschulden müssen. Da wäre es nicht gut, wenn bekannt würde, dass er jetzt in Deutschland lebt. Geld habe er nämlich keines: „Ich habe zwar einen Nebenjob, aber der lohnt sich nicht“, sagt der 28-Jährige. Sein größter Wunsch neben der Zusammenführung mit seiner in den syrischen Kriegswirren gefangenen Familie ist ein bescheidener: Mehr Ausflüge – „damit wir Bayern und seine Kultur endlich besser kennenlernen können.“
(
David Lohmann)
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