Leben in Bayern

Das Klinikum Ingolstadt hat die bundesweit erste Telefon-Hotline für ukrainische Kriegsflüchtlinge eingerichtet. (Foto: dpa/Armin Weigel)

23.05.2022

Trauma kommt noch

Sie haben teils Schreckliches erlebt, mussten ihr Zuhause, viele ihre Lieben zurücklassen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ukrainische Flüchtlinge psychische Probleme bekommen, ist hoch. Dennoch ruft kaum jemand bei einer Spezial-Hotline an. Dafür gibt es Gründe

Bei der bundesweit ersten psychologischen Telefon-Hotline für ukrainische Kriegsflüchtlinge ist die Nachfrage auch zwei Monate nach Beginn verhalten. Einer der Gründe könne sein, dass das Angebot schlicht noch nicht so bekannt sei, sagte Felizitas Schweitzer vom Klinikum Ingolstadt, das die Beratung auf Deutsch und auf Russisch - einer in der Ukraine weit verbreiteten Sprache - auf die Beine gestellt hat. Ein anderer: "Es ist eigentlich noch zu früh."

"Eine posttraumatische Belastungsstörung tritt mit einer Verzögerung von mehreren Wochen bis wenigen Monaten auf", erklärte die bereichsleitende Psychologin vom Zentrum für psychische Gesundheit. Entsprechend rechnet Schweitzer ebenso wie andere Fachleute damit, dass die Nachfrage nach psychologischer Hilfe noch steigen wird. Die Ingolstädter vermitteln unter der Telefonnummer 0841 880 2206 oder per Email unter zpg@klinikum-ingolstadt.de auch Angebote vor Ort.

Derzeit handele es sich aus fachlicher Sicht überwiegend um Belastungsreaktionen. "Die Betroffenen haben Angst, sind schreckhaft, schnell störbar, fühlen sich insgesamt ganz, ganz unsicher." Das Urvertrauen sei zumindest vorübergehend gestört, erklärte Schweitzer. "Sie sind ständig auf der Hut. Das ist nicht bewusst, sondern das ist eine unbewusste Reaktion des Körpers. Der ist physiologisch in einer Alarmbereitschaft, was dazu führt, dass der Schlaf schlecht ist, sie nachts aufschrecken, insgesamt nicht zur Ruhe kommen."

Das Wichtigste: Sicherheit vermitteln

Ganz wichtig - für Gastfamilien und andere Helfer ebenso wie für die Eltern ukrainischer Kinder - sei es, nun Sicherheit zu vermitteln. "Darüber reden, dass sie jetzt in Sicherheit sind, dass man versucht, Routinen in den Alltag zu bekommen, gemeinsam essen, gemeinsam spielen, zusammen spazieren gehen - solche Sachen. Damit wieder eine Vorhersagbarkeit eintritt", erläuterte Schweitzer hilfreiche Schritte.

Dennoch sei die Gefahr groß, dass die Geflohenen schwerwiegende psychische Probleme entwickelten. "Sicherheit heißt, ich bin in einer ruhigen Umgebung, ich weiß, was morgen passiert, ich bin wieder in meiner Routine drin. Das ist in der Situation als Geflüchtete schwierig. Diese Menschen kommen irgendwo hin, können die Sprache nicht, der Alltag ist weg, sie kennen das System hier nicht, und: Sie wissen nicht, wie die Zukunft ist", schilderte Schweitzer. "Erschwerend kommt hinzu, dass sie persönlich zwar in Sicherheit sind, sie aber Angehörige haben, etwa ihren Ehemann, der nicht in Sicherheit ist, und das gehört eventuell zu ihrem Wir hinzu."

Günstig für die Prognose hingegen sei es, dass viele Menschen zugleich betroffen seien, ergänzte Schweitzer. "Sie teilen jetzt ihr Schicksal. Man weiß aus Erfahrung, dass im Krieg ganz viele Leute posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln, aber im Vergleich zu den Gräueltaten, die sie erlebt haben, weniger, weil sie nicht alleine waren."

Und auch Eltern, die zuliebe ihrer Kinder nun erst einmal einfach "funktionierten", hätten durch diesen Verdrängungsmechanismus einen gewissen Schutz. "Aber wenn das Trauma einen einholt, dann muss man psychologisch-psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen."
(Elke Richter, dpa)

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