Leben in Bayern

Viel frische Luft, dafür kaum freie Wochenenden: Robert Böttger hat seine Entscheidung, zur Reiterstaffel zu gehen, nie bereut. Seit zwei Jahren ist das Pferd Aries sein vierbeiniger Partner. Foto: Frenzel

10.12.2010

Wenn das Pferd zum Kollegen wird

Serie: Blaulicht – Bayerns Polizei im Einsatz (VI): Zu Besuch bei der Münchner Reiterstaffel

Wenn der Münchner Polizist Robert Böttner auftaucht, schaut jeder hin, die Leute grüßen ihn, lächeln. „Sie haben den schönsten Beruf der Welt“, sagen viele Menschen zu ihm. Dabei macht er Streifendienste und geht zu Einsätzen, wie jeder andere Polizist auch. Der große Unterschied: Sein Partner ist ein Pferd. Manchmal rettet Robert Böttner zusammen mit seinem Pferd Menschenleben, zuletzt Anfang November. Der 60-jährige Polizist war mit drei Kollegen und vier Pferden in die Garchinger Heide gefahren, er ist stellvertretender Gruppenleiter bei der Münchner Polizeireiterstaffel. Die Kollegen hatten ihn gerufen, weil eine demente Frau verschwunden war. Es war Nachmittag, kalt und windig. Die Nacht würde die alte Frau wahrscheinlich nicht überleben. „Ihr Mann sagt, dass sie gern auf diesen Wegen spazieren geht“, sagte der Einsatzleiter und zeigte ihm auf einer Karte das Waldstück. Böttner kennt die Garchinger Heide gut, oft reiten er und seine Kollegen dort, um nach dem Rechten zu sehen.


Nur jeder dritte Reiter
darf eine Frau sein


Die vier teilten sich in zwei Gruppen auf, aus verschiedenen Richtungen ritten sie die Wege ab. Sie kamen an Streifenpolizisten vorbei, die systematisch den Wald durchkämmten, über ihnen kreisten Polizeihubschrauber. Da erreichte Böttner ein Funkspruch der beiden Kollegen von der Reiterstaffel: „Wir haben sie gefunden.“ Vom Pferderücken aus hatten die Reiter die Frau entdeckt, sie saß ein paar Meter vom Weg entfernt im Wald. „Solche Erlebnisse zeigen, wie wichtig unsere Arbeit ist“, sagt Böttner und lächelt. Er sitzt in der Bauernküche eines alten Hofs in Daglfing, in dem die Münchner Reiterstaffel untergebracht ist.
Seit 40 Jahren ist er Polizist und seit 32 Jahren auf dem Pferd unterwegs. Nachdem er ein paar Jahre Streifenwagen gefahren war, wollte er etwas anderes machen. Immer schon war er sehr sportlich gewesen, er machte modernen Funfkampf, auch Reiten gehörte dazu. Da entdeckte er die Reiterstaffel und bewarb sich sofort. Für ihn klang es nach einem Traumjob: Den ganzen Tag konnte er an der frischen Luft sein, Sport machen, mit Tieren zu tun haben.
Wenige Monate später durfte er anfangen. Auch heute noch ist es sein Traumjob. Bei den Polizisten ist die Reiterstaffel eine beliebte Einheit, vor allem bei Frauen. Der Berufsalltag klingt zu schön, um wahr zu sein: Fast jeden Tag dürfen sie auf dem Pferd durch den Englischen Garten reiten oder durch die Naturschutzgebiete im Landkreis München.
Doch auch bei der Reiterstaffel wird echte Polizeiarbeit geleistet, oft ist es anstrengend: Fußballspiele und Demonstrationen gehören zur Routine, die Beamten haben selten ein freies Wochenende. Das schreckt die wenigsten, der Ansturm auf die wenigen Plätze ist groß. 34 Polizisten gehören zur Münchner Reiterstaffel, nicht jedes Jahr geht einer in Rente.
Und die berittenen Polizisten sind in Deutschland eine Seltenheit: In Bayern gibt es noch eine zweite Reiterstaffel mit sieben Mann in Rosenheim, im ganzen Land gibt es insgesamt nur zehn. Die Aufnahmebedingungen sind streng: Die Beamten müssen sehr sportlich sein, sie dürfen nicht zu groß sein, nicht wetterempfindlich– denn raus müssen sie bei Sturm, Schnee, Minusgraden und in der größten Sommerhitze. Sie müssen unter 30 Jahre sein und nach der Polizeischule mindestens drei Jahre Streifendienst hinter sich haben.
Für die Frauen ist es noch schwerer, einen Platz zu bekommen. Nur ein Drittel der Einheit stellen Polizistinnen dar und das soll nach Wunsch der Direktion auch so bleiben. Wer es geschafft hat, bleibt fast immer bis zum Ende seiner Laufbahn. „Nur manchmal passiert es, dass ein Neuling in der Probezeit aufhört, weil ihm die Arbeit zu anstrengend ist oder er mit den Pferden nicht zurecht kommt“, sagt Robert Böttner. Wenn er seine Arbeit beginnt, schaut er fast immer zuerst bei den Pferden vorbei. Der Stall liegt nur wenige Meter von seinem Büro entfernt.
Seit zwei Jahren reitet er den Braunen Aries. Als Brauner bezeichnet man ein Pferd mit braunem Fell und schwarzer Mähne und Schweif. An den Schritten erkennt das Pferd seinen Reiter schon beim Näherkommen. Wenn Böttner die Stalltür öffnet, stupst Aries ihn an, schmiegt den Kopf an ihn. Böttner streichelt ihn am Kopf, sagt „Guter Junge“. Wenn er von Aries spricht, nennt er ihn „mein Kollege“. Die beiden sind ein Team.
43 Pferde gehören zur Reiterstaffel, alle sind bayerische Warmblüter und Wallache. Genauso wie die Reiter werden auch die Pferde sorgfältig ausgewählt, zunächst nach optischen Gesichtspunkten: Sie müssen groß sein, eine robuste Statur haben. Dann wird der Charakter geprüft: Ist das Tier nervenstark, ruhig? Erfüllt das Tier die Kriterien, kommt es zur Probe in die Reiterstaffel.
Sie werden ein paar Monate eingeritten, dann müssen sie in den Einsatz. Pferde sind scheue Tiere, bis es soweit ist, müssen sie viel üben. Jeder Beamter reitet ein Pferd über mehrere Jahre hinweg. Nur die Anfänger trainieren auf verschiedenen Pferden, um sich an die unterschiedlichen Charaktere zu gewöhnen. „Danach gilt bei uns das Prinzip: Ein junger Reiter arbeitet mit einem alten Pferd und umgekehrt“, erklärt Böttner. „Denn ältere Pferde haben viel Erfahrung und sind deshalb einfacher zu reiten.“
Das Zusammenspiel zwischen Polizisten und Pferden muss bei Einsätzen perfekt klappen. Die Reiter sind häufig da unterwegs, wo viele Menschen sind: bei Demonstrationen, bei Fußballspielen, bei Konzerten. Der Beamte muss das Tier immer unter Kontrolle haben. Damit das klappt, müssen auch die neuen Reiter lang üben, bevor sie in den Einsatz dürfen.
Alle Polizisten haben einen Tag in der Woche Reitunterricht, um nicht aus der Übung zu kommen, Schritt, Trab, Galopp. Ein Mal im Monat gibt es zudem eine große Einsatzübung. Die Polizisten zu Fuß bilden eine Menschenmenge, durch die die berittenen Beamten reiten müssen, manche spielen aggressive Fans oder Demonstranten. Auch für die Pferde sind diese regelmäßigen Übungen wichtig. „Die Tiere müssen auch im Chaos ruhig bleiben und volles Vertrauen zu ihrem Reiter haben, sonst gehen sie durch“, sagt Böttner.
Unfälle seien noch nie passiert, ergänzt er und klopft auf den Holztisch in der Bauernküche in Daglfing. „Natürlich fällt immer wieder mal einer vom Pferd, aber das passiert meistens beim Üben in der Reithalle, und schwer verletzt hat sich da keiner.“
Die schwierigsten Situationen hat Böttner bei Einsätzen während Fußballspielen erlebt. Erst vor ein paar Tagen musste er gemeinsam mit neun Kollegen zwei Fangruppen davon abhalten, aufeinander loszugehen. Es war bei einem Bayern-Spiel. Böttcher und die anderen begleiteten gerade mehrere Fans von der U-Bahn zum Stadioneingang, so wie sie es bei Spielen, bei denen große Rivalen aufeinandertreffen, immer tun.


Vor allem beim Fußball sind die Beamten unersetzbar


Da warnte ein Kollege, der in der U-Bahn stationiert war, Böttcher per Funk: „Da kommen ein paar ganz Aggressive.“ Die zehn Beamten kehrten um und warteten auf die angekündigten Fans, begleiteten auch sie bis zur Arena. In dem Moment kam ein Bus mit Fans des FC-Bayern vor dem Stadion an. Die gegnerischen Fans rannten auf den Bus zu, grölten laut.
Böttner und seine Kollegen ritten los, stellten sich zwischen die Fangruppen und drängten die Fans des auswärtigen Vereins zurück. „Dadurch, dass wir so hoch sitzen, überblicken wir die Situation viel schneller als die Kollegen, die zu Fuß unterwegs sind“, sagt Böttner. „Und dann können wir natürlich viel schneller an der richtigen Stelle sein.“
Die schönsten Momente in seinem Berufsleben erlebt er dann, wenn ihn die Leute ansprechen. „So ein schönes Pferd“, sagen sie. „Und darf ich es mal streicheln?“ Oder „Sie haben aber einen schönen Beruf.“ Wenn er mit Aries unterwegs ist, vergeht kein Tag, an dem ihm das nicht passiert.
Beschimpft wird er nur selten, zum Beispiel, wenn er in der Innenstadt einen Falschparker auffordert, wegzufahren. Oder als er einmal einen Mann im Englischen Garten beim Verkauf von Drogen überraschte. Doch zu solchen Situationen kommt es selten. „Unsere Arbeit ist eher präventiv“, sagt Böttner.
Häufig reiten er und seine Kollegen in der Dämmerung durch Gegenden, in denen es häufiger zu Einbrüchen kommt. „Das Klappern der Hufe verschreckt den, der etwas vorhatte. Wenn wir präsent sind, passiert nichts.“ In ein paar Jahren geht Böttner in Rente. Er wird Aries und die Ausritte vermissen. Aber vielleicht hat er dann endlich Zeit, sein altes Pferd Nixon zu besuchen, neun Jahre ist er auf ihm geritten, bis er zu alt war. Seit zwei Jahren ist es auf einem Gnadenhof in der Nähe von Deggendorf.
(Veronica Frenzel)

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