Leben in Bayern

Lachen und Kuscheln mit einem Clown: Kinder im Iran freuen sich über den ungewöhnlichen Besuch. (Foto: Konzept+Dialog.Medienproduktion)

18.01.2019

Wenn jede schöne Erinnerung zählt

Sie bieten Kindern und auch Erwachsenen in den Krisengebieten der Welt kurze Glücksmomente: die Clowns ohne Grenzen und ihr Chef Alexander Strauß

Der Wahlmünchner Alexander Strauß leitet die Clowns ohne Grenzen und fliegt mit ihnen regelmäßig in Krisengebiete. Das Ziel: die Menschen vor Ort aus ihrem harten Alltag holen. Manchmal erleben die Clowns so große Not, dass sie nach einem Einsatz selbst Hilfe brauchen. Aktuell läuft in den Kinos ein Film über die ehrenamtlichen Spaßmacher und deren Arbeit.

Alexander Strauß fehlen jetzt noch die Worte, wenn er an seine Zeit im Nordirak zurückdenkt. Dort traf er jesidische Kinder und Erwachsene, die bis zu ihrer Befreiung jahrelang von Truppen des sogenannten Islamischen Staats gefangen gehalten wurden. „Was diese Menschen erlebt haben, kann man sich an Grausamkeit nicht vorstellen“, sagt der 48-Jährige. Viele Angehörige dieser Menschen wurden verschleppt, versklavt oder getötet.

Für sie verkleidete sich Strauß im Nordirak als Clown. Um die Menschen mit Shows, Liedern und Zaubertricks zum Lachen zu bringen. Klingt verrückt? Soll es auch sein. Strauß ist Vorsitzender der Clowns ohne Grenzen, die weltweit in Krisengebiete reisen. In Gegenden, wo Krieg herrscht, eine Umweltkatastrophe wütete oder es eine sogenannte schleichende Krise wie Armut gibt.

Wäre Medizin nicht viel wichtiger? Nein!, finden die Kinder in Rumänien

In die Shows eingeflochten sind nicht nur humorige Elemente, sondern auch Aspekte wie Freundschaft, Respekt und Stärkung des Selbstbewusstseins. Um vor allem auch Mädchen zu motivieren, spielen dort Frauen immer starke Rollen. Diese positiven Spielelemente sollen sie langfristig in ihren Alltag implementieren –  und dieses Unterfangen hat Erfolg, sagt Strauß. „Selbst wenn wir Jahre später wieder in die Region fahren, werden wir mit Namen begrüßt und bekommen die halbe Show nachgespielt“, erzählt er und strahlt. Ein Mitarbeiter in einem Flüchtlingslager sagte einmal: „Bevor ihr kamt, haben die Kinder Krieg gespielt – jetzt spielen sie Clown.“ Das ist das schönste Lob, das sich die Clowns ohne Grenzen vorstellen können. Um einen langfristigen Effekt zu erreichen, bieten sie vor Ort für die Betreuer auch Workshops für pädagogische Arbeit an, die in vielen der Einsatzländer noch sehr klassisch orientiert ist.

Die Clowns ohne Grenzen sind 1993 entstanden. Die Idee kam von spanischen und kroatischen Kindern, die mitten in den Balkan-Kriegen eine Brieffreundschaft hatten. Am meisten würden sie das Lachen vermissen, hieß es in den Briefen aus Kroatien. Kein Problem, dachten sich die spanischen Kinder. Schließlich war ihr Vater der Clown Tortell Poltrona aus Barcelona. Kurz darauf wurde die Idee umgesetzt: Spanische Clowns fuhren nach Kroatien – insgesamt zehn Mal.


Aus dieser Aktion entstand schließlich ein weltweites Netz. Mittlerweile gibt es 400 bis 500 Clowns ohne Grenzen in 15 Ländern. Sie haben in den 25 Jahren rund 1200 Reisen in über 100 Staaten der Welt gemacht und mehr als vier Millionen Kinder besucht. In Deutschland wurde der gemeinnützige Verein 2007 gegründet und hat aktuell rund 220 Mitglieder. Hierzulande ist er auch in der Flüchtlingshilfe aktiv.

Oft bekommen die Clowns ohne Grenzen die Frage gestellt, ob Essen und Medikamente nicht sinnvoller wären, als die Menschen zu unterhalten. Also haben sie die Kinder vor Ort gefragt, ob sie es unsinnig fänden, statt mit Hilfsgütern mit einer Clowns-Show vorbeizukommen. „Wenn du so aufwächst wie ich – dann zählt jede schöne Erinnerung“, antwortete ein 16-jähriges Mädchen aus einem rumänischen Waisenhaus. „Milch und Medizin, das reicht nicht zum Leben, schon als Baby wollen wir von unseren Müttern mehr als das – oder wir würden zu einem Kaspar Hauser verkümmern“, erläutert Strauß. In einem Meer aus oft traumatisierenden und trostlosen Lebensumständen böten die kurzen Glücksmomente eine kleine Rettungsinsel.

„Der Clown bricht fest gefügte Strukturen auf durch die Art, wie er sich selber gewissermaßen opfert und als blöd oder dumm oder sonst irgendwie darstellt und gleichzeitig gerade dadurch Rechte entwickelt, um Grenzen zu überschreiten“, erklärt Traumaforscher Willi Butollo. Er gilt als einer der wichtigsten Wissenschaftler im Bereich der Traumapsychologie und unterstützt die Arbeit der Clowns ohne Grenzen. Durch die Auftritte bei Kindern und Erwachsenen lösten sie Heiterkeit aus. „Die Arretierung in einem depressiven Grundzustand wird dadurch zumindest kurzzeitig aufgehoben“, erklärt er. Die Zusammenarbeit entstand schon vor Jahren, als die Clowns von Butollo mehr über Trauma und Traumafolgen wissen wollten. „Die Zuschauer haben ja meistens eine Fülle von extrem schwierigen Erlebnissen hinter sich“, sagt Butollo.

Doch manchmal benötigen auch die Clowns Hilfe. Zwar reisen sie nicht in aktuell ausgewiesene Kriegsgebiete und warten im Fall von Naturkatastrophen immer erst eine gewisse Zeit ab. Aber das Schicksal der Menschen vor Ort lässt natürlich niemanden kalt. Um das Erlebte zu verarbeiten, werden nach jeder Reise Abschlusstreffen veranstaltet und bei Bedarf Supervisionen angeboten – zum Beispiel in der Praxis von Butollo.

Diese Woche startete in ausgewählten Kinos in Bayern ein Film über die Clowns ohne Grenzen. In Joy in Iran sieht man, wie die Künstler Hipp, Hepp und Hupp alias Susie Wimmer, Andreas Schock und Monika Single iranische Waisenheime, Schulen für Straßenkinder, Krankenhäuser, psychiatrische Kliniken und Flüchtlingscamps besuchen. „Im Iran gibt es große afghanische Flüchtlingslager mit Millionen von Flüchtlingen“, erklärt Strauß. Das sei in Deutschland leider fast gänzlich unbekannt.
Regisseur von Joy if Iran ist der Filmemacher Walter Steffen aus Seeshaupt am Starnberger See.
Steffen hat mit der Kinodokumentation Happy Welcome schon einmal die Arbeit der Clowns ohne Grenzen porträtiert. Auf dem Höhepunkt der Debatte über die Flüchtlingspolitik begleitete er vier von ihnen bei ihrer „Willkommens-Tour“ durch Deutschland zu acht Aufnahmeeinrichtungen und Heimen für Flüchtlinge und Asylbewerber.

Ein Traumafachmann unterstützt die Clowns – vor und nach einer Reise

Im Iran hat Steffen inoffiziell gedreht. „Selten habe ich so viel Glück gesehen wie während und nach den Auftritten der Clowns im Iran“, erzählt er. Besonders fasziniert habe ihn, wie sich der iranische Tourguide des Teams während der Reise mit dem Clowns-Virus infizierte. „So konnten wir die fast unglaubliche Geschichte dieses smarten jungen Mannes aus Teheran erzählen, der seinen inneren Clown entdeckt, um am Ende auf der Bühne vor seinen eigenen Leuten zu stehen und mit ihnen die Freude zu teilen.“

Die Clowns ohne Grenzen arbeiten alle ehrenamtlich, ihre Reisen werden durch Spendengelder finanziert. Aber womit verdient Alexander Strauß dann seinen Lebensunterhalt? Die Antwort überrascht: als Clown. Denn, wenn der gebürtige Österreicher nicht für die Clowns unterwegs ist, arbeitet er als Klinikclown – zum Beispiel im Haunerschen Kinderspital in München. Der Verein Klinikclown Bayern führt regelmäßige „Visiten“ professioneller Clowns in Kinderkrankenhäusern, Seniorenheimen oder Palliativstationen durch. Einen Unterschied zur Arbeit in Krisengebieten sieht Strauß nicht: „Wir besuchen ja nicht die Krise oder die Krankheit, sondern die Menschen.“ Slapstick sei kultur- und kontextunabhängig und würde überall auf der Welt verstanden.

Ein Vorteil allerdings sieht Strauß in seiner Arbeit als Klinikclown: Dort kann er durch den kontinuierlichen Kontakt eine Beziehung zu den Menschen aufbauen. „Im optimalen Fall“, sagt Strauß, „werden die Clowns für die Kinder und Senioren dann zu echten Freunden.“
(David Lohmann)

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