Leben in Bayern

Häftling in Schwarzenbruck: Während eines Familienseminars für Strafgefangene kann er Zeit mit Frau und Tochter verbringen. (Foto: dpa)

17.08.2015

Wenn Papa im Knast sitzt

Wenn Vater oder Mutter im Gefängnis sitzen, ist es mit dem normalen Leben erstmal vorbei. Spezielle Seminare sollen helfen, dass die Familie daran nicht zerbricht

Wieder einmal eine Familie sein: Zusammen in einem Zimmer schlafen, essen gehen und mit den Kindern spielen. Für Häftlinge ist das etwas ganz Besonderes, denn von einem Tag auf den anderen ist das normale Leben für sie vorbei. Der Kontakt im Gefängnis ist in Bayern auf wenige, stark regulierte Besuche im Monat beschränkt. Viel gemeinsam Aufgebautes geht verloren. Vater, Mutter und Kinder werden sich fremd. Nach der Entlassung geht das gemeinsame Leben dann oft schief. Um das zu verhindern, gibt es in Bayern Familienseminare für Strafgefangene, ihre Partner und die Kinder.

"Als wir hörten, dass so etwas machbar ist, war das wie ein Traum", sagt Sara*. Ihr Mann Philipp* sitzt seit knapp zwei Jahren wegen Drogenhandels im Gefängnis. "Es ist extrem anstrengend, wenn der Partner fehlt", erzählt die 27-Jährige. "Am meisten vermisse ich ihn abends, wenn man jemanden zum Reden bräuchte." Sara und die gemeinsame zweijährige Tochter konnten den 34-Jährigen bisher nur bei den anfangs drei, inzwischen vier Besuchen im Monat im Gefängnis sehen. Während der Untersuchungshaft waren sie zudem durch eine dicke Glasscheibe getrennt. "Diese 45 Minuten gehen immer wahnsinnig schnell vorbei", erzählt Sara. "Das zerrt an der Familie."

Jeder zweite Häftling hat eigene Kinder

Umso mehr genießen sie die gemeinsame Zeit während des Seminars in Schwarzenbruck nahe Nürnberg. "Jede Minute hier ist kostbar", sagt Sara. Dabei ist das zehntägige Seminar kein vergnüglicher Familienurlaub, wie Friedrich Leinberger von der Nürnberger Stadtmission betont. "Es gibt hier ein straffes Programm und es sind alles Pflichtveranstaltungen. Hier kann sich niemand rein setzen und den ganzen Vormittag über nichts sagen." Der Tag ist von morgens bis abends durchgeplant. Um 8 Uhr gibt es Frühstück, dann folgen Morgenrunden, Gruppen für Eltern und Kinder, Mittagessen und am Nachmittag geht es weiter. Auch Ausflüge, etwa in den Zoo, stehen auf dem Programm. Abends haben die Familien dann Zeit für sich. Dabei dürfen sie den Ortsteil nicht verlassen.

Etwa jeder zweite Häftling hat nach Angaben der Stadtmission eigene Kinder. Über intakte Familien verfügten etwa ein Drittel der Gefangenen, berichtet der Bayreuther Gefängnis-Seelsorger Ralf Grigoleit. Nach Angaben des Justizministeriums sind etwa 1300 der 7100 Strafgefangenen im geschlossenen Vollzug verheiratet.

In diesem Jahr besteht die Seminar-Gruppe aus 13 Häftlingen aus nordbayerischen Gefängnissen, ihren Partnerinnen und den Kindern. In Südbayern gibt es ein vergleichbares Angebot. Insgesamt haben schon etwa 600 Gefangene bei solchen Seminaren in Bayern mitgemacht. Teilnehmen können Gefangene, die bereits Straflockerungen erhalten und deren Entlassung möglichst im nächsten halben Jahr ansteht.
Häftlinge mit Suchtproblemen sind ausgeschlossen. Überhaupt muss das Gefängnis die Teilnahme genehmigen. Da die Familienseminare außerhalb der Gefängnisse stattfinden, können daran laut Justizministerium nur Gefangene teilnehmen, bei denen die Gefahr gering ist, dass sie fliehen oder eine neue Straftat begehen. Mörder sind in der Regel nicht unter den Teilnehmern und auch niemand, der ein Familienmitglied missbraucht hat. "Sonst ist aber alles da: Betrug, Diebstahl, Körperverletzung", sagt Leinberger.

Dass der Vater oder die Mutter im Gefängnis ist,
wird oft  als "Familiengeheimnis" gehütet

Betreut werden die Seminarteilnehmer von Sozialpädagogen, Erziehern und einer Familientherapeutin. In den drei Erwachsenen-Gruppen geht es um die Probleme in den jeweiligen Partnerschaften. Die Häftlinge und ihre Frauen sollen die Bedürfnisse des jeweils anderen kennenlernen, Erwartungen formulieren und feststellen, was früher vielleicht schief gelaufen ist. Ziel ist es, eine gemeinsame, realistische Zukunftsperspektive nach der Haft zu entwickeln.

Nicht für alle Häftlinge ist es einfach, über die eigenen Eheprobleme in einer Gruppe zu sprechen, erzählt Leinberger. Das sei schon für "normale" Pärchen schwierig. "Und die Leute hier haben ein Riesenpäckchen zu tragen, das ihnen immer wieder vor die Füße fällt. Jeder entscheidet daher selbst, wie viel er einbringen kann."

Seit 1980 gibt es die Seminare - anfangs nur für Ehepaare. Später wurden auch die Kinder einbezogen. "Unter der Trennung leiden alle", sagt Grigoleit. Er betreut die Gruppen seit vielen Jahren und kennt die Sorgen der Teilnehmer gut. "Die Frau steht plötzlich allein da -sozial und materiell. Sie muss die Situation allein aushalten und sich etwa Nachbarn und Verwandten stellen, während der Mann im Gefängnis sitzt." Die Männer dagegen litten häufig darunter, keinen Einfluss mehr auf die Familie zu haben. Auch für die Kinder ist die Situation schwierig. Dass der Vater oder die Mutter im Gefängnis ist, werde oft als "Familiengeheimnis" gehütet.

Manche Paare wollen später auch nicht mehr in die Beziehung zurück

Nachmittags wird in den Gruppen meist gemeinsam gespielt. Diesmal hat sich Leinberger das "Sumpf-Spiel" ausgesucht. Alle Teilnehmer stehen dabei auf umgedrehten Bierkisten auf der Wiese neben dem Haus. Ziel ist es, dass alle Mitspieler auf eine Seite der Wiese kommen - jedoch ohne den Boden zu berühren. Um das zu schaffen, müssen sie sich gegenseitig helfen - und auch mal mit jemandem zusammenarbeiten, den sie vielleicht nicht so gut riechen können.

Für Sara und Philipp war das Seminar ein Gewinn. Von den anderen Teilnehmern bekomme man "viel mit, was einem Kraft gibt", sagt Sara. "Wir gehen auf jeden Fall mit vollen Taschen hier raus."

Einige der Paare wollen später trotzdem nicht mehr in die Beziehung zurück. Sara und Philipp dagegen sind fest entschlossen, nach der Haft gemeinsam weiter zu machen. "Das Vertrauen war bei uns immer da. Wie reden über alles", sagt Sara. Wenn alles gut geht, kommt Philipp im nächsten April frei. Einen Job hat er auch schon - sein alter Arbeitgeber stellt ihn wieder ein. Dann wollen sie es besser machen - damit ihre Tochter den Vater nie wieder im Gefängnis besuchen muss. (Cathérine Simon, dpa) Info: Familie und Haft - Möglichkeiten im bayerischen Strafvollzug
In Bayern gibt es mehrere Angebote, die Menschen in Haft sowie deren Partner und Kinder unterstützen sollen. Neben mehrtägigen Familienseminaren besteht nach Angaben des Justizministeriums die Möglichkeit der Teilnahme an "normalen" Eheseminaren, die von Vollzugsbediensteten, Eheberatungsstellen, der Caritas, dem Diakonischen Werk und anderen Stellen angeboten werden.
In zehn Gefängnissen gibt es zudem inzwischen Vater-Kind-Gruppen. Wesentliche Bestandteile davon sind regelmäßige mehrstündige Treffen. Auch die Mütter werden einbezogen.
Mutter-Kind-Abteilungen gibt es in den Gefängnissen in Aichach und München. Nicht schulpflichtige Kinder bis zum Ablauf ihres dritten Lebensjahres können so bei der Mutter im Gefängnis sein.
In jedem Gefängnis gibt es zudem regelmäßige Besuchsmöglichkeiten. Die Einzelheiten regelt jede Justizvollzugsanstalt selbst. Außerdem können die Häftlinge uneingeschränkt Briefe mit ihrer Familie austauschen. In dringenden Fällen sind auch Telefongespräche erlaubt.
Einige Gefangene erhalten auch Vollzugslockerungen wie Ausgänge oder Urlaub: Im Jahr 2014 wurde in knapp 17900 Fällen Urlaub und in 16700 Fällen Ausgang bewilligt.

Foto: Friedrich Leinberger von der Nürnberger Stadtmission betreut in Schwarzenbruck ein Familienseminar für Strafgefangene; dpa

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