Leben in Bayern

15.01.2010

Wie Bauten barrierefrei werden

Fachtagung der Bayerischen Architektenkammer zu "Kinderwagen, Skateboard und Rollator: Bauen für alle Generationen"

Jeder unter uns soll sein Lebensumfeld unabhängig von körperlichen Einschränkungen selbstständig und uneingeschränkt nutzen können. Barrierefreiheit ist zudem eine Antwort auf die zunehmend wichtigen Fragen und Herausforderungen des demographischen Wandels.“ So lautete der Appell der Bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Christine Haderthauer, Schirmherrin der Fachtagung „Kinderwagen, Skateboard und Rollator: Bauen für alle Generationen“. Anlass für die Fachtagung waren die beiden Jubiläen der Beratungsstellen Barrierefreies Bauen in München (25 Jahre) und Nürnberg (20 Jahre). „Wir befinden uns in einem Prozess, der ständigen Veränderungen unterliegt. Offen bauen, offen aufeinander zugehen, offen miteinander reden. Das sind keine Forderungen, die sich gegenseitig aufheben, sondern Möglichkeiten, die sich ergänzen.“ Irmgard Badura, Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, bekannte sich in ihrem Grußwort eindeutig dazu, dass die neue DIN 18040 Mindeststandards vorgeben müsse, auch wenn „man es nicht allen recht machen kann“. Wichtig sei es deshalb, dass sich alle am Bau Beteiligten für barrierefreie Lösungsansätze einsetzen: Architekten, Bauherren, Handwerker, Behindertenbeauftragte, aber auch Vertreter aus den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Tourismus, Denkmalschutz und Soziales. Ein Ansatz, den Christine Degenhart, Architektin und Sprecherin der Beratungsstelle Barrierefreies Bauen, in ihrem Vortrag „Bauen für alle Generationen“ ebenfalls vertrat. Manchmal sind Kompromisse nötig „Heute steht die Prävention bei Planungen im Vordergrund. Noch bis vor wenigen Jahren reagierten wir als Planer vorrangig auf Anforderungen, die vom Individuum und dessen Einschränkungen ausgingen.“ Die gesetzlichen Bestimmungen für den Wohnungsbau zeigen dies am deutlichsten. Heute ist bei Neubauten ab einer Größe von mehr als zwei Wohneinheiten ein bestimmter Anteil an barrierefreien Wohnungen Standard. Im Hinblick auf die Planungsaufgaben im vorhandenen Bestand gab Degenhart zu bedenken, dass „die Umsetzung von Barrierefreiheit in diesem Kontext sehr schwierig ist“. Dem Ziel der Erreichbarkeit und Nutzbarkeit im Sinne des Gleichstellungsgesetzes könne man sich manchmal nur mit Kompromissen nähern. Zwar könne die geplante DIN 18040 diese Problematik nicht lösen, für kreative Lösungsansätze gäbe es hingegen mehr Spielräume als bisher. Spielräume, die jedoch für die Planer Chancen wie auch Risiken zugleich seien. In der geplanten DIN 18040 würden die so genannten Schutzziele festlegen, was erreicht werden soll. Der Eingangsbereich zum Beispiel müsse auch für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen leicht auffindbar sein. In diesem Fall könnte eine Lösung laut Degenhart so aussehen: Ein kontrastreicher Eingangsbereich mit einem hellen Türelement vor einer dunklen Umgebungsfläche mit ausreichender Beleuchtung. Durch die neue Norm ziehe sich wie ein roter Faden die Fragestellung: „Wie kann für unterschiedliche Nutzergruppen eine entsprechende Erreichbarkeit und Nutzbarkeit erzielt werden?“ Deshalb werde zukünftig im Planungsprozess die Einbindung des „Zwei-Sinne-Prinzips“ erforderlich sein. Als Sprecherin der Beratungsstelle ermutigte und appellierte Christine Degenhart die Architektenschaft: „Wir stehen mit der geplanten DIN 18040 am Beginn eines neuen Lernprozesses. Einerseits müssen wir als Planer mutig voranschreiten und können Neues ausprobieren. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch bewusst sein, dass neue Risiken auf die Architekten zukommen.“ Deutscher Bauherrenpreis 2009/2010, Nominierung MIPEM Award 2008, Landespreis für Architektur-, Wohnungs- und Städtebau Nordrhein-Westfalen 2008 „Energieeffizientes Bauen für die Zukunft“ und ein Architekturpreis des türkischen Betonverbandes für hervorragende Bauten: Die „Südliche Furth Neuss“ von Agirbas Wienstroer Architektur & Stadtplanung sorgte in vielerlei Hinsicht für Furore. Fertiggestellt wurde das städtebauliche Konzept mit unterschiedlichsten Wohnformen und Lebensmöglichkeiten im Februar 2008. „Bei der Planung des Quartiers erhielten die Fußgänger Vorrang“, so der Architekt Eckehard Wienstroer. „Wichtig war uns, dass unsere Architektur den Bewohnern Orientierung bietet und darüber hin-aus auch die Kommunikation zwischen Alt und Jung fördert.“ Wohnen im Alter müsse Raum für die Individualität ermöglichen und dennoch Rückzugsmöglichkeiten bieten. Nur so könne ein Gefühl von Zugehörigkeit entstehen. Martin van Hazebrouk (Oberste Baubehörde), Andreas Jehn (Leiter des Berufsbildungswerks in München) und Ludwig Wappner (Allmann Sattler Wappner Architekten) diskutierten im Rahmen der Fachtagung über das „Bauen für Kinder und Jugendliche“. Im Mittelpunkt standen Kindergarten- und Schulbauten. Die Wartung im Blick haben Wappner vertrat hier eine eindeutige Position: „Gute Räume, die für Kinder von verantwortungsbewussten Planern und aufgeschlossenen Bauherren geschaffen werden, sind immer schon Erzieher im übertragenen Sinn. Dabei sollte beim Planen und Bauen von Kindergärten und Schulen das Thema Barrierefreiheit eine Selbstverständlichkeit sein. Diese Anforderung gelte gegenüber den Architekten wie auch den Bauherren.“ Als Nutzer einer Schule betonte Jehn, bei der Planung die erforderliche Wartung im Blick zu haben. „Barrierefreie Architektur muss finanzierbar sein und bleiben.“ Die Kreativität der Architekten zu nutzen, dafür setzte sich Martin van Hazebrouk ein: „Architektur kann sich nicht auf das lückenlose Beachten technischer Regeln beschränken. Gute Architektur erfordert Kreativität beim Finden überzeugender Lösungen, das Setzen von Schwerpunkten ist dabei unerlässlich.“ Bezogen auf das barrierefreie Bauen in Bayern sei dabei Artikel 48 der Bayerischen Bauordnung ein zentraler Punkt. Nicht nur in der Diskussionsrunde „Leben im vertrauten Viertel“, sondern auch in der internen und externen Kommunikation der Bayerischen Architektenkammer setzt sich Brigitte Jupitz (Mitglied des Vorstands der Bayerischen Architektenkammer) für die Belange des barrierefreien Bauens ein. „Ganzheitliche Lösungen anzubieten zählt zu den zentralen Aufgaben eines Architekten. Das barrierefreie Bauen ist dabei ein elementarer Baustein. Wer bei Barrierefreiheit nur an die Generation 50+ denkt, ist auf dem Holzweg, denn davon profitieren alle Generationen.“ Ein Plädoyer, dem auch Professor Thomas Jocher (Fink + Jocher Architekten) zustimmte. „Wir wollen alle in unserer Wohnung alt werden, aber an entsprechende Maßnahmen denken wir nicht.“ Entscheidend für Jocher ist, dass Wohnungen für die „Silver Generation“ flexibel nutzbar und je nach Komfortanspruch in unterschiedlichen Ausstattungen angeboten werden müssten. „Bei den Planungen dürfen wir aber nicht nur die Ansprüche wohlhabender Senioren im Blick haben.“ Vergessen werde manchmal auch, so Reinhard Zingler (Architekt und Vorstandsmitglied der Joseph-Stiftung, Bamberg), dass es nicht nur ältere Menschen mit Rollator gebe, sondern gerade die Vereinsamung für viele ein größeres Problem darstelle. Eine Anforderung an die Joseph-Stiftung sei deshalb auch, den Verlust der familiären Strukturen durch ein Angebot von ehrenamtlichem Engagement auszugleichen. Barrierefreies Bauen ist eine komplexe Angelegenheit, so das Fazit der Veranstaltung. Allen Bedürfnissen gerecht zu werden, erscheint deshalb fast unmöglich. In den Fachvorträgen und Diskussionen wurde jedoch ein großes Spektrum an barrierefreien Lösungsansätzen präsentiert und intensiv diskutiert. Dass die Beratungsstelle Barrierefreies Bauen der Bayerischen Architektenkammer eine wichtige Anlaufstelle für alle am Bau Beteiligten ist, diese Auffassung wurde von den Teilnehmern der Fachtagung einhellig geteilt. (Beate Zarges)

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