Die Zahl der Schwarzkittel nimmt rasant zu. Die Bauern klagen über Schäden in der Landwirtschaft. Die Tiere erreichen die Städte. Und auf der Autobahn gab es gerade erst einen spektakulären Unfall mit einer Rotte. Dabei geben sich Loderer und seine Kollegen große Mühe, der Plage Herr zu werden: Die Abschussquote der Jäger erreicht heuer Rekordhöhe.
Der Wald steht schwarz und stumm. Franz Loderer sitzt in seinem Hochstand mitten im Gehölz und wartet darauf, dass Wildsauen auftauchen. Unten, in der Baumschneise, sollen Maiskörner die Tiere anlocken. „Man hört, wenn sie durch das Unterholz kommen“, flüstert Loderer. Man hört aber nichts. Und sehen kann man auch nichts, außer Schwärze in verschiedenen Schattierungen. Oben am Himmel steht der Halbmond.

Loderer ist nicht nur einer der rund 45 000 Jäger in Bayern, die sich auf Wildschweinjagd begeben. Er ist auch offizieller Schwarzwildberater des Freistaats. Ein Dutzend Tiere hat Loderer heuer bereits geschossen. Im diesem Jahr haben die bayerischen Jäger bereits 68 000 Wildschweine der so genannten Schwarzwildstrecke gezählt. Das ist die Summe aus Abschüssen, Wildunfällen und natürlichen Todesursachen beim Schwarzwild. Im Jagdjahr 1980/81 wurden nur knapp 3000 Wildschweine registriert. Im Jahr 2000 zählte man bereits 28 000. Und bis 2002 hat sich die Zahl in nur zwei Jahren verdoppelt: auf 55 000.
Die Schwarzkittel vermehren sich seit Jahren rasant. Der Grund: Die natürlichen Lebensbedingungen für das Schwarzwild haben sich durch steigenden Maisanbau und die zunehmend milden und schneearmen Winter verbessert. Und auch der Jagdeifer bremst die Zunahme der Wildschweinpopulation nicht. „Wir stellen fest, dass mancherorts eine Verdreifachung der Population eintritt, wenn die Bedingungen optimal für die Schweine sind“, klagte Bayerns Agrarminister Helmut Brunner bereits im Sommer. Und die Bauern stimmen in dessen Klage gerne ein, verzeichnen sie doch jede Menge Schäden in der Landwirtschaft an, die die Tiere anrichten. Immer öfter kommen die Tiere aber auch in die Städte – oder verlaufen sich auf Autobahnen. Vergangenen Sonntag erst fuhr ein Audifahrer in eine Rotte auf der A9 beim Autobahnkreuz Neufarn. Die Bilanz: Ein verletzer Autofahrer, 15 tote Tiere und ein Schrott-Auto.
Vor dem Hochstand allerdings ist momentan kein einziges Wildschwein zu sehen, auch nicht mit dem Nachtfernglas. Alles ist ruhig. Seit fast 40 Jahren geht Franz Loderer auf die Jagd. „Bei uns hat das Jagen in der Familie Tradition“, sagt der 59-Jährige. Schon der Großvater und der Vater seien auf der Pirsch gewesen. Loderer arbeitet als Vertriebschef bei einer Agrarchemiefirma und lebt mit seiner Familie in der kleinen Gemeinde Buxheim zwischen Eichstätt und Ingolstadt. Von dort sind es rund zehn Kilometer bis zu seinem Jagdrevier, das er vom Freistaat gepachtet hat. Einmal pro Woche ist er dort unterwegs, auf den Ansitzen oder auf der Pirsch.
Von seinem Vater hat Loderer auch diverse Jagdwaffen geerbt. An diesem Abend hat er eine so genannte Kipplaufbüchse, die Blaser K95 mit Kaliber 8,5 x 63 dabei. Die Munition dazu fertigt er sogar selbst an. Ein Schuss, dann muss man nachladen. Das geht aber schnell. Einmal hat Loderer drei Sauen hintereinander erlegt. Und einmal hatte er eine Patrone zu wenig dabei, die vierte Sau war weg. Heute nacht ist er mit sieben Schuss unterwegs. Eine magische Zahl, habe sein Vater ihm gesagt.
Sechs Meter hoch ist der Anstand, Loderer sitzt oben in der kleinen Holzhütte auf einem Bänkchen. „Manchmal sägen Böswillige die Balken an, das muss regelmäßig kontrolliert werden“, sagt er. Dann wieder Schweigen. Die Nachtjagd auf die Sauen ist eine einsame Angelegenheit. Ringsherum nur Wald, Dunkelheit und Stille. „Im Winter bei Neuschnee ist es besonders schön“, sagt Loderer. Man könne über viele Dinge nachdenken. „Nur einschlafen darf man nicht.“
Seit Jahren streiten Landwirte und Jäger
Unten, in rund 50 Meter Entfernung, ist die Kirrung. So heißt in der Jägersprache der Platz, an dem die Sauen durch einen Fressköder angelockt werden sollen. Denn ansonsten wechseln die Tiere so schnell über die Waldschneise, dass dem Jäger nur das Nachsehen bleibt. Vernünftige Schussweiten seien bis maximal 300 Metern Entfernung, normal wären 200 Meter, sagt Jäger Loderer. Er benutzt für die Jagd ein Zielfernrohr, das ähnlich wie ein Nachtsichtfernglas arbeitet. Auch bei schlechter Sicht einen guten Schuss anbringen, ist die Devise. Denn ein guter Schuss ist ein tödlicher Schuss, ohne dass das Tier leidet.
Gar nichts hält Loderer allerdings von dem Feldversuch in Bayern mit Nachtsichtzielgeräten: „Da wurde Geld verbraten und herausgekommen ist nichts!“ Der Hintergrund: Auf Anstoß des Bayerischen Bauernverbandes hin lief unter der Federführung der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft von 2009 bis 2013 unter dem Titel Brennpunkt Schwarzwild ein Pilotprojekt in Bayern. In fünf Modellregionen sollten sich Jäger, Landwirte, Förster und andere zusammensetzen, um nach Lösungen für das Problem der sich vermehrenden Wildschweine zu suchen. Ein Modul des Pilotprojekts: Der Einsatz von Nachtzielgeräten, die mit Restlichtverstärkern arbeiten. Diese Geräte fallen in Deutschland unter das Waffengesetz. Der Privatbesitz ist normalerweise untersagt, ebenso wie die Bejagung von Wild mit Hilfe dieser technischen Hilfsmittel. Für den Test wurden nun mit einer Ausnahmegenehmigung einige Geräte vom Bayerischen Landeskriminalamt ausgeliehen und an 42 Jäger weitergegeben.
Technische Aufrüstung lehnen die Jäger ab
Viele Jäger lehnen die technische Aufrüstung aus jagdethischen Gründen aber ab. Auch Loderer. Die bringe nichts, was die Abschusszahlen anginge, sagt er. Ohnehin hält er die landwirtschaftlichen Schäden, die durch Sauen angerichtet würden, für zu dramatisch dargestellt. Thomas Kudernatsch von der Bayerischen Landesanstalt dagegen bilanziert: „Unter Tierschutzaspekten ist der Einsatz der Geräte sinnvoll.“ Die Treffsicherheit habe sich erhöht. Und damit auch die Sicherheit auf der Jagd. Es kommt zu weniger Jagdunfällen. Aber auch er betont: Keine Aussage könne über eine Effizienzsteigerung gemacht werden, also ob so mehr Sauen erlegt würden. Der Abschlussbericht des Pilotprojekts soll noch im Herbst veröffentlicht werden.
Vom Bayerischen Jagdverband aber kommt bereits jetzt Widerstand. „Enttäuscht sind wir, weil aus einem Projekt, das 364 600 Euro verschlungen hat, die von den Jägern aufgebracht wurden, keine wirklichen Erkenntnisse für die Praxis hervorgehen“, klagt Verbandspräsident Jürgen Vocke und ergänzt: „Verärgert sind wir, weil die gesamte Jägerschaft und alle Beteiligten vor Ort, so hingestellt werden, als hätten sie die Entwicklung verschlafen.“
Zwischen Landwirten und Jägern wird der Ball zum Thema Wildschweine seit Jahren hin- und hergespielt. Die Bauern fordern mehr Einsatz der Jäger. Die Jäger Bejagungsschneisen und Wildäcker, um die Wildschweinjagd zu erleichtern. Im Landtag wurden im Sommer bereits Zwischenergebnisse des Wildschweinprojekts vorgestellt. Im Bericht des vom Landwirtschaftsministerium beauftragten Jagdfachmanns Niels Hahn war damals die Rede vom fehlendes Wissen und Egoismen der Jägerschaft, gegenseitigen Schuldzuweisungen und mangelhafter Kommunikation.
Auf dem Jägerstand gibt sich indes Loderer gar nicht so unkommunikativ. Er erzählt, wie sie bei der Mai-Andacht der Jäger in Eichstätt heuer 400 Wildschwein-Curry-Würste angeboten haben, rausgebraten in der Pfanne: „Die waren ruckzuck weg“, sagt er. Vielleicht sind es ja auch solche Gespräche, die verhindern, dass Loderer an diesem Abend etwas vor die Flinte kommt. Es ist nach 22 Uhr und keine Sau lässt sich sehen. Loderer gibt für heute auf. Und der Wald steht wieder schwarz und stumm. (
Rudolf Stumberger)
(Foto: Franz Loderer, Schwarzwildberater des Freistaats; privat)
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