Leben in Bayern

Ihr Mann sitzt in Kamerun im Knast: Layoko Siewe. (Foto: Dominik Baur)

27.10.2020

"Wir können auch schreiben, er ist Terrorist"

Seit Anfang 2019 sitzt der Franke Wilfried Siewe in Kamerun im Knast. Daheim in Erlangen wartet seine Frau auf ihn – und fühlt sich vom deutschen Staat im Stich gelassen

An diesem Donnerstag wird Layoko Siewe in der Früh ihre beiden Kinder in den nahegelegenen Kindergarten bringen, sich in den kleinen Toyota setzen, zur Arbeit fahren und dort mit ihren Kunden telefonieren. Ihre Firma handelt mit allem, was Dentallabore so brauchen. Und sie wird so tun, als sei es ein ganz normaler Arbeitstag. Nur: Während die 37-Jährige an ihrem Büroschreibtisch in Nürnberg sitzt, wird der deutsche Ingenieur Wilfried Siewe in Kameruns Hauptstadt Yaoundé in den Gerichtsaal geführt werden. Ihr Mann. An diesem Donnerstag will das Gericht sein Urteil sprechen und entscheiden, ob der Leidensweg der Familie Siewe nach mehr als anderthalb Jahren nun ein Ende findet.

„Es kann alles kommen. Das weiß nur Gott“, sagt Layoko Siewe. Und natürlich wird sie die ganze Zeit ihr Smartphone griffbereit haben, damit sie die Anwälte oder die Familie aus Kamerun per WhatsApp erreichen können. Aber Hoffnungen? Lieber nicht. „Ich lass das auf mich zukommen. Mit Hoffnungen ist man so verletzlich.“ Sie weiß, wovon sie spricht. In zwei Tagen sei ihr Mann spätestens bei ihr, hätten ihr die Anwälte schon einmal gesagt, sie könne eigentlich schon das Flugticket besorgen. „Da war ich so froh. Ich habe Luftballons gekauft, die Wohnung vorbereitet.“ Ein Jahr ist seither vergangen. Und der 43-Jährige sitzt noch immer im Knast. In einer 18 Quadratmeter großen Zelle mit etwa 15 Mithäftlingen. „Nur gut, dass ich den Kindern damals nichts erzählt habe.“

18. Februar 2019. Am Vormittag dieses Tages war die Welt der Familie Siewe noch in Ordnung. Sie hatte gerade zweieinhalb Wochen Urlaub in Kamerun hinter sich. Wilfried Siewe hat die deutsche Staatsangehörigkeit, stammt aber ursprünglich aus Kamerun, ist in Yaoundé aufgewachsen. Für seine Frau Layoko war es der erste Besuch dort. Sie kommt aus Togo. Nun hatte sie seine Familie kennenlernen können.

Am Abend sollte der Flug zurück nach Deutschland gehen, um 22 oder 23 Uhr. Wilfried Siewe war morgens schon mal zum Flughafen gefahren, um vorab die Check-in-Formalitäten zu erledigen. Am frühen Nachmittag hat ihn seine Frau zu Hause erwartet. Aber er kam nicht. Und kam nicht. Layoko Siewe wurde wütend. Als er dann um 19 Uhr anrief, schrie sie ihn erstmal an, wo er denn bleibe. Er sagte nur: „Ich hab’ ein Problem, ich bin im Kommissariat Nr. 1, ihr müsst kommen.“

Siewe wurde verhaftet, als er ein Justizgebäude fotografierte

Wie groß das Problem war, dass Wilfried Siewe tatsächlich hatte, ahnte damals noch niemand. Wie auch? Siewe war verhaftet worden, als er ein Justizgebäude fotografierte. Und dann fand man bei ihm noch ein Buch von Oppositionsführer Maurice Kamto. Und auf dem Mobiltelefon im WhatsApp-Verlauf ein Video von einer Demonstration in Deutschland gegen den kamerunischen Machthaber Paul Biya. Das hatte ein Chatpartner von Siewe geteilt, er selbst war auch gar nicht auf der Demo. Und selbst wenn: Auch unter Biyas autoritärem Regime sind dies noch keine Straftaten.

Draußen auf dem Balkon macht sich eine Elster zu schaffen. Layoko Siewe knetet auf einer vertrockneten Kiwi herum, während sie erzählt. Sie sitzt am Esstisch in dem kleinen Wohnzimmer.

Die Siewes wohnen in einem schlichten, dreistöckigen Wohnblock nahe des Zentrums von Erlangen. Auf dem Boden liegt Kinderspielzeug. Über dem Sofa hängen Bilder aus einer besseren Zeit: Layoko und Wilfried. Vor sieben Jahren haben sie sich auf einer Hochzeit kennengelernt, zwei Jahre später kam ihr Sohn zur Welt, noch mal zwei Jahre später heirateten sie. Und schließlich folgte noch eine Tochter.

Die dünne Beweislage schien die Behörden in Kamerun nicht weiter zu beeindrucken, sie befanden schlicht, Siewe sei eine Gefahr für die Staatssicherheit. Wie bitte, fragte Layoko Siewe, ihr Mann habe doch überhaupt nichts getan. „Wir können auch schreiben, er ist Terrorist, wenn Ihnen das lieber ist“, beschied man sie darauf.

Erst nach fünf Monate durften deutsche Botschaftsangehörige zu ihm

Was sich in Kamerun seither abspielte, war juristisch gesehen die reinste Farce. Für die Betroffenen war es eine Tragödie. Erstmal dauerte es fünf Monate, bis geklärt werden konnte, dass Wilfried Siewe nur die deutsche Staatsangehörigkeit hat, erst dann durften am 12. Juli 2019 deutsche Botschaftsangehörige zu ihm.

Kurz darauf, am 22. Juli, kam es zu einer Revolte im Gefängnis. Siewe war zwar nicht involviert, aber am nächsten Tag verschwunden. Erst nach zwei Wochen durften ihn die Diplomaten wieder besuchen. Siewe hatte eine Platzwunde am Kopf, erzählte ihnen, er sei am Tag nach der Revolte von Justizbeamten geschlagen worden. Er habe extrem viel Blut verloren, drei Tage lang nichts gegessen, die Wunde habe man später ohne Betäubung genäht. „An dem Tag“, sagt Layoko Siewe, „wäre er fast gestorben.“

Doch nun standen neue Vorwürfe im Raum. Er habe Mithäftlinge bestohlen, hieß es zunächst. Doch als die vermeintlichen Opfer dies bestritten, erwiesen sich die Staatsanwälte erneut als flexibel: Dann habe er eben versucht, im Zuge der Gefangenenmeuterei zu fliehen, behaupteten sie. Etwa zur selben Zeit verlor der Elektrotechniker seinen Job daheim in Erlangen. Er war ja nicht mehr zur Arbeit gekommen.

„Ein cooler Typ“, schwärmt Layoko Siewe , wenn sie über ihren Mann spricht. Immer behalte er die Ruhe. Selbst als sie ihn in der ersten Zeit nach der Verhaftung im Gefängnis besucht habe, sei er ganz ruhig gewesen. „Bist du sicher, dass alles okay ist“, fragte sie ihren Mann. „Ja, ja“, beruhigte er sie, „es ist alles okay. Es ist eine schwierige Zeit, aber wir werden das schaffen.“ Und dann beschwor er sie, mit den Kindern zurück nach Deutschland zu gehen. Seit dem 24. März 2019 hat sie ihn nicht mehr gesehen.

Der Vorwurf heute: Siewe habe aus dem Gefängnis fliehen wollen

Diesmal ging es ganz schnell. Während Wilfried Siewe noch immer auf den Beginn seines eigentlichen Verfahrens wartete, wurden die wegen der Ereignisse rund um die Revolte Beschuldigten innerhalb weniger Wochen verurteilt, Siewe zu drei Jahren Haft.

Nur eine Woche später erließ Präsident Biya eine Amnestie für politische Gefangene, darunter auch Oppositionsführer Kamto. Die ursprünglichen Vorwürfe gegen Siewe waren damit vom Tisch, die Haftstrafe wegen Fluchtversuchs fiel allerdings nicht unter die Amnestie. Wegen dieser Verurteilung läuft nun seit 2. September 2019 ein Berufungsverfahren. Nachdem Prozesstermine anfangs immer wieder abgebrochen wurden, nahm das Verfahren seit Sommer Fahrt auf. Diesmal wurde Wilfried Siewe sogar angehört. Warum solle er so blöd sein, aus dem Gefängnis zu fliehen, habe er argumentiert. Um nach Hause zu kommen, brauche er seinen Reisepass; durch eine Flucht hätte er sich doch jede Chance auf eine Rückkehr verbaut.

Nun also soll das Urteil fallen. Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten: Freispruch. Freilassung, weil Siewe schon einen Großteil der Strafe verbüßt hat. Oder dass er die vollen drei Jahre absitzen muss. Theoretisch. „Ich hoffe, das es nicht noch eine böse Überraschung gibt“, sagt seine Frau, „und die irgendetwas vorbereiten. Dann heißt es plötzlich: Er hat gesagt, dass der Himmel blau ist, und deswegen muss er noch zwei Jahre länger im Gefängnis bleiben.“

Natürlich gibt es da noch diese andere große Frage: Warum? Warum ihr Mann? Layoko Siewe hat da eine Theorie: Die Regierung habe sich ihren Mann rausgepickt, um ein Exempel zu statuieren. Mit etwas Fantasie ließe sich eine Verbindung zu den Demonstranten herstellen, die nach der Präsidentenwahl 2018 in Europa auf die Straße gegangen sind und Paul Biya Wahlbetrug vorwarfen. Ihnen gelte die eigentliche Botschaft: Wartet nur, bis ihr nach Kamerun kommt, dann geht es euch genauso.

Seine Frau fragt: Warum steht Deutschland nicht für seinen Bürger ein?

Was Layoko Siewe besonders schmerzt: Dass der deutsche Staat nicht öffentlich für seinen Bürger einsteht, Druck auf Kamerun ausübt. „Ich habe nicht verstanden, warum Deutschland nicht auf den Tisch gehauen hat und gesagt: So geht es nicht.“

An alle erdenklichen Stellen hat Layoko Siewe sich mittlerweile schon gewandt, Antworten bekommen aus dem Auswärtigen Amt, dem Kanzleramt, Schloss Bellevue – eine nichtssagender als die andere. Man könne ihr versichern, hieß es beispielsweise aus dem Kanzleramt, „dass alle zuständigen Stellen ihr Bestes tun, um eine Lösung für diesen leider sehr schwierigen Fall zu finden“.

Das Auswärtige Amt will sich auch auf BSZ-Anfrage nicht weiter zu dem Fall äußern, lässt nur vernehmen, dass die Botschaft in Yaoundé Siewe konsularisch betreue und beobachtend an den Gerichtsverhandlungen teilnehme. „Das Auswärtige Amt und die Botschaft stehen hierzu auch mit den kamerunischen Behörden in Kontakt.“ Punkt. Das ist zu wenig, findet Layoko Siewe. „Wie ist der Löwe zur Katze geworden?“

Tatsächlich gibt sich das Auswärtige Amt nicht immer gleichermaßen wortkarg. Gut in Erinnerung ist der Fall Deniz Yücel, und noch im Juli beklagte etwa Außenminister Heiko Maas, dass sich immer noch zahlreiche Deutsche in türkischer Haft befänden. „Wir wollen, dass diese Fälle alle gelöst werden. Solange das nicht der Fall ist, steht das entgegen einer Normalisierung des Verhältnisses der Türkei gegenüber uns wie auch der Europäischen Union insgesamt.“ Zu Wilfried Siewe war von Maas dagegen noch nichts zu hören. „Ich weiß nicht, ob ihn der Fall überhaupt interessiert“, sagt Layoko Siewe. Und: „Wir fühlen uns im Stich gelassen.“

Seit ihr Mann im Gefängnis ist, hat Layoko Siewe Schlafstörungen. Innerhalb kürzester Zeit hat sie zehn Kilo abgenommen. Wilfried Siewes Tochter ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Schon mit 18 Monaten hat sie zu sprechen begonnen. Einer ihrer ersten Sätze: „Nicht weinen, Mama!“
(Dominik Baur)

Nachtrag: Wilfried Siewe kommt im Dezember frei
Wie Wilfried seiwes Frau Layoko Siewe mitteilte, fiel am Donnerstagabend (29. Oktober) in dem Berufungsverfahren in Yaoundé das Urteil: 16 Monate Freiheitsstrafe. Siewe soll im Dezember freikommen.

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.