Leben in Bayern

Einmal im Jahr wirft die ehemalige Bäckerei Hugo Schenk ihren Ofen an, um Osterstörche zu backen, hier präsentiert von Juliane Witthauer. (Foto: Kleinhenz)

28.03.2024

Wo der Osterstorch die Eier bringt

Im unterfränkischen Ostheim gibt es seit Jahrhunderten eine ungewöhnliche Tradition

Ende 2015 hat die Bäckerei Hugo Schenk eigentlich ihre Türen für immer geschlossen. Doch einmal im Jahr, zu Ostern, wird der Ofen angeschürt – zum Erhalt eines wahrhaft ausgefallenen Brauches. Denn im unterfränkischen Ostheim, das einst zu Thüringen gehörte und 1945 Bayern zugeordnet wurde, ist in der Karwoche der Osterstorch in aller Munde.

In dem Ort im Landkreis Rhön-Grabfeld wird am Gründonnerstag für die Kinder nach alter Tradition der Storch „gepfiffen“ statt der Hase. Das heißt, Meister Adebar wird pfeifend gerufen und an seine Pflicht erinnert, österliche Gaben bereitzulegen. Der Hase – wie sonst üblich – bleibt außen vor: Die Eier legt der Osterstorch, der aus süßem Hefeteig gebacken wird, ins Nest. 

So manche Zierde des Gebäcks ist mittlerweile weggefallen, weil alles zusammen einen zu hohen Aufwand für die ehemalige Bäckerei bedeuten würde. Verzichtet wird etwa auf ein abgekochtes, farbiges Ei, das einst als Beiwerk in den Storch von außen gut sichtbar eingebacken wurde und früher am Storchenschwanz baumelte. Auch die Brezen gibt es nicht mehr. Dem Stelzvogel war ursprünglich eine Hefeteigbreze als eine Art Fastenspeise beigegeben. Die Brezen waren mit einem gebackenen Kreuz versehen – als Symbol für das Leiden Jesu. Im Mittelalter wurden sie von Aschermittwoch bis Ostern in den Klöstern an Hungrige verteilt, die an die Pforte klopften.

Jedes Stück ist ein Unikat

Doch noch immer ist das Ostergebäck attraktiv genug. Und jeder Storch auf dem Blech sieht ein bisschen anders aus. Der eine etwas größer als der andere, vielleicht mit einem längeren Hals als üblich oder kräftiger und ein wenig witzig, aber im Prinzip immer ansprechend. So gesehen ist praktisch jedes Stück ein Unikat. Das kommt daher, dass der Teig nicht in fester Form gebunden, sondern von Hand verarbeitet wird. 

Juliane Witthauer, gelernte Bäckermeisterin, ist mit dem Backen der Osterspezialität vertraut und hat alles im Griff, sodass die jährlich einmalige Aktion bisher immer zum vollen Erfolg wurde und alle Abnehmenden, Kinder wie Erwachsene, zufriedengestellt werden konnten. Sie hat diese spezielle Handwerkskunst von ihren Eltern Siegfried und Heidrun Kelz gelernt, die in Ostheim jahrzehntelang die Traditionsbäckerei Schenk führten und den Osterstorch aus dem Backofen holten. 

Warum zu Ostern nicht der Hase die Eier ins Nest legt, hat besondere Gründe, ist schnell erklärt: Ein evangelischer Pfarrer wollte sich mit dem Storch im 17. Jahrhundert von der österlichen Hasen-Brauchtumspflege unterscheiden und einen Kontrast zu katholischen Gemeinden in der Rhön und Südthüringen herstellen. „Der Pastor unternahm den Versuch, dem nahenden Osterfest damit in seinem Betreuungsgebiet erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken“, stellte die Religionspädagogin Christel Heid aus Mellrichstadt vor vielen Jahren in einer Studie fest. 

Auch in Südthüringen gibt es das süße Hefegebäck

Die erhoffte Aufmerksamkeit für sein religiöses Bekenntnis blieb dem Pfarrer evangelischer Konfession nicht verwehrt. Der Storch, so begründete man die Einführung des neuen Brauches, passt in das Schema der Tiersymbolik. Wegen der Zweifarbigkeit seines Gefieders galt Meister Adebar als Symbol für Göttlichkeit und Menschlichkeit. Sein Wegzug und die Rückkehr als Zugvogel um Ostern herum wurden zudem als Sinnbild für Himmelfahrt und Auferstehung Christi gedeutet – Letzteres passt ja perfekt zu Ostern. 

Selbst in Teilen Südthüringens wird der Brauch des Osterstorchs bis heute gepflegt. In Milz, Römhild, Meiningen, Behrungen, Wolfmannshausen und auch Sonnefeld bekam das Patenkind zu Ostern früher einen gebackenen Stelzvogel geschenkt. 

Der Römhilder Carl Kade (1880 bis 1962) hatte sich einst im Raum Südthüringen umgehört und ebenfalls mit der Herkunft des Osterstorchs beschäftigt. In einem musealen Schriftstück betont er: „Es ist bemerkenswert, dass früher in meiner Heimatstadt Römhild nicht der Osterhase, sondern der Storch am Gründonnerstag kam.“ Ähnliches erzählten ihm ältere Bürger*innen Thüringens, die er befragt hatte, aus anderen Orten. Auch heute noch gibt es eine Bäckerei in Stepfershausen bei Meiningen, die Osterstörche aus Hefeteig anbietet. 

In Ostheim existiert der Brauch, Storchennester zu suchen, schon seit 1697. Auch Johann Wolfgang von Goethe und sein Dienstherr Herzog Carl August von Thüringen überzeugten sich offenbar persönlich davon. Die beiden besuchten die Ostheimer Bäckerei und bissen 1780 und 1782 – so die Überlieferung – genüsslich in die gebackenen Störche. 

In der Produktion des Stelzvogels gibt es einiges zu beachten: Der verschiedenfarbig aufzustreuende Zucker soll das Religiöse zu Ostern hervorheben: Rot steht für die Liebe – Gottes Sohn ging aus Liebe zu den Menschen in den Tod. Grün signalisiert den Glauben – die Auferstehung als Hoffnung. Gelb ist die Freude des Lichtes – Jesus als das Licht der Welt, ohne Licht kein Leben. Weiß bedeutet die Reinheit – Jesus ohne Sünde als Sohn Gottes. Der österliche Brauch der Farben zum christlichen Glauben an Tod und Auferstehung von den Toten ist damit hinreichend unterlegt. 

Vier Farben betonen das Religiöse

Der 2014 viel zu früh gestorbene Seniorchef der Bäckerei, Siegfried Kelz, erläuterte beim Störchebacken einst die Arbeitsschritte. Der süße Hefeteig wird demnach angefertigt bei halbstündiger Ruhezeit, um Pressen abzuwiegen, aus denen sich jeweils 30 Teigstücke ergeben. Aus diesen Einheiten ist der handgroße Storch zu formen. Er kommt aufs Blech, wird auf Gare gestellt und danach abgebacken. Anschließend ist er mit Wasser zu bestreichen und mit den erwähnten Farben zu bestreuen, die den christlichen Glauben symbolisieren. 

Siegfried Kelz grinste immer dabei, wenn er in der Backstube seine Stimme erhob und an seine Beschäftigten appellierte, den Störchen nicht zu lange Hälse zu formen. Letztlich freuten sich aber hinterher alle über die großartige Backkunst, die an den Tag gelegt wurde. Die größte Freude war, wenn die schönen Osterstörche fertig gebacken aus dem Ofen kamen und zur Freude der Kinder über die Ladentheke gereicht wurden. (Josef Kleinhenz)

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