Leben in Bayern

Der Alte Wirt in Hundham hat wieder offen – „die Leute sind aber noch vorsichtig“, sagt die Wirtsleute. (Fotos: Florian Bachmeier)

05.06.2020

Zwischen Frust und Aufbruchstimmung

Im oberbayerischen Hundham haben die Wirtsleute Cornelia und Martin Rubin den Tag der Wiedereröffnung herbeigesehnt – und kämpfen mit einigen Problemen

Es darf wieder auswärts gegessen werden. Auch in Bayern. Und das ist allerhöchste Zeit, finden die Wirtsleute Cornelia und Martin Rubin. Denn schon bald hätten sie ihren Gasthof in Hundham, den sie erst vor drei Jahren eröffnet hatten, für immer dicht machen können. Doch was jetzt einkehrt, ist alles andere als Normalität.

Der Hund heißt Pétrus. Wie der Wein. Heute wird er drei Jahre alt. Ein Hund wie ein Sinnbild für den Alten Wirt in Hundham: Pétrus – der Name steht für hochpreisige Gastronomie. Zugleich strahlt der Appenzeller eine ordentliche Portion Gemütlichkeit aus. „Der Hund hat die Corona-Zeit auch gemerkt“, sagt Wirtin Cornelia Rubin. „Er hat die Gäste vermisst. Normalerweise macht der hier immer seine Runde und holt sich seine Streicheleinheiten.“ Normalerweise. Normal war hier freilich herzlich wenig in den vergangenen zwei Monaten.

Rund 14 000 Wirtshäuser gibt es in Bayern, je nachdem, was man alles dazurechnet, auch mehr. Am 21. März mussten sie zusperren – auf unbestimmte Zeit. Kaum eine Branche wurde ähnlich hart getroffen wie die Gastronomie. An diesem Abend geht es nun endlich wieder los. Lokale dürfen auch wieder im Innenbereich öffnen. Bis 22 Uhr und unter strengen Auflagen. Es ist Montag. In normalen Zeiten wäre beim Alten Wirt heute Ruhetag. Aber Ruhetage hatten die Rubins in den vergangenen Wochen genug.

Es galt einiges vorzubereiten. Um es Gästen und Personal leichter zu machen, den vorgeschriebenen Abstand von 1,5 Metern einzuhalten, schaffte die Wirtin erst mal Platz in der Mitte des Gastraums. Auch die Blumen mussten von den Tischen, kein Salz, kein Pfeffer, keine Bierfilze. Der Gast soll möglichst wenig anfassen können, was schon ein anderer Gast berührt hat.

Am Tisch dürfen die Besucher*innen den Mund-Nasen-Schutz abnehmen, sonst gilt Maskenpflicht. Insgesamt vier Spender mit Desinfektionsmittel hängen in dem Gasthaus. Jeder Gast muss sich außerdem in eine Liste eintragen: Name, Uhrzeit, Telefonnummer, E-Mail-Adresse ... Bei einem Corona-Fall soll so eine Nachverfolgung der Infektionskette erleichtert werden.

Anfangs waren nur wenige Tische besetzt

Cornelia Rubin war gerade mal drei Jahre alt, als sie zu ihrer Mutter gesagt hat: „Ich will so werden wie du.“ Gemeint war: Kellnerin. Rubin ist jetzt 31, Kärntnerin mit fränkischem Migrationshintergrund, und hat in Österreich schon in den verschiedensten Hotels und Restaurants gearbeitet. Ihr Mann Martin kochte bereits in mehreren Sterne-Restaurants. Vor fünf Jahren machten sich die beiden dann selbstständig, eröffneten zunächst in Bad Kleinkirchheim in Kärnten ein Restaurant und übernahmen dann 2017 den Alten Wirt im Leitzachtal – mit Wirtschaft und Hotelbetrieb.

„Es is a Witz, a Schmäh“, sagt Cornelia Rubin, aber sie habe tatsächlich noch bis zum Schluss gedacht, es werde nicht so schlimm kommen. Noch am Freitag, dem 13. März, als Corona schon das alles beherrschende Thema war, als schon klar war, dass ihre bald zwölfjährige Tochter Cecilia am kommenden Montag nicht mehr würde zur Schule gehen dürfen, machten sie im Alten Wirt noch business as usual. Es war der Tag, als der bayerische Ministerpräsident Markus Söder entrüstet auf einen Zeitungsbericht über geplante Wirtshausschließungen reagierte. Eine „absolute Ente“ sei das, sagte Söder und schloss die Schließung von Gaststätten aus. Eine Woche später verfügte er sie.

Ihr Reservierungsbuch war voll zu dieser Zeit. Allein 22 Feiern mit jeweils bis zu 60 Leuten wurden dann storniert: Geburtstage, Taufen, Kommunionsfeiern ... Auch das Hotel war gut gebucht. Und jetzt? 95 Prozent Verlust. Es sei zum Weinen gewesen, sagt Cornelia Rubin. „Da baust dir in drei Jahren einen Betrieb auf und denkst, so, jetzt rocken wir den Laden – und dann das.“

Ihre vier fest angestellten Mitarbeiter schickten die Wirtsleute in Kurzarbeit, den zwei Minijobbern kündigten sie – mit dem Versprechen, sie bei der Wiedereröffnung wieder einzustellen. Und dann stellten sie sich in die Küche – und kochten weiter. „Wir waren froh, dass wir wenigstens Liefer- und Abholservice machen konnten, da waren wir ein bisschen beschäftigt.“ Jeden Tag hatten sie ein zweigängiges Mittagsmenü im Angebot. Er kochte, sie lieferte. Rentiert hat sich das nicht. „Aber für uns war das Werbung. Und wir haben Kontakt gehabt zu unseren Gästen.“

Trotz Lieferservice blieb den Wirtsleuten noch viel Zeit. „Du musst dich dermaßen krass motivieren, um wieder in die Puschen zu kommen – weil du nicht weißt, wofür“, erzählt Martin Rubin. Die beiden suchten sich Arbeit: Die Biergartentische haben sie abgeschliffen, die Wände geweißelt, das ganze Haus einer Grundreinigung unterzogen. Und ab und zu zwischendrin haben sie sich auch mal eine Stunde in die Sonne gelegt. Da sind dann die Leute gekommen und haben gesagt: Ihr habt es gut, ihr habt Urlaub.

Es ist drei Uhr nachmittags. Der Verpächter kommt auf einen Kaffee vorbei. Auch so eine der Besonderheiten des Alten Wirts: Das Gasthaus ist nicht in Familienbesitz, gehört auch keiner Brauerei, sondern Thomas Burnhauser, Filmprofessor im Ruhestand. Burnhauser, ein Mann mit langen grauen Haaren und einem gepflegten Vollbart, hat das geschichtsträchtige Haus 2016 gekauft. Über 600 Jahre ist es alt, das älteste Anwesen im ganzen Tal. Als Kind ist der Münchner schon immer am Wochenende hierhergekommen. Seine Großmutter war mit der damaligen Wirtin befreundet. Als Burnhauser dann zufällig mitbekam, dass das Haus zum Verkauf stand, schlug er zu. Er ließ es herrichten, jedes Zimmer bekam nun ein Bad. Den hinteren Teil des Hauses, wo früher der Stall war, baute er für sich und seine Familie als Wochenenddomizil aus. Für das Wirtshaus suchte er Pächter – und fand Cornelia und Martin Rubin.

Mitte März, als es mit Corona so richtig losging, hat sich Burnhauser aufs Land zurückgezogen. „Das Erste, was ich zu Martin und Cornelia gesagt habe, war: Keine Pacht mehr, bis die Sache vorbei ist“, erzählt der 60-Jährige. „Und zwar nicht gestundet, sondern gestrichen.“ In einer solchen Situation müsse man zusammenhalten.

Freibier am Tag der Wiedereröffnung

Im Obergeschoss bereitet Cornelia Rubin die Zimmer für die Wiedereröffnung des Hotelbetriebs vor. Sieben Doppel- und ein Familienzimmer hat der Gasthof. Für das erste Wochenende, an dem in Hotels auch wieder Touristen absteigen dürfen, ist der Alte Wirt ausgebucht. Täglich kommen weitere Reservierungen rein. „Die Leute sind aber noch vorsichtig“, sagt Rubin, „und fragen immer genau nach den Stornogebühren.“

Am Tag der Wiedereröffnung gibt es Freibier – eine Halbe für jeden Gast. Während Lisa-Marie Völker, die Auszubildende, vor dem Küchenfenster schon mal das Fass anzapft, bereitet Martin Rubin drinnen die Mürbteigplätzchen für das Erdbeerdessert vor. Der 36-jährige Rubin trägt Ohrringe und opulente Tätowierungen.

Um 18.05 Uhr kommen die ersten Gäste. Zehn Minuten später rattert in der Küche ein Bestellzettel aus dem kleinen Drucker: Grießnockerlsuppe, einmal Leber mit Kartoffelpüree, Curcuma-Birnen und Röstzwiebel und dann noch Brennnesselknödel mit Salat.

Kredite mussten die Rubins in der Krise keine aufnehmen – auch dank der erlassenen Pacht und den zügig ausgezahlten Soforthilfen von Bund und Freistaat. Lange hätten sie trotzdem nicht mehr durchgehalten. Drei, vier Wochen vielleicht noch, sagt der Wirt.

Die Grießnockerlsuppe ist fertig. Lisa-Marie Völker bringt sie zum Tisch. Während der Arbeit müssen die Bedienungen ständig Mundschutz tragen. Eine starke Beeinträchtigung, findet die junge Frau. Vieles, was sonst im Alten Wirt Usus ist, ist derzeit nicht mehr erlaubt – etwa dem Gast nachzuschenken. „Sonst haben wir uns auch immer gern mit den Gästen unterhalten“, erzählt Völker. „Das geht jetzt gar nicht mehr. Ich fühle mich wie so ein Roboter, der nur schnell das Essen hinbringt, und dann ist er gleich wieder weg.“

Kurz vor 22 Uhr – gerade noch rechtzeitig – verlässt der letzte Gast das Lokal. Sechs Tische waren an diesem Abend besetzt. „Katastrophal“, sagt Cornelia Rubin. „Das hätten wir allein machen können, da hätten wir gar kein Personal gebraucht.“ Doch schon ein paar Tage später, am ersten Samstag nach der Wiedereröffnung, wird das Restaurant fast wieder voll sein – und die Wirtin von Aufbruchstimmung sprechen.

Und was, wenn die zweite Welle kommt, wenn es erneut einen Lockdown gibt? Martin Rubin schüttelt den Kopf. „Dann sagt jeder: Na, schaff’ ma ned. Niemand kann noch mal zwei solche Monate überleben.“ (Dominik Baur)

Fotos (Florian Bachmeier):
Cornelia Rubin blättert im Reservierungsbuch, das jede Menge Stornierungen enthält.
Martin Rubin in seinem Reich, der Küche: Jetzt kann er wieder weiterarbeiten – auch dank des Vermieters, der die Pacht gestrichen hat.

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