Leben in Bayern

Viele Kollegen beneiden den Wasserschutzpolizisten Johann Herzinger – doch die Chiemsee-Romantik verblasst im herausfordernden Alltag. Mit seinem Boot, der WSP 4, geht er immer öfter auf Verbrecherjagd. Vor allem der Diebstahl von Bootsmotoren hat jüngst dramatisch zugenommen. Foto: Winter

05.11.2010

Zwischen Wellen und Wasserleichen

Neue Serie: Blaulicht – Bayerns Polizei im Einsatz

Gut 37 000 Polizisten sorgen für die Sicherheit im Freistaat. Doch der Alltag der Beamten ist zunehmend von Stress und Gewalt geprägt. Die Staatszeitung begleitet in den nächsten Wochen Polizisten bei ihren Einsätzen. Unsere Autoren stellen den täglichen Kampf der Zollfahnder gegen Schmuggler vor, die Arbeit auf Bayerns höchst gelegenem Polizeirevier und Hunde, die Falschgeld erschnüffeln. Im ersten Teil der Serie besucht Sebastian Winter den Wasserschutzmann Johann Herzinger an Bord seines Schiffes. Erst vor einigen Wochen ist wieder etwas passiert auf dem Chiemsee, bei starkem Ostwind um fünf bis sechs Beaufort. Ein Segelboot kenterte bei einer Wende. Hätte die vierköpfige Besatzung keine Schwimmwesten und Neoprenanzüge im 15 Grad kalten Wasser getragen und wäre nicht ein Kitesurfer zu Hilfe gekommen – wer weiß, wie das Unglück geendet hätte.
Johann Herzinger hat den Vorfall auf seinem Schreibtisch liegen. Herzinger arbeitet in der Dienststelle Prien, einer von 14 Polizeiinspektionen, die die 25 größeren bayerischen Seen kontrollieren. Daneben gibt es noch neun Wasserschutz-Polizeigruppen für die rund 700 Kilometer langen Bundeswasserstraßen an Main, Main-Donau-Kanal und Donau, die zu Bayern gehören. Drei hauptamtliche Wasserschutz-Polizisten arbeiten in Prien, elf Beamte haben einen Bootsführerschein.


„Wasserschutz ist in
Bayern eine Prestigesache“


Doch niemand kennt den See so gut wie Herzinger: Als er ein Kind war, hat er mit seinen Schulfreunden jede freie Minute am See verbracht. Im Sommer tobten sie sich an den drei, fünf und acht Meter hohen, hölzernen Sprungtürmen des Priener Strandbades aus, mit Blick auf den Hochgern, den Hochfelln, die meist von Schnee bedeckten Loferer Steinberge und die Kampenwand. Den Freischwimmer machte Herzinger mit fünf Jahren. „Es gibt Kollegen, die nie zur Wasserschutzpolizei gehen würden“, sagt Herzinger. „Aber wenn man wie ich mit dem See und den Bergen verbunden ist, dann ist das schon eine tolle Sache.“
1999 ist der 51-jährige Priener zur Wasserschutzpolizei gegangen, nachdem er acht Jahre normalen Dienst geschoben hatte und noch viel länger Verwaltungsangestellter seiner Heimatgemeinde gewesen war. Er machte die übliche Zusatzausbildung, den Bootsführerschein, Segelkunde, Radartechnik. Nach drei Jahren und vielen Einsatzstunden auf dem kleinen Boot absolvierte Herzinger einen Theorie- und Praxistest, um auch das große Boot WSP 4 fahren zu können. Karin Stoiber hat das Schiff Mitte 2001 getauft. Der vierzehneinhalb Meter lange, knapp vierzehn Tonnen schwere, 800 PS starke und damals knapp 1,3 Millionen D-Mark teure Stolz der Priener Wasserschutzpolizei dümpelt an diesem sonnigen Herbsttag im hölzernen Bootshaus am See.
Herzinger löst die Taue und schwingt sich auf das Boot. Der Oberkommissar fährt mit seinem Kollegen auf Streife. In der Kajüte beschreibt Herzinger auf einer Karte die Tiefen und Schutzzonen des Chiemsees. Er könnte auch der Kapitän eines großen Dampfers sein, mit der blauen Uniform, den weißen Haaren und dem braunen, wettergegerbten Gesicht.
Nur ein paar Fähren und Segelboote bewegen sich an diesem Septembermorgen auf dem größten See Bayerns, der für zigtausende Menschen zum attraktiven Erholungsgebiet geworden ist. Das Wasser ist zu dieser Zeit schon kalt geworden durch den Ostwind, den Regen und die frischen Nächte.
Doch im Hochsommer, wenn bei schönem Wetter neben den 5500 zulassungspflichtigen Sportbooten und 14 Fähren noch bis zu 2000 Schlauch- , Ruder- und sonstige Boote auf dem See fahren, haben Herzinger und seine Kollegen alle Hände voll zu tun. Sie überprüfen auf dem See, ob die Boote Lizenzen haben, ob das Licht funktioniert und die Sicherheitsregeln eingehalten wurden.
Sie kontrollieren Fischereierlaubnisse, nehmen Diebstähle auf, gehen illegaler Müllentsorgung am Ufer und Streitigkeiten auf den Inseln nach, nehmen Proben von verschmutztem Wasser und achten darauf, dass in den Schilfgürteln und anderen Schutzzonen nicht gebadet und geankert wird.
Doch sie sind nicht nur für den Chiemsee und seine Eilande wie die Herren- und Fraueninsel zuständig, sondern auch für den Simssee, die Eggstätt-Hemhofer-Seenplatte und die umliegenden Gemeinden. Dort erledigen sie auch ganz normale Polizeiarbeit wie Verkehrskontrollen, das Überwachen von Veranstaltungen oder die Aufnahme einer Anzeige wegen des gestohlenen Geldbeutels.
„Auch wir haben viel Schreibtischarbeit, aber wir kommen noch mehr raus als viele andere Kollegen“, sagt Herzinger. Er mag den Kontakt mit Seglern und Anglern und den kurzen Plausch mit den Inselbewohnern. Und manchmal kommt es dabei auch zu lustigen Szenen. Einmal, als er den Eigner einer Jolle kontrollieren wollte, verlor Herzinger das Gleichgewicht: „Wir stürzten in hohem Bogen ins Wasser, die Dienstpistole und das Handy waren nur noch Schrott wert und die Urlauber haben sich köstlich amüsiert.“
Ein anderes Mal meldete sich ein Anrufer in der Dienststelle, der von einem heftig winkenden nackten Mann am Seeufer berichtete. Es stellte sich heraus, dass der Nackte sein Boot Richtung Ufer gelenkt hatte, weil er ein dringendes Bedürfnis erledigen wollte. Es musste sehr schnell gehen und so vergaß er, das Boot zu vertäuen. Es fuhr herrenlos auf den See hinaus, samt all seiner Habseligkeiten. Die Polizisten schleppten die Jolle schließlich zurück.
Zu den angenehmeren Aufgaben gehören auch die Fahrten mit VIPs. „Wasserschutz ist eine Prestigesache bei der bayerischen Polizei. Wenn wir Gäste haben, bringen wir sie gerne auf die Herreninsel zum Schloss“, sagt Herzinger. Königin Silvia von Schweden chauffierten sie bereits nach Herrenchiemsee, den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizäcker, den aktuellen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg und Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer.
Doch diese schönen und manchmal kuriosen Anlässe sind die Ausnahme. Durch das Mehr an Freizeitangeboten, Regatten oder Festivals und die immer größere Anzahl von Booten und anderen Wassersportgeräten haben sich der See und sein Umfeld zu einem äußerst anspruchsvollen Arbeitsort für Polizisten entwickelt.
2009 hatte die Priener Polizei auf und um den See 627 Einsätze und stellte 78 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Schifffahrtsordnung aus. 21 Mal wurden Umweltschutzregeln gebrochen, neun Mal gingen die Polizisten gegen Fischwilderer vor und bearbeiteten zwölf Sportbootunfälle.


Die schwedische Königin war auch schon da


Keine Ruhe lässt Herzinger, dass osteuropäische Banden seit mehr als zehn Jahren Außenbordmotoren von Booten klauen, die nachts verlassen an ihrem Liegeplatz dümpeln, und ihr lukratives Diebesgut ins Ausland schmuggeln. 2010 wurden bei fünf Diebstahlserien auf dem Chiemsee bis Ende August bereits 61 Motoren gestohlen. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum in ganz Bayern nur 47. Viele Bootsinhaber lassen deshalb bei Herzinger Registrierungen in ihre Motoren gravieren, damit diese zugeordnet werden können, falls sie doch wieder auftauchen.
„Insgesamt steigt diese Form der Kriminalität bei uns stark an“, sagt Herzinger. Zu den unangenehmsten Pflichten gehört für Herzinger jedoch das Aufklären tödlicher Vorfälle. Pro Jahr sterben durchschnittlich ein bis zwei Menschen im See. An Herzinfarkten, in Stürmen, bei Unfällen und manchmal, weil sie einfach nicht mehr leben wollen.
Noch immer gelten 37 Personen als vermisst, die seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1950er Jahren spurlos im See verschwanden. Herzinger und seine Kollegen haben auch schon menschliche Skelette geborgen, die ans Ufer geschwemmt wurden. „Der Chiemsee fordert seine Opfer schon“, sagt Herzinger. Meist liegt es daran, dass die Gefahren auf dem See maßlos unterschätzt werden.
Zu ihnen gehören die Wetterumschwünge. Wenn ein Sturm von Prien wie durch einen Windkanal zwischen den Inseln auf den so genannten Weitsee fegt, die größte Wasserfläche auf dem Chiemsee, können dort mächtige, bis zu drei Meter hohe Wellen entstehen.
Die größte Katastrophe ereignete sich am 31. August 1951, als ein Orkan mit Windstärke zehn bis elf aufzog und viele Boote kentern ließ, deren Besatzungen die Sturmwarnung ignoriert hatten. Etliche Segler wurden unter Mithilfe der Wasserschutzpolizei gerettet. Doch es starben auch sieben Menschen, von denen vier bis heute nicht gefunden wurden.
1985 versank ein Segelboot wegen des Leichtsinns des Skippers samt seiner vierköpfigen Besatzung im Sturm. Als sie geborgen wurden, lagen die Toten am Grund des Sees um das Wrack herum, ein Hund trieb noch angeleint in der Kajüte.
2009 verschwand ein Ultraleichtflugzeug spurlos. Die genaue Absturzstelle war nicht bekannt, wochenlang suchten Herzinger und viele andere Helfer mit Sonargeräten nach dem Wrack, bis sie es sechs Wochen später in 52 Metern Tiefe fanden. Die beiden Leichen saßen noch angeschnallt im Cockpit, als das Flugzeug geborgen wurde. Das Unglück machte bundesweit Schlagzeilen, die Ursache konnte nie ganz geklärt werden, vermutet wird ein Pilotenfehler. „Das hat mich länger beschäftigt“, sagt Herzinger. „Man muss dann eine gewisse Distanz aufbauen und viel mit den Kollegen sprechen.“
Trotz dieser traurigen Ereignisse ist Herzinger dem Chiemsee treu geblieben, über den sich langsam die Herbstsonne senkt. Er liebt den Sonnenaufgang auf dem Wasser und den Moment, wenn ein Sturm aufzieht und der See vor den dunklen Wolken grünlich schimmert. Doch das Wichtigste ist: Herzinger hat sich den Respekt bewahrt vor seinem Arbeitsplatz. > sebastian winter

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