Politik

Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan feiern die Eroberung zweier Panzer der Putschisten. (Foto: dpa)

16.07.2016

194 Tote bei Putschversuch in Türkei

Proteste und Flugausfälle auch in Bayern

Einen Tag nach dem tödlichen Anschlag von Nizza hält nun die Lage in der Türkei die Welt in Atem. Ein Putschversuch von Streitkräften kostet in einer chaotischen Nacht wenigstens 194 Menschen das Leben. Präsident Erdogan gibt sich selbstbewusst - und will Vergeltung. Der Putschversuch von Teilen der Armee in der Türkei hat nach offiziellen Angaben des Militärs mindestens 194 Menschen das Leben gekostet. Unter den Opfern seien auch 47 Zivilisten sowie 104 Putschisten, sagte der kommissarisch zum Militärchef ernannte General Ümit Dündar am Samstagmorgen. Es gebe zudem mehr als 1100 Verletzte, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Präsident Recep Tayyip Erdogan zeigte sich nach einer chaotischen Nacht am Samstagmorgen in Istanbul aber siegesgewiss: «Die Türkei wird nicht vom Militär regiert», sagte er und kündigte an, das Militär «vollständig zu säubern». Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, die Situation in dem Nato-Land sei weitgehend unter Kontrolle. Regierungskreisen zufolge sind mehr als 1500 mutmaßliche Umstürzler aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen worden. Fünf Generäle und 29 Oberste habe man ihrer Posten enthoben, hieß es am Samstagvormittag. Erdogan sagte, bei den Putschisten handele es sich um eine Minderheit in den Streitkräften. Die Operationen gegen sie im Armee-Hauptquartier in Ankara dauerten am Vormittag an. Unter anderem in der Hauptstadt Ankara und in Istanbul hatte es Kämpfe und schwere Explosionen gegeben. Bei Luftangriffen der Putschisten auf das Parlament in Ankara wurde das Gebäude stark beschädigt. Einem Bericht des Senders CNN Türk zufolge gab es Gefechte zwischen Polizei und Militär. Die Armee habe die Polizeidirektion beschossen. Augenzeugen berichteten von Panzern in den Straßen der Hauptstadt. Yildirim hatte das Militär in der Nacht angewiesen, von den Putschisten gekaperte Flugzeuge abzuschießen. Der Ministerpräsident bestellte alle Parteien für Samstagnachmittag zu einer Sondersitzung ins Parlament ein. Sowohl Erdogans islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt. Die AKP hat seit 2002 jede Wahl in der Türkei gewonnen. Erdogan ist ein wichtiger, aber umstrittener Partner der Europäischen Union in der Flüchtlingskrise. Die Bundesregierung, die Vereinten Nationen, die USA und die EU riefen zu Gewaltverzicht auf. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte Zurückhaltung und Respekt vor den demokratischen Institutionen. «Die Bundesregierung unterstützt die gewählte Regierung», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Über 1000 Menschen demonstrieren in Bayern gegen den Putsch

Das Auswärtige Amt riet allen Deutschen in Ankara und Istanbul zu «äußerster Vorsicht». In den türkischen Ferienzentren war die Lage nach Angaben der Tui ruhig. Der Reiseveranstalter Thomas Cook forderte Urlauber auf, «vorsichtshalber bis auf weiteres in ihren Hotels zu bleiben». In der Nacht hatten sich die Ereignisse in dem Land mit der zweitgrößten Nato-Streitmacht überschlagen. Am späten Freitagabend begannen türkische Streitkräfte mit einem Putschversuch gegen Erdogan - nach eigenen Angaben, um unter anderem die verfassungsmäßige Ordnung, die Demokratie und die Menschenrechte wiederherzustellen. Die türkische Armee sieht sich als Wächterin der weltlichen Verfassung des Landes und hatte in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt gegen die Zivilregierung geputscht. Zunächst hieß es in der Nacht, die Streitkräfte hätten die Macht in der Türkei übernommen. Das Präsidialamt bestritt dies: Erdogan sei nicht abgesetzt. «Eine Gruppe innerhalb der Streitkräfte hat außerhalb der Kommandostruktur einen Versuch unternommen, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen.» Erdogan rief das Volk zu öffentlichen Versammlungen gegen die Putschisten auf. Dem kamen viele Anhänger nach: Im Istanbuler Stadtteil Tophane gingen Dutzende Gegner des Putsches auf die Straße. Ein dpa-Reporter berichtete am frühen Samstagmorgen, die Menge habe unter anderem «Gott ist groß!» und «Nein zum Putsch!» gerufen. Der US-Fernsehsender CNN International und die britische BBC zeigten Live-Bilder aus der Stadt: Menschen strömten in Massen auf die Straße und schwenkten türkische Fahnen. Der Präsident machte die Bewegung eines einstigen Verbündeten, des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen, für den Putschversuch verantwortlich. «Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen», sagte Erdogan am Samstagmorgen am Atatürk-Flughafen in Istanbul. Erdogan und Gülen, der in der Türkei inzwischen als Terrorist gilt, hatten sich 2013 überworfen. Gülen verurteilte den Putschversuch per Mitteilung scharf. Auch in den großen Städten Bayerns haben in der Nacht auf Samstag Hunderte Menschen vor türkischen Konsulaten gegen den Putschversuch in der Türkei protestiert. Wie die Polizei mitteilte, hätten am türkischen Generalkonsulat in München zwischen 23.30 Uhr und 3.00 Uhr etwa 400 Menschen eine Spontandemonstration abgehalten. Etwa zur selben Zeit solidarisierten sich in Nürnberg rund 700 Menschen bei einer Kundgebung vor dem Konsulat mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Beide Kundgebungen verliefen laut Polizei friedlich und lösten sich noch in der Nacht auf, als bekannt wurde, dass der Putsch vermutlich gescheitert sei. Wegen des Putschversuchs in der Türkei sind am Samstag am Münchner Flughafen einige Flüge der Airline Lufthansa mit dem Ziel- oder Abflugsland Türkei ausgefallen. Einem Sprecher des Flughafens zufolge waren bis zum Samstagnachmittag zunächst insgesamt vier Flüge mit den Zielen Bodrum, Izmir, Antalya und Istanbul sowie deren Gegenflüge betroffen. Auf der Homepage des zweitgrößten Flughafens in Deutschland hieß es: «Aufgrund der Ereignisse in der Türkei kann es zu Unregelmäßigkeiten im Flugverkehr kommen.» Andere Airlines sollten hingegen regulär fliegen. So waren nach Angaben des Flughafens etwa Flüge von Turkish Airlines nach Istanbul geplant. (dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Zurückweisungen an den Grenzen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.