In Teilen der AfD ist Experten zufolge Antisemitismus weit verbreitet. Ein ehemaliger bayerischer AfD-Funktionär berichtet über den alltäglichen Judenhass in der Partei. Der Zentralrat der Juden macht der AfD derweil schwere Vorwürfe.
Es gab Momente, da war Franz Eibl einfach nur fassungslos. Mehrfach habe er in seiner Zeit bei der AfD in persönlichen Gesprächen mit Parteikollegen antisemitische Äußerungen gehört. „Da wurden dann etwa Verschwörungstheorien über die Rothschilds oder den jüdisch-stämmigen US-Investor George Soros vertreten“, erinnert sich der einstige AfD-Politiker, der bis Juli 2014 AfD-Bezirksvorsitzender von Oberfranken und Pressesprecher der Bayern-AfD war.
In Teilen der Partei sei zudem „das Feindbild des sogenannten US-Israel-Komplexes klar erkennbar gewesen“. Als Historiker habe es ihn „schockiert“, als AfD-Mitglieder ihm gegenüber die deutsche Kriegsschuld geleugnet hätten. „Schuld am Zweiten Weltkrieg waren in deren Augen die USA, indirekt eine dortige jüdische Elite“, sagt Eibl. Er habe den Mitgliedern zwar stets gesagt, dass dies „Unsinn“ sei. Doch Eibl, der früher einmal in der FDP war, sagt: „Viele wollten mir nicht glauben.“ Die Judenfeindlichkeit sei „weiter in der Partei verbreitet als gemeinhin angenommen“. Der fränkische Familienvater sagt: „Der Judenhass in Teilen der AfD war bereits zu meiner Zeit unerträglich.“
Experte: AfD fährt Doppelstrategie
Als Eibl 2013 bei der Bundestagswahl für die Alternative für Deutschland für den Bundestag kandidierte und die Partei nur knapp den Sprung ins Parlament verpasste, war noch der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke Parteichef. Doch bereits damals gab es öffentlich gewordene judenfeindliche Ausfälle: Im Jahr 2013 hatte etwa der damalige Schatzmeister des hessischen Landesverbands für Ärger gesorgt. Er schwadronierte laut Frankfurter Rundschau von internationalen „Mafiosi, die unter dem Deckmantel von Demokratie, Humanismus und Multikulti die Menschheit in einem öko-faschistischen Gefängnisplaneten versklaven wollen“. Konkret seien das etwa die jüdische Bankiersfamilie Rothschild und der liberale Jude George Soros „und die ganzen freimaurerisch organisierten Tarnorganisationen, die ein Großteil unserer Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern“.
Sachsen-Anhalts AfD-Chef André Poggenburg wiederum forderte im April 2014 die Ausweisung des jüdischen Moderators Michel Friedman. Angesichts der vielen deutschen Juden, die in den 1930er-Jahren unter dem Druck des Nazi-Regimes das Land verließen und dem folgenden Massenmord eine abscheuliche Entgleisung. Und auch, wenn Poggenburg diese Äußerung später als Fehler bezeichnete und Antisemitismus-Vorwürfe bestritt – in fast jeder anderen Partei wäre dies das Ende seiner Karriere gewesen.
Nicht so bei den Deutschnationalen: Poggenburg wurde 2016 sogar Chef der Landtagsfraktion. Und zuletzt wäre er beim Parteitag in Hannover beinahe in die Bundesspitze aufgerückt.
Auch mehreren anderen AfD-Politikern schadeten selbst geschmackloseste antisemitische Verfehlungen nicht allzu sehr. Jan-Ulrich Weiß, Kreisvorsitzender in der Uckermark, hatte auf seiner Facebook-Seite einen Eintrag veröffentlicht, der ihm den Vorwurf einbrachte, antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten. Links oben war ein Foto des jüdischen Bankiers Jacob Rothschild, rechts ein Bild der ihm ähnlich sehenden Simpsons-Figur Montgomery Burns zu sehen. Darunter waren Sätze wie „Wir haben weltweit so gut wie jede Zentralbank in Besitz“ oder „Wir steuern deine Nachrichten, Medien, Öl und deine Regierung“ zu lesen.
Erst kürzlich zog Weiß in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns ein. Ein Versuch, ihn aus der Partei zu werfen, scheiterte 2015 vor dem Bundesschiedsgericht. Der Berliner Antisemitismus-Experte Jan Riebe erklärt: „Parteiausschlüsse sind in Deutschland zwar rechtlich nicht einfach durchzusetzen. Aber bei der AfD sind sie bei judenfeindlichen Entgleisungen auch nicht gewollt.“ Riebe, Sozialwissenschaftler der Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Judenfeindlichkeit engagiert, ist überzeugt: „In der AfD gibt es eine breite antisemitische Strömung.“ Die AfD sei radikaler geworden.
Bereits 2016 hatten Medienrecherchen gezeigt, wie antisemitisch und israelfeindlich Teile der AfD tatsächlich sind. In zahlreichen Fällen hatten sich teils hochrangige AfD-Mitglieder in der Vergangenheit offensichtlich antisemitisch geäußert.
Die Liste der Verfehlungen riss seither nicht ab. So hatte ein führender Berliner AfD-Kommunalpolitiker Medienberichten zufolge Ende 2016 „die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich“ in der damaligen Tschechoslowakei gelobt: „Dieser stellte schon vom ersten Moment an die Weichen richtig.“ Heydrich wurde „Schlächter von Prag“ genannt und war Organisator der Wannsee-Konferenz zur „Endlösung der Judenfrage“. Und Ende November berichtete die FAZ, dass der stellvertretende Chef der AfD-Bundestagsfraktion, Peter Felser, an der Herstellung antisemitischer und volksverhetzender Wahlkampfspots für die rechtsradikale Partei Die Republikaner beteiligt war.
Gegen Antisemitismus – aber nur bei anderen
Seit dem Abgang Luckes sei der Anteil der Mitglieder, die judenfeindliche Einstellungen vertreten, weiter gestiegen, betont Riebe: „Die Partei ist einerseits radikaler geworden. Andererseits sind gemäßigte Leute ausgetreten.“ Für Eibl brachte dann die Ankündigung der AfD Ende Juli 2014 das Fass zum Überlaufen: als klar war, dass sie mit Björn Höcke als Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl antreten wollte. „Höcke galt damals als Rechtsaußen. Mit so jemandem wollte ich schon damals nicht in derselben Partei sein“, erinnert sich der Franke, den auch der zunehmend migrantenfeindliche und reaktionäre Kurs von Teilen der Partei störte.
Gegen Höcke wurden zuletzt ebenfalls Antisemitismus-Vorwürfe erhoben. Er hatte Ende 2015 auf Facebook eine Lobrede auf den AfD-Politiker und baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon gehalten. Unabhängige Gutachter hatten Gedeons Schriften als antisemitisch beurteilt. Über das Berliner Holocaust-Mahnmal sagte Höcke Anfang 2017: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“ Nicht nur aus Sicht des Zentralrats der Juden eine antisemitische Äußerung – doch Höcke sitzt noch immer fest im Sattel.
Die AfD selbst, deren Pressestelle eine Anfrage unbeantwortet ließ, verurteilt offiziell ein ums andere Mal Antisemitismus – zumindest den der anderen. „Es ist beschämend, dass ausgerechnet in Berlin auf offener Straße im Jahr 2017 wieder Davidsterne brennen“, sagte etwa der stellvertretende AfD-Vorsitzende Georg Pazderski – in der Bundeshauptstadt hatten zuvor manche Teilnehmer von Anti-Israel-Demos ihrem Judenhass freien Lauf gelassen.
Experte Riebe spricht von einer Doppelstrategie der Rechtspopulisten. „Die Partei spielt sich als Vorkämpfer gegen Antisemitismus auf, wenn dieser von Muslimen kommt – in den eigenen Reihen unternimmt man dagegen nur wenig.“
Die Sorge unter vielen Juden wächst derweil. „Der Antisemitismus, der von Teilen der AfD vertreten wird, ist unerträglich. Es erschreckt mich, dass die AfD sich nicht klar und deutlich davon distanziert“, sagt Josef Schuster, Chef des Zentralrats der Juden. Eine Partei, die solche Einstellungen in ihren Reihen dulde, müsse sich vorwerfen lassen, „dem Antisemitismus Vorschub zu leisten“.
Eibl hatte das schon früh erkannt. Und die richtigen Konsequenzen gezogen.
(Tobias Lill)
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