Bayerns DGB-Chef Matthias Jena macht Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im BSZ-Gespräch schwere Vorwürfe. Die Beziehung zu dem FW-Politiker sei „problematisch“. Und: 38 Jahre nach dem Skandal um die Neue Heimat kann sich der Arbeiterführer die Gewerkschaften wieder als Akteur im Wohnungsbau vorstellen.
BSZ: Herr Jena, immer wieder werden Gewerkschafter von Rechtsextremen eingeschüchtert. Gerade erst verfolgten Neonazis Mitglieder der DGB-Jugend in Bad Segeberg. Wurden Sie bereits bedroht?
Matthias Jena: Ich selbst wurde noch nicht bedroht, anders als der DGB Bayern. In einem Kommentar zu einem Zeitungsartikel wurden wir als Nazis beschimpft. Sehr bewegt haben mich auch die Morddrohungen gegen Landesbischof Bedford-Strohm, den ich persönlich gut kenne. Schauen Sie sich einmal die sogenannten sozialen Medien an – wenn man da die Kommentarspalten liest, wird einem ja oft angst und bange. Ich weiß beim besten Willen nicht, warum diese Netzwerke „sozial“ heißen.
BSZ: Nicht nur die Bundesregierung will künftig stärker gegen Drohungen in sozialen Netzwerken vorgehen. Brauchen wir härtere Strafen?
Matthias Jena: Unbedingt. Die bayerische Staatsregierung hat nun ja einen Vorschlag vorgelegt, ein eigenes Internetgesetz zu machen. Das habe ich allerdings nicht ganz verstanden. Warum sollen im Internet andere Regeln gelten als im realen Leben? Eine Morddrohung ist immer strafbar – egal, ob in den sozialen Medien oder im realen Leben. Was wir in Bayern brauchen, ist eine Meldestelle, die sich auch wirklich darum kümmert und in der Lage ist, die Adresse des Drohenden herauszufinden. Denn wer bei Facebook oder anderswo Morddrohungen postet, macht dies im Regelfall ja nicht mit Klarnamen. NRW beginnt nun damit, genau so eine Stelle aufzubauen. Das könnte Vorbild sein.
"So geht man nicht miteinander um"
BSZ: Von jeher sind die Gewerkschaften Kämpfer gegen Nationalismus und Totalitarismus. Schmerzt es Sie da, dass es laut Studien und Umfragen unter Mitgliedern eine höhere Affinität zu rechtsextremen Gedanken gibt als in der Durchschnittsbevölkerung?
Jena: Wir kennen die entsprechenden Wahlumfragen unter Gewerkschaftsmitgliedern. Ich war, als ich diese gesehen habe, natürlich etwas schockiert. Ich verstehe nicht, wie ein Gewerkschaftsmitglied AfD wählen kann. Wer das tut, kann niemals einen Blick in deren Parteiprogramm geworfen haben. In dieser Partei fordern maßgebliche Funktionäre wie Herr Meuthen zum Beispiel die Abschaffung der gesetzlichen Rente. Wovon will der Arbeiter oder Angestellte denn dann im Alter leben? In allen größeren Betrieben, die ich kenne, funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Menschen aus vielen Ethnien hervorragend. Beste Beispiele dafür sind Audi und BMW.
BSZ: Dort ist es der IG Metall in Bayern gelungen, Rechtsextreme aus der Arbeitnehmervertretung herauszuhalten. Doch wie sieht das bei den nächsten Betriebsratswahlen und in anderen Firmen aus?
Jena: Es gab 2018 in Bayern bei den Betriebsratswahlen keine einzige rechte Liste, die einen Betriebsrat durchbekommen hat. Wie das in zwei Jahren aussehen wird, ist schwer zu sagen. Wir sind aber gut aufgestellt. Es ist nicht im Interesse der Beschäftigten, AFD-nahe oder rechte Listen zu wählen. In Bayern sind die Unternehmen besonders stark exportabhängig. Es sich mit anderen Ländern zu verderben oder sich abzuschotten, würde einen Einbruch der Wirtschaft zur Folge haben.
BSZ: Doch der Export hat sich aufgrund internationaler Streitereien und Protektionismus längst abgekühlt. Und es gibt weitere Herausforderungen wie die Energiewende.
Jena: Es stellt sich tatsächlich die Frage, was die Staatsregierung eigentlich macht, wenn in knapp zwei Jahren die letzten beiden Atomkraftwerke abgestellt werden.
BSZ: Und was wird sie machen?
Jena: Im Moment macht sie gar nichts. Obwohl das Ende der AKW absehbar ist, kommt die Energiewende in Bayern nicht voran. Nach meiner Einschätzung wird es nur funktionieren, wenn wir Strom aus den Windkraftwerken an der Nord- und Ostsee bei uns nutzen. Doch dafür brauchen wir dringend die entsprechenden Leitungen. Gibt es diese Leitungen nicht, wird die EU irgendwann sagen, dass es in Deutschland verschiedene Strompreise geben muss. Wenn in Bayern der Strom teurer ist als in Norddeutschland, muss der Strompreis im Freistaat steigen. Und das hat Folgen: Wir haben hier viele sehr energieintensive Unternehmen, etwa in der chemischen Industrie, aber auch im Metallgewerbe – wenn der Strompreis steigt, dann werden diese Firmen darüber nachdenken, ob sie nicht woanders hingehen. Wir hatten mit der früheren Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und anderen wichtigen Akteuren wie der IHK oder den Arbeitgebern vor mehreren Jahren eine Vielzahl konstruktiver Gesprächsrunden. Es gab einen breiten Konsens. Doch seither ist nicht mehr viel passiert.
BSZ: Im Rahmen der Energie- sowie der Verkehrswende wird es einen Umbau der Wirtschaft geben. In der Industrie werden zunächst gut bezahlte und gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze wegfallen. Sei dies etwa beim Umstieg auf E-Autos oder den ÖPNV. Gleichzeitig entstehen zwar im Dienstleistungsbereich neue Jobs – doch dort können die Gewerkschaften oft noch nicht richtig Fuß fassen. Bereitet Ihnen das Sorge?
Jena: Natürlich macht uns das Sorgen. Die Abkehr von Diesel und Benzinern führt insbesondere bei den Zulieferern, weniger bei den beiden großen Autoherstellern, zu einem Stellenabbau. Ich persönlich bin von der Elektromobilität nicht restlos überzeugt. Die Herstellung und die Entsorgung von Batterien ist äußerst umweltschädlich. Aber den bayerischen Autobauern bleibt wegen der E-Auto-Quote in China im Moment keine andere Wahl, als sich dort zu engagieren. Wichtig ist, dass die Unternehmen Alternativen wie etwa den Wasserstoffantrieb nicht aus den Augen verlieren.
"Regionale Mindestlöhne würden zu Streitereien führen"
BSZ: Und wie beurteilen Sie das Klimapaket des Bundes und die Maßnahmen der Landesregierung?
Jena: Die Bundesregierung hat es nicht leicht. Sie muss die Energiewende schaffen, will jedoch auch niemanden in die Arbeitslosigkeit schicken. Die Regierung bemüht sich um einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Ob man da in einigen Punkten noch mehr machen könnte, lässt sich schwer beurteilen.
BSZ: Auch Gewerkschafter kritisieren, dass für den Klimaschutz derzeit vor allem die kleinen Leute aufkommen müssen. Braucht es hier mehr soziale Ausgewogenheit?
Jena: Im Großraum München etwa gibt es viele Menschen, die gezwungen sind zu pendeln, weil sie sich in der Landeshauptstadt keine Wohnung leisten können. Für sie wird es schwierig. Hier muss dringend der ÖPNV ausgebaut werden. Und er muss bezahlbar sein.
BSZ: Ein anderes Thema: Die Rente mit 63 kommt teurer als gedacht.
Jena: Nur aus der Rentenversicherung alleine ist sie nicht zu finanzieren. Doch große Vermögen, etwa Einkünfte aus Kapitalerträgen, werden in Deutschland nicht stark genug besteuert. Hier besteht Handlungsbedarf. Denn es ist doch klar, dass es Berufe gibt, die nur sehr schwer bis 65 durchzuhalten sind, der Beruf des Dachdeckers zum Beispiel. Es geht bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit um die Frage der Rentenhöhe und der Rentendauer. Wir müssen auch die steigende Altersarmut in Städten wie München stärker bekämpfen.
BSZ: Apropos soziale Ungleichheit. Wie soll man in München angesichts der horrenden Mieten von nicht mal zehn Euro Stundenlohn leben?
Jena: Es ist völlig klar, dass der Mindestlohn in der derzeitigen Höhe nicht ausreicht. Deshalb fordern wir einen bundesweiten Mindestlohn von zwölf Euro.
BSZ: Das reicht wohl in vielen Gegenden, aber nicht in München.
Jena: Ja, das stimmt.
BSZ: Aber was spricht dann gegen regionale Mindestlöhne? In Wunsiedel brauche ich weniger Geld als in München.
Jena: Dies würde wohl zu großen Streitereien führen, welcher Mindestlohn für wen gilt – der des Wohnorts des Mitarbeiters, der des Arbeitsplatzes oder der der Firma. Unternehmen könnten den Mindestlohn so aushebeln.
BSZ: Auch im Gesundheitsbereich gibt es Missstände. Medikamente sind teils nicht vorrätig, Kinderstationen machen dicht. Sollte der Staat als Akteur eingreifen, etwa durch mehr öffentliche Kliniken.
Jena: Unbedingt muss der Staat hier tätig werden. Immer mehr Krankenhäuser sind in privater Hand. Das Renditestreben vieler Kliniken ist ein Teil des Problems.
BSZ: Bleiben wir bei der Daseinsvorsorge. Gewerkschaften sorgten früher für günstigen Wohnraum. Bis der Skandal um die gewerkschaftseigene Neue Heimat alles zunichtemachte. Ist es Zeit für einen neuen Versuch?
Jena: Ich persönlich kann mir die Gewerkschaften als Akteur im Wohnungsbau vorstellen. Jedoch nur gemeinsam mit anderen sozialen Trägern.
BSZ: Welche Bilanz ziehen Sie als Gewerkschafter nach einem Jahr Schwarz-Orange in Bayern?
Jena: Das hängt stark von den handelnden Personen ab. Problematisch sehen wir die Beziehung zu Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Bei seiner Vorgängerin Ilse Aig-ner (CSU) gab es regelmäßige Treffen mit Arbeitnehmervertretern. Aiwanger sind die Interessen der bayerischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer offenbar egal. Zweimal hatten wir mit ihm einen Termin festgezurrt, eine Betriebsrätekonferenz zum Thema Tarifbindung mit gut 200 Betriebsräten. Der Wirtschaftsminister sagte beide Male kurzfristig ab – einmal nur knapp zwei Wochen zuvor. Das geht so einfach nicht. So geht man nicht miteinander um.
BSZ: Wäre Ihnen eine CSU-Alleinregierung lieber als eine Koalition aus Freien Wählern und CSU?
Jena: Das kann man so nicht sagen. Es kommt immer auf die handelnden Personen an. So hatten wir mit Kultusminister Michael Piazolo (FW) eigentlich ein gutes Verhältnis, bis er zuletzt die Mehrarbeit für Grund-, Mittel- und Förderschullehrer beschlossen hat.
Interview: Tobias Lill
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