Politik

Das Einladungsplakat: Hitler benannte die Partei an diesem Abend um. (Foto: NS-Dokumentationszentrum)

21.02.2020

Als das Herz der Gemütlichkeit zur Mördergrube wurde

Vor 100 Jahren wurde im Münchner Hofbräuhaus die NSDAP gegründet – ein Jahrestag, vor dem sich die Stadt wegduckt

Der Eintritt kostete 50 Pfennig. Das war nicht ganz so billig, wie es heute klingt, denn man schrieb das Jahr 1920. Ein Brief kostete damals 20 Pfennig. Doch dafür durfte man an diesem 24. Februar 1920 teilhaben an dem „großen öffentlichen Vortrag“ zum Thema „Was uns not tut!“ Den Referenten, einen „Dr. med. Johannes Dingfelder“, kennt heute niemand mehr, ebenso wenig die Deutsche Arbeiter-Partei, die zu der Abendveranstaltung „im großen Saale des Hofbräuhauses“ einlud. Denn die Deutsche Arbeiter-Partei gab es am nächsten Tag nicht mehr. Ein Herr Hitler, der noch nicht mal Vorsitzender der DAP war, benannte die Partei nämlich an diesem Abend in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei um.

Am 24. Februar 1920 wurde also die NSDAP gegründet. Nein, nicht die Münchner Ortsgruppe, sondern die Partei überhaupt. Und nicht im Hinterzimmer irgendeiner Spelunke, die längst das Zeitliche gesegnet hat, sondern im Festsaal des Hofbräuhauses, im Zentrum der Münchner Gemütlichkeit. Und nicht vor einem verlorenen Haufen, sondern vor 2000 Leuten.

Das Einladungsplakat zu dieser nicht als solche angemeldeten Parteigründungsversammlung findet man im 4. Stock des NS-Dokuzentrums, ein unscheinbarer Druck in Frakturschrift auf leicht rosarotem Papier. Die Dauerausstellung des NS-Dokuzentrums (bis April freier Eintritt) ist chronologisch angeordnet, sie beginnt im 4. Stockwerk mit der Weimarer Republik, es folgen die ersten sechs Jahre der NS-Diktatur im 3., die Kriegsjahre im 2. und die Nachkriegszeit im 1. Stock. Wobei es in der 1. Etage darum geht, dass der Nationalsozialismus nach 1945 keineswegs verschwunden ist. Das unscheinbare Einladungsplakat zu jener Abendveranstaltung im Februar 1920 im Hofbräuhaus zog eine Weltkatastrophe nach sich, deren Darstellung vier Etagen erfordert und auch da nur eine punktuelle Auswahl all der barbarischen Ereignisse bieten kann.

Was sagt die Stadt München zum Jahrestag? Sie schweigt

Was sagt die Stadt München zu diesem, vorsichtig ausgedrückt – unrühmlichen –, Jahrestag? Sie schweigt. Wie heißt es im NS-Dokuzentrum auf einer der Texttafeln über die Nachkriegszeit so treffend? „Münchens Rolle als Ursprungsort und Parteizentrum der NS-Bewegung blieb lange nahezu unsichtbar.“ Rühmliche Ausnahme: eben das 2015 eröffnete NS-Dokuzentrum, in dem das zu sehen und zu lesen ist, was die Stadt als solche verleugnet.

Um etwas über die Gründungsversammlung der NSDAP zu erfahren, kommt man nicht umhin, Mein Kampf aufzuschlagen. Seit vier Jahren gibt es ja die zweibändige kommentierte Ausgabe des Münchner Instituts für Zeitgeschichte mit fast 2000 Seiten, auf denen Hitlers Lügenmärchen „von über 3700 Anmerkungen umzingelt“ sind, wie Projektleiter Christian Hartmann es ausdrückte. Die Versammlung im Hofbräuhaus am 24. Februar 1920 taucht in Hitlers Machwerk am Ende des ersten, 1925 erschienenen Bandes auf. Da heißt es: „7.15 [19.15 Uhr] betrat ich den Festsaal des Hofbräuhauses am Platzl in München, und das Herz wollte mir fast vor Freude zerspringen. Der gewaltige Raum […] war mit Menschen überfüllt, Kopf an Kopf, eine fast zweitausend zählende Masse.“

Laut Kommentar der kritischen Mein Kampf-Ausgabe ist die horrende Zahl von 2000 Personen nicht mal gelogen; sie wird durch die Polizeiberichte bestätigt. Hatten die denn Platz in dem Saal? Tatortbesichtigung im Hofbräuhaus. Der Kellner, der in den (leeren) Saal führt, meint, es seien 600 Sitzplätze, enger zusammengerückt vielleicht 800. Die Speisekarte nennt sogar die Maße des Saales: 17,5 mal 42 Meter. Das macht 735 Quadratmeter. Um hier 2000 Leute reinzukriegen, müssten die Tische raus, und dann kommen auf einen Quadratmeter 2,7 Personen.

Auf der ersten Seite des zweiten, 1926 erschienenen Bandes von Mein Kampf heißt es dann: „Im Festsaale des Münchner Hofbräuhauses wurden die fünfundzwanzig Thesen des Programms der neuen Partei einer fast zweitausendköpfigen Menschenmenge unterbreitet und jeder einzelne Punkt unter jubelnder Zustimmung angenommen.“ Letzteres, merkt die kritische Ausgabe an, ist Propaganda, schon allein deshalb, weil mindestens hundert Linke im Saal waren, die sich lautstark zu Wort meldeten – was Hitlers Anhänger der ersten Stunde andererseits erst recht angefeuert haben soll. „Anhänger der NSDAP nahmen die störenden Zwischenrufe jedoch zum Anlass, den Programmpunkten bei ihrer Verlesung umso euphorischer beizupflichten.“

So oder so, es bleibt der Tatbestand, dass ein großer Saal voller Münchner die Verkündung des ersten Parteiprogramms der NSDAP mehrheitlich bejubelte. Das Programm besagte unter anderem: Entzug der Staatsbürgerschaft für Juden, Einwanderungsstopp, Abschiebung von Ausländern, Todesstrafe für „Volksverbrecher“, garniert mit Allgemeinplätzen wie „Gemeinnutz vor Eigennutz“. Und das alles im Münchner Allerheiligsten, im Festsaal des HB.

Im aktuellen Heft der Satirezeitschrift Titanic findet sich in der Rubrik Briefe an die Leser auch ein Brief ans Hofbräuhaus, der mit der Frage endet: „Wir wollten Dich zum 100. Jubiläum dieser Parteigründung in Dir nur fragen, wie oft und in welchem Abstand die Münchner Gemütlichkeit zu solchen Ereignissen bei Dir führt: alle hundert Jahre? Oder dürfen wir vorher noch austrinken?“

Die Stadt München scheint den unliebsamen Jahrestag aussitzen zu wollen. Doch die Satirepartei Die Partei hat für den 24. Februar Mahnwachen angemeldet, vorm Hofbräuhaus und an anderen Stellen in der Stadt, an denen zum Parteijubiläum Naziaufmärsche zu befürchten sind, etwa an der Feldherrnhalle. Auf der Seite faschingstattfaschos.de versichert man, das habe ausnahmsweise nichts mit Satire zu tun, auch wenn es obendrein noch der Rosenmontag ist. Man handle allein aus „Respekt, Ehrfurcht und Demut vor den Opfern des NS-Regimes“. Das Ziel sei, „zu verhindern, dass Nazis diesen Tag in der ‚Hauptstadt der Bewegung‘ mit Aufmärschen feiern können“.
(Florian Sendtner)

Kommentare (1)

  1. Menschenrechtler am 02.08.2020
    Parlamente, Wahlsystem, Grundgesetz, Verfassungen und Justiz sorgen für untergebene Untertanen. Geht nun endlich Gemeinnutz vor Eigennutz, wie das schon im Dritten Reich propagiert wurde?
    Zitat aus http://www.hans-joachim-selenz.de/kommentare/2008/justiz-sumpf-deutschland.html:
    „Wegen der weisungsgebundenen Staatsanwälte brauchen unsere Politiker und ihre fördernden Freunde aus der Wirtschaft nicht einmal zu befürchten, juristisch belangt zu werden. Der Bürger fragt sich angesichts einer immer stärker ausufernden Kriminalität, ob dieser Polit/Justiz-Sumpf jemals trocken zu legen ist. Ex-Richter Fahsel ist auch da pessimistisch: ,,In der Justiz gegen solche Kollegen vorzugehen, ist nicht möglich, denn das System schützt sich vor einem Outing selbst - durch konsequente Manipulation".
    In Deutschland sind in der Tat alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Der Sumpf schließt die höchsten deutschen Gerichte ein. Daher gibt es praktisch keine Verurteilung wegen Rechtsbeugung, Strafvereitelung im Amt und Begünstigung.“
    Zu Gesundheitsschäden und Tod durch Industrieprodukte wird viel publiziert, z.B. in Videos „Unser täglich Gift“, "Die Pharmaindustrie ist schlimmer als die Mafia", „Immer mehr Todesfälle durch Implantate“, Eine Computertomographie entspricht der 100- bis 1000-fachen Strahlendosis des konventionellen Röntgens, vgl. z.B. http://www.pm.ruhr-uni-bochum.de/pm2007/msg00110.htm oder der Strahlung der Atombombe von 1945, vgl. z.B. https://www.welt.de/wissenschaft/article1667375/Experten-warnen-vor-Computertomografie.html . Eine Ct erhöht das Krebsrisiko um ca. 24 Prozent, vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/173109/Gefahren-durch-Ionisierende-Strahlung-Mediziner-in-der-Verantwortung. Von den Gefahren durch Medizinprodukte erfährt der Patient entgegen dem Patientenrechtegesetz nichts.
    „Bei der Zulassung, Sicherheit und Kontrolle von Medizinprodukten liegt ein Multiorganversagen vor. Politik und Kontrollbehörden unternehmen nichts, für Patienten ist diese Lethargie lebensgefährlich. Wo bleibt der Aufschrei?“
    Der Aufschrei wird abgewürgt. Die Bundesregierung kümmert sich nur um die Werbung für die Patientenrechte, siehe z.B. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Ratgeber_Patientenrechte.pdf?__blob=publicationFile&v=23. Um die Einhaltung der Patientenrechte kümmert sie sich nicht. Darum, dass die suggerierten Rechte beim Volk ankommen, kümmert sich die Regierung nicht. Dazu ein Zitat aus https://unschuldige.homepage.t-online.de/
    „Grundsätzliche Methode aller Gerichte, Behörden und Petitionsausschüsse bei ihren Entscheidungen über Gesuche Betroffener ist da, wo es darauf ankommt, die Verfälschung und Ignorierung des wahren Sachverhalts und die Ignorierung oder Verdrehung des maßgeblichen Rechts bei den Entscheidungsgründen.“ Es herrscht, Zitat aus http://web.wengert-gruppe.de/wengert_ag/news/2003/SteuerstrafverfinDeutschland.pdf : „Klassenkampf und Krieg gegen die Bürger um jeden Preis.“
    Mich interessiert das Treiben an meine DDR-Zeit. Auch wir leben in einem Land der Lügen, vgl. dazu auch https://youtu.be/PC1Dw1lfLtI.
    Einem im Internet veröffentlichten Vortrag „Demokratie erneuern!“ entnahm ich auch:
    Macht muss radikal eingehegt werden, denn Demokratie wird nur von oben gewährt, wenn der Druck von unten groß genug ist und die Gefahr einer Revolution besteht. Machtstrukturen haben sich der Existenzberechtigung zu stellen mit Rechenschaftspflichtigkeit, Verfahren ähnlich dem sogenannten „Scherbengericht“ (Stimmzettel im antiken Griechenland aus Tonscherben), mit dem Zweck, unliebsame oder zu mächtige Bürger aus dem politischen Leben zu entfernen.
    Die Alternative ist immer die Barbarei. Passivität bedeutet die Entscheidung für die Barbarei.
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.