Politik

Immer weniger Mediziner auf dem Land: Plakat einer Ärztekampagne in Frankfurt, die auf das Problem aufmerksam macht. (Foto: dpa)

16.12.2016

"Alternative Formen der ärztlichen Versorgung nötig"

Hans Drexler, Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Erlangen, über den CSU-Plan einer Hausarztquote, den Genderaspekt und die Vorteile des Numerus Clausus

In immer mehr Dörfern fehlt es an niedergelassenen Allgemeinmedizinern, viele der noch tätigen sind bereits älter als 60 Jahre. Es droht ein Versorgungsengpass. Die CSU plant deshalb eine Quote: Ein Teil der Studienplätze soll jenen vorbehalten bleiben, die sich verpflichten, nach dem Examen als Landarzt tätig zu sein. Bereits jetzt unterstützt Bayern Medizinstudenten, die Hausarzt werden wollen, finanziell. BSZ: Herr Professor Drexler, die Unis lehnen es ab, einen Teil der Medizin-Studienplätze für künftige Landärzte zu reservieren. Warum?
Drexler: Weil es Unsinn ist, von einem 19-jährigen Studienanfänger zu verlangen, dass er sich sicher ist, was er zehn Jahre später, als fertiger Arzt, exakt beruflich machen möchte. Als ich mich immatrikulierte, wollte ich auch gern Landarzt werden. Aber die Interessen ändern sich. Man entdeckt beispielsweise einen Fachbereich, der einen fasziniert und in dem man sein Wissen gern verbreitern möchte. Natürlich glaube ich, dass die jungen Leute, die heute versichern, Landarzt werden zu wollen, das voller Überzeugung tun. Aber dabei wird es nicht bleiben, glauben Sie mir.

BSZ: Was ist so unattraktiv am Landarztdasein?
Drexler: Schauen wir doch mal genau hin. Der klassische niedergelassene Allgemeinmediziner – das ist doch heute eher so eine Art Manager im Gesundheitssystem. Der überprüft, ob der Patient akute Hilfe braucht oder was Ernstes hat. Und wenn ja, überweist er ihn weiter zum Facharzt. Hausarzt ist einfach eine unattraktive Tätigkeit für einen Mediziner geworden. Man trägt alle Risiken eines selbstständigen Unternehmers – für das angestellte Personal, für die technische Ausstattung der Praxis – , gleichzeitig aber auch alle Unannehmlichkeiten eines Angestellten: Das Einkommen ist durch die Krankenkassen gedeckelt, für einen Hausbesuch gibt es beispielsweise nur 18 Euro, nicht mehr.

BSZ: Mit dem Konzept, durch finanzielle Unterstützung während des Studiums anschließend für fünf Jahre befristet Hausärzte für unterversorgte Regionen zu finden, ist Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) durchaus erfolgreich.
Drexler: Warten wir mal ab. In den 1970er-Jahren hat beispielsweise die Bundeswehr, die damals auch händeringend Ärzte suchte, den Studenten auch das Studium finanziert, wenn sie sich anschließend verpflichten. Doch als viele Betroffene gesehen haben, was da auf sie zukommt, waren sie total unglücklich. Die haben mit allen Mitteln versucht, sich freizukaufen. Außerdem ist das doch nicht ganz aufrichtig, mit den maximal fünf Jahren. Auch die Kollegin Huml weiß, dass man sich auch nach dem Studium weiter spezialisiert. Wer erst mal fünf Jahre als Allgemeinmediziner gearbeitet hat, der wechselt in der Regel nicht mehr, da ist die Entwicklung in anderen Bereichen schon zu weit fortgeschritten.

BSZ: Ist es nicht Aufgabe der Politik, hier Abhilfe zu schaffen?
Drexler: Doch. Aber indem sie mehr Studienplätze zur Verfügung stellt. Wir haben nämlich einen Ärztemangel.

"Es gibt zu wenig Ärzte, weil die Mediziner nicht mehr so viel schuften wie früher"

BSZ: Aber es gibt immer mehr Ärzte. 1990 praktizierten in ganz Deutschland 237 000 Ärzte. Im Jahr 2015 waren es 370 000. Und die Bevölkerung ist seither nicht gewachsen.
Drexler: Diese Zahlen mögen stimmen, mit dem Argument kommt auch die Politik gern. Aber man muss schon genauer hinschauen. Wir hatten zum einen im Jahr 2000 im Medizinstudium den sogenannten Genderwechsel. Das bedeutet, seither studieren mehr Frauen als Männer, inzwischen sind zwei Drittel der Medizinstudenten weiblich. Frauen sind qualitativ selbstverständlich genau so gut wie Männer – aber sie leisten, das ist auch statistisch erwiesen, quantitativ gesehen auf die Lebensarbeitszeit deutlich weniger. Viele junge Frauen fallen in den ersten Jahren nach der Geburt der Kinder aus, und später kehren die wenigsten in Vollzeit wieder zurück, die meisten arbeiten dann in Teilzeit.

BSZ: Das allein kann es aber doch nicht sein.
Drexler: Nein, hinzu kommt noch das geänderte Arbeitszeitgesetz. Als ich ein junger Assistenzarzt war, in den 1980er-Jahren, da bin ich Freitagmorgen in die Klinik gegangen und am Montagabend wieder nach Hause. Wenn ein Chefarzt das heute zulassen oder gar anordnen würde – er müsste sich dafür vor Gericht verantworten. Die Selbstausbeutung vieler Mediziner früherer Tage ist nicht mehr vorhanden. Familie, Hobbys, Ehrenamt – das ist den jungen Kollegen heute wichtig, und das ist auch in Ordnung so. Die wollen gute Ärzte sein, aber eben nicht nur. Zusammengefasst: Ja, es gibt vielleicht mehr Köpfe in der Medizin. Aber pro Kopf weniger geleistete Arbeitsstunden als früher.

BSZ: Die medizinische Versorgung auf dem Land nimmt also zwangsläufig ab?
Drexler: Die Politiker sollten zumindest ehrlich sagen, dass in Zukunft andere Formen der ärztlichen Versorgung auf dem Land unumgänglich sein werden. Beispielsweise die medizinischen Versorgungszentren anstelle der Hausarztpraxen. Da arbeitet ein angestellter Arzt acht Stunden, dann hat er Feierabend, und danach übernimmt ein Kollege. Aber dass ein einzelner Hausarzt quasi rund um die Uhr erreichbar ist für alle Patienten – das wird es nicht mehr geben. Und auch die Patienten werden umdenken müssen. Wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt: Das geht dann nicht mehr, und das muss auch nicht sein. Wer beispielsweise eine Erkältung hat und ansonsten gesund ist, der legt sich eben mit einer Tasse Tee ins Bett. Wenn es nach drei Tagen nicht besser geworden ist, kann man immer noch den Arzt rufen.

BSZ: Warum schafft man nicht den Numerus Clausus für Medizin ab?
Drexler: Wenn es mehr Bewerber als Studienplätze gibt, muss irgendein Auswahlverfahren durchgeführt werden. Dann kommt wieder die alte Litanei, dass die Abiturnote angeblich nichts aussagt darüber, ob jemand ein guter Arzt wird und dass doch Empathie so enorm wichtig sei. Die Abiturnote sagt aber sehr wohl etwas aus über das Leistungsniveau. Und der Arztberuf braucht die Besten! Ich halte nichts davon, dass man hier alles mit sozialem Engagement kompensieren soll. Wenn Sie an einer lebensgefährlichen Krankheit leiden oder nach einem Verkehrsunfall schwer verletzt daliegen und es um Minuten geht – dann wollen Sie den fachlich Versierten, der Ihnen das Leben rettet! Und keinen Arzt, der Ihnen tröstend die Hand hält und eine paar nette Worte spricht. Ärzte sind keine Seelsorger, und das müssen sie primär auch nicht sein. Wem es am allerwichtigsten ist, sich um kranke Menschen zu kümmern und Einfühlungsvermögen zu zeigen, der könnte doch auch Pfleger oder Krankenschwester werden, die sind auch dringend gesucht! Selbstverständlich ist es ideal, wenn der fachlich kompetente Arzt gleichzeitig auch sozial kompetent und empathisch ist.

BSZ: Wenn Sie wirklich die Besten wollen: Dann machen Sie doch Auswahltests an den Unis! Oder ist das den Professoren zu aufwendig?
Drexler: In gewissem Umfang gibt es das ja schon, den sogenannten Medizinertest. Aber die Auswahlgespräche sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Mal zynisch gesprochen: Wissen Sie, wer da in der Regel am besten abschneidet? Die attraktive Schülerin aus dem Elternhaus der Oberklasse und oberen Mittelklasse. Die ist charmant, weltgewandt, kann gut reden, sich gut verkaufen. Aber ist sie deshalb auch die beste Studentin und wird die beste Ärztin? Und gegen Auswahlgespräche wird es immer wieder Klagen geben, wenn nicht belegt werden kann, dass diese objektiv waren. Da warten die Anwälte doch nur drauf. Der Numerus Clausus mag für den Einzelnen mitunter hart sein – aber er ist wenigstens fair und objektiv.
(Interview: André Paul) Foto: Hans Drexler (61), Dekan der medizinischen Fakultät an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.

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