Politik

Urlaub dahoam: Stau und massive Parkplatz-Probleme sind in vielen bayerischen Kommunen seit Pfingsten Alltag. (Foto: dpa/Matthias Balk)

17.07.2020

Alternativen zum Lieblingssee

Mittels digitaler Technik will man den Massenansturm auf beliebte Freizeitziele in Bayern lenken – doch nicht alle werden sich davon beeinflussen lassen

In Corona-Zeiten, wo Verreisen schwierig geworden ist, zieht es die Menschen vermehrt in heimische Gefilde. Entsprechend überlaufen sind diese dann, zahlreiche Kommunen stöhnen über den Massenandrang am Wochenende. Abhilfe schaffen soll ein Ausflugs-Ticker, den der Tourismusverband Oberbayern ersonnen hat. Jetzt wird er auf ganz Bayern ausgeweitet. Wie sinnvoll ist das?

Ob sich Geschichte wiederholt oder nicht, das ist eine alte Streitfrage unter Historikern. Für Philipp Holz, Tourismusmanager in der Zugspitz-Region, ist die Antwort klar: Zumindest in der Tourismus-Historie gibt es erstaunliche Parallelen. Warum? Da müsse man nur auf die ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, die Zeit nach der Wiedervereinigung und auf die Gegenwart blicken, sagt er.

In den 1950er-Jahren boomten Touren innerhalb Deutschlands, bis die ersten Reiselustigen Italien ansteuerten. Auch nach dem Mauerfall erfreuten sich Ziele zwischen Rügen, Rhein und Berchtesgaden größter Beliebtheit. Ebenso jetzt, während der Corona-Pandemie – weil sich viele noch nicht ins Ausland wagen. Angesichts dessen spricht Holz schon von einer „Renaissance der Tourismus-Geschichte – nur einen Zacken schneller als früher“.

Gruppenreisen gibt es praktisch nicht mehr

Das ist momentan vor allem in der oberbayerischen Alpenregion zu merken, mit manch unschönen Auswirkungen. Etwa in Garmisch-Partenkirchen. Eine Rathaus-Sprecherin berichtet von Staus und massiven Parkplatzproblemen seit Pfingsten, vor allem an sonnigen Wochenenden. Von Ausflüglern, die auf ungemähten Wiesen ihre Zelte aufschlagen. Von Mountainbikern, die ohne Rücksicht auf die Wanderer über enge Gebirgspfade flitzen. Und von Wohnmobil-Fahrern, die auf öffentlichen Stellplätzen oder Restaurant-Parkplätzen übernachten und dort ungeniert ihre Toiletten entleeren. Einige Parkplätze habe man deshalb schon für Camper gesperrt, sagt die Sprecherin: „Aber das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Um die Situation zu entzerren, hat sich der Tourismusverband Oberbayern München (TOM) etwas einfallen lassen: einen Ausflugs-Ticker im Internet, der über die Lage in den oberbayerischen Touristenorten informiert und damit die Besucherströme lenken will. Kann man am Eibsee parken oder ist das Areal schon heillos überlaufen? Gibt es Alternativen? Sind noch Tickets für eine Schifffahrt auf dem Chiemsee oder für die Zugspitzbahn zu haben?

Das Prinzip dafür sei relativ einfach, sagt TOM-Sprecherin Cindy Peplinski: „Das funktioniert ähnlich wie ein Live-Ticker beim Fußball. Jeder Region kann selbst posten, wenn zum Beispiel Parkplätze voll sind und wenn es irgendwo längere Wartezeiten gibt.“ Ende Mai, kurz vor dem Pfingstwochenende, ging das System an den Start. Bisher sei der Arbeitsaufwand noch relativ groß, weil die Eingaben nicht automatisiert seien. Das soll sich in absehbarer Zeit ändern. Gerade prüfe man, wo es schon elektronische Systeme gebe, die man mit dem Ticker verknüpfen könnte, sagt die TOM-Sprecherin. Etwa Drehkreuze an Wanderwegen, Parkplatz-Schranken sowie Fahrkartenzählungen bei Bergbahnen und Schifffahrtsunternehmen.

320 000 Zugriffe auf das System hat man seit Beginn registriert, im Durchschnitt 8000 pro Tag. Elf oberbayerische Tourismusregionen nehmen bislang daran teil. Demnächst sollen es deutlich mehr sein. Denn das bayerische Wirtschaftsministerium will den Ausflugs-Ticker ab nächster Woche auf den gesamten Freistaat ausweiten. Auch Gäste, die sich noch nicht für ein konkretes Ziel oder eine bestimmte Region entschieden haben, will man damit inspirieren. Einzelheiten dazu wollen Minister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Tourismusvertreter am heutigen Freitag bei einer Pressekonferenz bekannt geben.

Beim Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband nimmt man diese Bemühungen erfreut zur Kenntnis. „Das ist eine tolle Geschichte“, lobt Sprecher Frank-Ulrich John. Dass einige Ziele in der Alpenregion überlaufen sind, räumt er ein: „Das ist aber nur ganz punktuell so, an bestimmten Tagen. Im Großen und Ganzen haben unsere Gastronomen und Hoteliers noch jede Menge Kapazitäten.“ Relativ gut laufe es im Allgäu sowie in Teilen Oberbayerns und des Bayerischen Walds. In den Städten verzeichne man dagegen gewaltige Einbußen. „Die Stadt-Hotellerie leidet enorm“, sagt John. Auch deshalb, weil keine Messen und Kongresse stattfinden. „Das Geschäftsreise-Segment fällt komplett aus, die Gäste drängen ins Grüne“, hat der Sprecher beobachtet. Der Bamberger Tourismusdirektor Michael Heger bestätigt das: „Städte werden von Besuchern noch deutlich skeptischer beäugt als der ländliche Raum.“

Noch eine weitere Tourismus-sparte ist wegen Corona praktisch zum Erliegen gekommen: Gruppenreisen. „Das Gruppengeschäft ist annähernd tot“, sagt Heger. „Da kommt nichts Neues rein.“ Dabei sei das für viele Gastronomen und Hoteliers das Hauptgeschäft. Anders sieht es bei Einzelreisenden aus. Das merkt er beispielsweise an den Stadtführungen, die seit Mitte Mai wieder angeboten werden: „Die sind vom ersten Augenblick an wieder gelaufen.“ Wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Statt 25 durften anfangs nur noch zwölf Teilnehmer*innen pro Tour dabei sein, jetzt sind es 15. „Es läuft nach wie vor verhalten“, resümiert der Tourismusdirektor.

Entsprechend gebremst sind die Erwartungen an dieses Jahr. Laut Statistik sank die Zahl der Übernachtungen im Freistaat zwischen Anfang Januar und Ende April im Vergleich zum Vorjahr um rund 37 Prozent. Vermutlich wird es noch schlimmer, fürchten John und Heger. Selbst wenn keine zweite Welle kommt, rechnen sie mit Ausfällen von 50 bis 60 Prozent. Sogar Philipp Holz, der Tourismusmanager aus der boomenden Zugspitz-Region, geht nicht davon aus, dass die coronabedingten Einbrüche noch aufzuholen sind, auch wenn er sich mit konkreten Zahlen zurückhält.

Zwar durften bayerische Hotels zum Pfingstwochenende wieder öffnen. „Aber die Nachricht kam so spät, dass viele schon anderswo gebucht hatten“, sagt Verbandssprecher John. Um mehr als 90 Prozent seien die Umsätze in den Pfingsttagen eingebrochen. Auch für Sommer seien etliche Stornierungen eingetrudelt, weil lange nicht klar gewesen sei, ob Wellness-Einrichtungen in Hotels überhaupt öffnen dürfen. Als es dafür endlich grünes Licht gab, hätten sich viele Reiselustige schon ein anderes Ziel ausgesucht.

Erschwerend kommt hinzu, dass Großveranstaltungen wie das Oktoberfest, das Straubinger Gäubodenfest und die Bamberger Sandkirchweih ausfallen. Die Folge: Die ersten Hoteliers haben bereits aufgegeben. Michael Heger weiß von zwei Hotels in Bamberg, die geschlossen sind. Und die kritische Phase, sagt er, komme erst im Spätherbst, wenn die Unternehmer von dem Polster zehren müssten, das sie in der Hauptsaison erwirtschaftet haben: „Da wird es für einige noch haarig werden.“

Dass das Wirtschaftsministerium nun auf digitale Lenkung der Besucherströme setzt, sei zu begrüßen. „Grundsätzlich geht das voll in die Richtung, die wir seit Jahren fahren“, sagt der Tourismusdirektor. „Wir machen auf Ziele und Attraktionen aufmerksam, die nicht im absoluten Herzen Bambergs liegen.“ Etwa die Gärtnerstadt und das Museum für den Jeans-Erfinder Levi Strauss im 20 Kilometer entfernten Buttenheim. Skeptisch ist Heger trotzdem, denn der Erfolg solcher Aktionen sei überschaubar: „Dass die Touristen in die Hotspots gehen, kann man kaum verhindern.“ Auch das weiß man aus der Tourismus-Geschichte zur Genüge. (Brigitte Degelmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Zurückweisungen an den Grenzen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.