Politik

1980 kamen durch einen Bombenanschlag auf dem Oktoberfest 13 Menschen ums Leben, 200 wurden teils schwer verletzt. (Foto: dpa/Leonhardt)

26.09.2020

"Am liebsten hätten sie das Attentat geheim gehalten"

Hans Roauer, Überlebender des Oktoberfest-Attentats, über seine Wut auf die Behörden, Defizite bei den Ermittlungen und mangelnde Erinnerungskultur

Ein zerfetzter Fuß, ein Trauma, Jahrzehnte der Erniedrigung: Hans Roauer ist ein Opfer des Wiesn-Attentats, bei dem 13 Menschen starben. An diesem Samstag jährt es sich zum 40. Mal. Noch heute ist der 64-Jährige wütend. Aber schlimmer als die Bombe war für ihn das, was folgte.

BSZ Herr Roauer, am 26. September 1980 detonierte am Eingang des Oktoberfests eine Bombe. Sie standen nur ein paar Meter entfernt und überlebten schwer verletzt. Wie präsent ist dieser Tag heute in Ihrem Alltag?
Hans Roauer Das ist ein ständiger Begleiter. Wenn zum Beispiel in der Küche ein Topf runterfällt, dann ist es vorbei. Das geht bei mir von oben nach unten und von unten nach oben. Da reicht dieser eine Schepperer, und alles ist wieder da: der Wiesn-Eingang, dieser Feuerblitz, der Geruch von Feuerwerksraketen und verbrannten Haaren, dann dieser Moment der Stille und schließlich die Geräusche, die einen nur dumpf durch das kaputte Trommelfell erreichen: auf der einen Seite das Stöhnen und Schreien, die ersten Sirenen, und auf der anderen Seite noch Blasmusik.

BSZ Können wir über Ihre Erlebnisse des 26. September reden?
Roauer Ja, inzwischen geht das.

BSZ Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Roauer Ich habe damals in Ingolstadt gewohnt und bin jeden Tag mit dem Zug nach München gependelt, wo ich als Finanzbeamter gearbeitet habe. Wir waren da so eine Pendlergruppe, die im Zug immer zusammengesessen ist und einmal im Jahr gemeinsam auf die Wiesn gegangen ist –  auch an diesem Tag. Wir waren im Bierzelt, es war ein lustiger Abend. Kurz vor zehn sind wir dann zum Ausgang, um mit der Trambahn zum Hauptbahnhof zu fahren. Da haben wir noch eine Weile gestanden, weil wir auf eine aus unserer Gruppe warten mussten. Das war ganz in der Nähe von dem Papierkorb, vielleicht drei, vier Meter entfernt.

BSZ Der Papierkorb, in dem um 22.19 Uhr der Attentäter Gundolf Köhler die Bombe zur Explosion brachte ...
Roauer Genau. Ich habe sogar noch gesehen, wie dieser Typ mit einer weißen Tasche Richtung Papierkorb ging. Aus irgendeinem Grund habe ich unmittelbar davor einen Schritt weiter weg gemacht, sodass ich hinter meinem Bekannten stand. Ich muss es so hart sagen: Dieser Spezl war mein Kugelfang.

BSZ Waren Sie die ganze Zeit bei Bewusstsein?
Roauer Ich denke schon. Für mich war das so: Zack, bumm, umgefallen, aufgestanden. Aber ob ich da jetzt dreißig Sekunden oder drei Minuten gelegen bin – keine Ahnung. Ich weiß auch nicht mehr, wer oder was da auf mir lag. Ich habe mich jedenfalls darunter hervorgewühlt, bin aufgestanden und wollte einfach nur weg. Ich bin aber gleich wieder zusammengebrochen, weil ich in meinem rechten Fuß keinen Halt mehr hatte. Am Ende bin ich mit zwei anderen Verletzten in einem Sanka gelegen, und nach anderthalb Stunden haben sie uns ins Krankenhaus gefahren.

BSZ Wie haben Sie die Szene nach dem Knall wahrgenommen?
Roauer Ich hatte einen starken Tunnelblick. Viel Blut, Menschen, die hysterisch rumgelaufen sind. Gleich neben mir habe ich noch den Oberkörper des Mannes gesehen, von dem ich später erfahren habe, dass es Köhler war. Da habe ich mir noch gedacht: Scheiße, den armen Kerl hat’s auch erwischt.

BSZ Später haben Sie dann vermutlich etwas anders gedacht.
Roauer Natürlich. Aber ich weiß nicht, warum: Wut oder Hass habe ich auf den nicht verspürt. Ich habe nur eine Wut auf unsere Behörden, dass sie uns so schlecht behandelt haben.

BSZ Wie meinen Sie das?
Roauer Das ging los, als nach zwei Monaten eine Ärztin vom Versorgungsamt ins Krankenhaus kam. Die hat mir als Erstes vorgehalten, dass ich in keinem Privatzimmer liegen dürfe. Ob ich als Beamter denn die Reichsversicherungsordnung nicht kenne. Da stehe, dass man sich in einem solchen Fall, obwohl man als Beamter privat versichert ist, als Kassenpatient einweisen lassen muss. Als Opfer eines Anschlags müsse mich der Staat versorgen, und der habe schließlich nicht das Geld, mich hier als Privatpatient durchzufüttern. Damit ging es los. Und das war die Art von Sätzen, die ich dreißig Jahre lang um die Ohren gehauen bekommen hab. Bei jedem Behördengang.

"Ich kämpfe mich so durchs Leben"

BSZ Haben Sie nach dem Anschlag wieder in Ihr altes Leben zurückgefunden?
Roauer Nein, ich habe mich zehn oder fünfzehn Jahre lang nicht mehr nach München getraut, war immer extrem reizbar, bekam später auch Schwierigkeiten im Job. Das ging so weit, dass ich meinem Vorgesetzten Schläge angedroht und ihn einmal mit einer Schere bedroht habe. Schließlich wurde ich strafversetzt und habe kurz darauf den Beamtenjob hingeschmissen. Seitdem kämpfe ich mich so durchs Leben.

BSZ Es wurde ja 1980 bis 1982 sehr schnell und schlampig ermittelt. Haben Sie das von Anfang an verfolgt? Oder wollten Sie mit dem Thema nichts zu tun haben?
Roauer Meine persönlichen Erfahrungen habe ich versucht zu verdrängen. Aber die Ermittlungen habe ich schon genau verfolgt. Ich wollte, dass das aufgeklärt wird.

BSZ Damals erschien der Aufklärungsdrang recht überschaubar. Es gab viele Ungereimtheiten, darunter eine Beobachtung von Ihnen, die – zusammen mit anderen Umständen – starke Zweifel an der Einzeltäterthese aufkommen lässt.
Roauer Das stimmt. Während wir da standen, hatte ich schon eine Weile diesen Mann mit der weißen Tasche beobachtet. Erst stand er auf der anderen Straßenseite und hat im Gespräch mit jemandem wild rumgefuchtelt. Etwas später habe ich ihn dann auf unserer Seite gesehen, wie er an einem Auto stand und durchs offene Beifahrerfenster mit den Insassen gestritten hat. Dann ging er von dem Auto weg, war kurz aus meinem Blickfeld verschwunden, und dann hat’s geknallt.

BSZ Das heißt, es waren noch andere Menschen im Spiel.
Roauer Wir wissen ja, dass Gundolf Köhler Verbindungen zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann hatte. Außerdem hat er einen Sprengsatz gebaut, von dem Experten sagen, dass ein normaler Bombenbastler das niemals hinbekommen hätte. Aber wer da wie seine Fäden gesponnen hat – keine Ahnung. Nur: Dass der ein Einzeltäter war, braucht mir niemand weismachen.

"Keiner hat sich wirklich interessiert"

BSZ Stimmt es, dass sich damals niemand für die Geschichte interessiert hat?
Roauer Die Polizei hat das zu den Akten genommen, und das war’s. Die Ersten, die sich wirklich interessiert haben, waren der Opferanwalt Werner Dietrich und der Journalist Ulrich Chaussy. Die haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Wahrheit so gut wie möglich ans Tageslicht zu bringen. Ohne die beiden wären die Ermittlungen wohl auch nicht wieder aufgenommen worden.

BSZ Das war Ende 2014. Fünf Jahre lang haben Generalbundesanwaltschaft und LKA den Fall noch mal untersucht. Am Schluss ...
Roauer … musste der Staat zugeben, dass das Attentat einen rechtsextremistischen Hintergrund hatte, was ja vorher immer vehement abgestritten worden war. Für mich ist das eine Genugtuung.
BSZ Das ermöglicht nun auch Entschädigungszahlungen. Gleichzeitig hieß es aber in dem Abschlussbericht auch, es gebe „keine ausreichenden Anhaltspunkte für Mittäter oder Anstifter“. Frustriert Sie das nicht?
Roauer Sicher, aber was wollen Sie nach 35 Jahren noch beweisen, wenn alle Beweismittel vernichtet wurden?

BSZ Es gab ja nicht nur Defizite bei den Ermittlungen, auch in Sachen Erinnerungskultur haben sich München und Bayern nicht allzu positiv hervorgetan.
Roauer Das ist sehr vornehm ausgedrückt. Ich will keinen beleidigen, aber ich sag Ihnen: Wenn die das Attentat hätten geheim halten können, hätten sie es gemacht.

BSZ
Damals hat man noch in der Nacht des Anschlags vor Ort schleunigst die Spuren beseitigt, damit die Wiesn am nächsten Tag weitergehen kann.
Roauer Das war einfach nur kaltschnäuzig und pietätlos.

BSZ Wie oft waren Sie dort schon am Jahrestag bei Gedenkveranstaltungen?
Roauer Zweimal. Im Jahr 2000 wurde ich zum ersten Mal eingeladen. Ich war sehr nervös. Ich war ja seit dem Attentat nicht mehr an diesem Ort gewesen. Ich hatte Herzrasen, feuchte Hände und eine schlaflose Nacht hinter mir. Ein Freund hat mich hingebracht. Ich geh also mit meiner Einladung zu so einem Security-Menschen und frag ihn, wo ich mich hinsetzen kann, ich sei Opfer. Dann sagt er: Hinsetzen? Sie können sich da hinten hinstellen, wo die Zuschauer stehen. Diese Plätze sind für VIPs reserviert. Da habe ich zu meinem Freund gesagt: Gehen wir!

BSZ Und das zweite Mal?
Roauer Das war im letzten Jahr. Da war die Veranstaltung in Ordnung, aber wenn da direkt neben Ihnen die Menschen schon zu den Bierzelten strömen und sich manche Wiesn-Besucher auch noch lautstark beschweren, dass sie jetzt einen kleinen Umweg gehen müssen – das ist nicht schön.

BSZ Was erwarten Sie in diesem Jahr?
Roauer Ich freue mich jedenfalls sehr, dass die Stadt München den Bundespräsidenten dafür gewinnen konnte, diese Dokumentationsstelle zu eröffnen. Und die ist in meinen Augen sehr gut geworden. Wer da durchgeht, der erfährt wirklich etwas darüber, was da vor 40 Jahren los war.

BSZ Mit dem bisherigen Denkmal, einer Bronzestele mit einer halbrunden Stahlwand dahinter, sind Sie weniger zufrieden?
Roauer Der Heinz Rühmann hat mal in einem Film gesagt: Hübsch hässlich habt ihr’s hier. So empfinde ich das Denkmal. Wie elend dieses Ding da steht, und wie unwissend die Menschen daran vorbeigehen! Das ist einfach nur traurig.
Interview: Dominik Baur

Foto (Baur): Hans Roauer, (64) war einer der über 200 Verletzten des Anschlags – seit neun Jahren ist er in psychologischer Behandlung.

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