Politik

Bei Telegram ist im Gegensatz zu Whats-app die eigene Rufnummer für andere Nutzer*innen nicht sichtbar. (Foto: dpa/Fabian Sommer)

07.01.2022

Angriff auf die Meinungsvielfalt

Ministerpräsident Markus Söder droht, Telegram zu blockieren – das geht zu weit

Seit Wochen demonstrieren Zehntausende Menschen in Bayern gegen die Corona-Maßnahmen. Organisiert werden die Proteste über den Nachrichtendienst Telegram. Auf Facebook wurden die rund 150 Kanäle der Querdenken-Bewegung im September 2021 gelöscht. Diese hätten unter anderem medizinische Falschinformationen verbreitet, hieß es von Facebook. Im Herbst galten aber auch noch eine Impfpflicht und hohe Inzidenzen bei Geimpften als Fake News.

Telegram mit Sitz in Dubai reagiert bisher nicht auf die Forderung der Bundesregierung, stärker durchzugreifen. Es gibt nicht einmal einen Ansprechpartner für die Behörden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) drohte daher mit harten Schritten: „Sollte sich dieser Dienst nicht bereit erklären zu helfen, dann gibt es auch Möglichkeiten zu blockieren.“ Natürlich muss gegen Gewaltaufrufe vorgegangen werden, aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat Messengerdienste blockieren – das geht vielen Fachleuten zu weit. 

„Bei einem Verbot findet Hass und Hetze weiter in den regulierten Netzwerken statt“, gibt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science von der Hochschule für Politik in München, zu bedenken. Es gebe viele einfache Tricks, Einschränkungen zu umgehen. Man habe genügend Alternativen zur Kommunikation wie den völlig anonymen Blockchain-Messenger Status. Hegelich befürchtet, dass Plattformbetreiber wie Facebook durch die zunehmende Überwachung des Inhalts „eigene automatische Zensurmaschinen aufbauen, die jeden unliebsamen Inhalt effizient filtern“. „Andere Staaten wie zum Beispiel Singapur und Türkei berufen sich auf das deutsche Vorbild und führen ebenfalls Beschränkungen ein“, erklärt er.

Für den Vorsitzenden des Bayerischen Journalistenverbands (BJV), Michael Busch, ist die Löschung von rechtswidrigem Inhalt keine Zensur. Dennoch hält er eine Blockade von Telegram für einen „Angriff“ auf die Veröffentlichung der eigenen Meinung. „Egal, welcher Messengerdienst – ein generelles Abstellen kann der BJV nicht befürworten“, unterstreicht er. Busch verweist auf Belarus, wo Telegram für rund zwei Millionen Menschen ein wichtiger Kanal im Kampf gegen das Lukaschenko-Regime sei. Das gelte auch für andere Länder. Die App legt deutlich mehr Wert auf Anonymität als zum Beispiel Whatsapp. „Hier zeigt sich, dass auch Telegram durchaus eine Relevanz hat, um Meinungsvielfalt zu sichern.“ Natürlich müsse es aber auch Instrumente geben, um bei Rechtsverstößen eine Strafverfolgung einleiten zu können.

Dabei werden von Fachleuten verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Die Staatsregierung fordert schon länger, Telegram mit seinen Kanälen mit teilweise jeweils Zehntausenden Followern wie ein soziales Netzwerk zu behandeln. Insgesamt nutzen inzwischen laut einer Umfrage 15 Prozent der Deutschen die App. Telegram müsste dann gemäß Netzwerkdurchsetzungsgesetz „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde entfernen und bei Hasskriminalität ab 1. Februar dieses Jahres sogar dem Bundeskriminalamt melden. Die Ampel-Koalition setzt im Koalitionsvertrag auf sogenannte Login-Fallen. Bei einem Anfangsverdacht auf Hass und Hetze können Polizei oder Staatsanwaltschaft den Anbieter verpflichten, bei der nächsten Anmeldung die IP-Adresse zu erfassen. Mit dieser können die Strafverfolgungsbehörden die Nutzerdaten beim Internetanbieter herausfinden.

Verbot aktuell nicht möglich

„Diese Lösungen setzen allerdings voraus, dass die Netzwerke freiwillig kooperieren“, erklärt Josephine Ballon von HateAid, einer gemeinnützigen Beratungsstelle bei digitaler Gewalt. Das sei bei Telegram bekanntlich nicht der Fall. Sie fordert in solchen Fällen, Drittanbieter wie Zahlungsdiensteanbieter, Hosting Provider oder App Stores in die Pflicht zu nehmen und diese zum Einschreiten gegen die weitere Verbreitung der Dienste zu verpflichten. „So könnte zumindest wirtschaftlicher Druck auf den Dienst ausgeübt werden.“ Eine solche Rechtsgrundlage gebe es bereits im Urheberrecht. Eine Ausweitung des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes auf die Individualkommunikation bei Messengerdiensten lehnt HateAid ab. 

Ein Verbot von Telegram, wie von Söder gefordert, stößt auch bei anderen Parteien auf Ablehnung. „Zu denken, man könne mit einer Blockade von Telegram Straftaten grundsätzlich vermeiden, ist naiv“, sagt der bayerische Landtagsabgeordnete Helmut Kaltenhauser (FDP). Grünen-Chefin Katharina Schulze hält die Login-Falle für „eine grundrechtschonende Identifizierung“ der anonym auftretenden potenziellen Täterinnen und Täter. Rechtlich wäre ein Verbot momentan wohl auch gar nicht möglich. „Hierfür sind die notwendigen Rechtsgrundlagen auf Bundesebene gegebenenfalls anzupassen oder neu zu schaffen“, heißt es aus dem bayerischen Justizministerium. Auf EU-Ebene könnte dies zum Beispiel über den Digital Services Act umgesetzt werden. 

Eine Anfrage der Staatszeitung, welche Maßnahmen Telegram gegen Hass und Hetze unternimmt, ließ das Unternehmen des russischen Milliardärs Pawel Durow (37) unbeantwortet. Wie eine kleine Anfrage an die Bundesregierung 2018 ergab, entfernt Telegram zumindest auf Zuruf von europäischen Sicherheitsbehörden Inhalte über Terror-Propaganda. Wie der Kontakt zustande kam, wollte die Bundesregierung aus Gründen der Geheimhaltung nicht sagen.

Der Münchner Philosoph Nikil Mukerji warnt vor Maßnahmen gegen Anbieter wie Telegram, um unpopuläre Meinungen zu unterdrücken – „auch wenn sich manche das wünschen würden“. Die Freiheit, die eine liberale Gesellschaft gewährleiste, sei ja gerade die Freiheit der Andersdenkenden und der Minderheiten. „Solange deren Verhalten nicht gefährlich, staatszersetzend oder konkret bedrohlich ist, muss man das hinnehmen.“ (David Lohmann)

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