Das "Unwort des Jahres" 2018 heißt "Anti-Abschiebe-Industrie". Das gab die Sprecherin einer unabhängigen und sprachkritischen Jury, die Linguistik-Professorin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt bekannt. Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt hatte den Begriff in einem Interview im Mai genutzt. Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag hatte Klagen gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber als Sabotage des Rechtsstaats bezeichnet und von einer "Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen.
Janich sagte, eine solche Äußerung von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei zeige, "wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern."
Auch zwei weitere Begriffe waren in der engeren "Unwort"-Auswahl. Die Jury kritisierte den vom Tübinger Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer verwendeten Begriff "Menschenrechtsfundamentalismus", um in der Diskussion um die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer die politische Haltung anderer zu kritisieren. Der Begriff "Ankerzentrum" für bestimmte Flüchtlingseinrichtungen nutzt der Jury zufolge gezielt positive Assoziationen des Wortes Anker, verschleiere aber unter anderem die komplizierten Prüfverfahren und die dort strikte Aufenthaltspflicht für Flüchtlinge.
Auch in der engeren Auswahl: "Menschenrechtsfundamentalismus"
508 verschiedene Begriffe waren als Vorschläge für das Unwort des Jahres eingegangen. Nur etwa 60 davon entsprachen aber überhaupt den Kriterien der sprachkritischen Aktion, wie Janich sagte. Knapp 15 Wörter habe die Jury in die engere Wahl einbezogen.
Zum "Unwort des Jahres" wird seit 1991 jedes Jahr ein Begriff gekürt, der gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen "Prinzipien der Demokratie" verstößt, weil er gesellschaftliche Gruppen diskriminiere oder "euphemistisch, verschleiernd oder gar irreführend" sei. Für das Jahr 2016 war die Wahl auf "Volksverräter" gefallen, für 2017 auf "Alternative Fakten".
Im Vergleich zu den Vorjahren beteiligten sich diesmal etwas weniger Menschen an der sprachkritischen Aktion. Insgesamt knapp 900 Vorschläge, darunter zum Teil dieselben Begriffe, waren bis zum Einsendeschluss am 31. Dezember eingegangen, wie Janich sagte. Seit Mitte der 1990er Jahre waren sonst stets mehr als 1000 Einsendungen gezählt worden, in einigen Jahren sogar mehr als 2000. Das neue "Unwort des Jahres", Anti-Abschiebe-Industrie, war zehn Mal eingesendet worden.
(dpa)
Die "Unwörter" der vergangenen zehn Jahre
Das "Unwort des Jahres" soll aktuelle Diskussionen abbilden und gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen. Gekürt wird es seit 1991. Hier die Unwörter der vergangenen zehn Jahre:
2018: "Anti-Abschiebe-Industrie": Der Begriff verhöhnt aus Sicht der Jury geltendes Recht. Er zeige auch, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben habe.
2017: "Alternative Fakten": Mit dem Begriff sollen aus Sicht der Jury Falschbehauptungen politisch salonfähig gemacht werden.
2016, "Volksverräter": Das Wort sei ein "Erbe von Diktaturen" unter anderem der Nationalsozialisten.
2015, "Gutmensch": Der Vorwurf diffamiere Hilfsbereitschaft und Toleranz pauschal als naiv und dumm, begründet die "Unwort"-Jury.
2014, "Lügenpresse": Diese pauschale Verurteilung "verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit", so die Jury.
2013, "Sozialtourismus": Der Ausdruck diskriminiert laut Jury Menschen, "die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu".
2012, "Opfer-Abo": Die "Unwort"-Jury kritisiert, der Begriff stelle Frauen pauschal unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und damit selbst Täterin zu sein. Wetter-Unternehmer Jörg Kachelmann hatte die Wortschöpfung, die seine Frau Miriam erfunden habe, unter anderem in einem "Spiegel"-Interview verwendet. Darin ergänzte er: "Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden."
2011, "Döner-Morde": Dieser Begriff ist für die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Terroristen verwendet worden. Mit der "sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung" würden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt, erklärt die Jury.
2010, "alternativlos": Das Wort suggeriere zu Unrecht, dass keine Diskussion mehr notwendig sei.
2009, "betriebsratsverseucht": Damit würden Arbeitnehmer-Interessen in völlig unangemessener Weise als Seuche dargestellt.
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!