Politik

Sozialminsiterin Emilia Müller freut sich, dass Bayerns Bürger "sich in vielen Bereichen die besten Lebensbedingungen in Deutschland" geschaffen haben. (Foto: dpa)

04.11.2015

Ausgeschlossen vom Wirtschaftsaufschwung

Neuer Sozialbericht: Im bundesweiten Vergleich steht Bayern zwar bestens da: Aber auch im Freistaat sind immer mehr Menschen von Armut bedroht

In Bayern sind nach offiziellen Angaben immer mehr Menschen von Armut bedroht. Nach dem neuesten Sozialbericht, den das Sozialministerium am Mittwoch vorgelegt hat, waren im Jahr 2013 rund 1,76 Millionen Menschen im Freistaat armutsgefährdet - gut 40000 mehr als im Jahr zuvor. Die Quote stieg von 14,1 auf 14,6 Prozent. Als armutsgefährdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung in Bayern auskommen muss. Besonders von Armut bedroht sind Alleinerziehende und Ein-Personen-Haushalte, vor allem Menschen über 65 Jahre. 

Im bundesweiten Vergleich weist Bayern allerdings die niedrigste Quote auf. Gemessen am mittleren Einkommen in Gesamtdeutschland lag die Armutsgefährdungsquote im Freistaat 2013 bei 11,3 Prozent. In Westdeutschland lag die Quote bei 14,4 Prozent, im Osten bei 19,8 Prozent.

Besonders von Armut bedroht: Menschen über 65 und Alleinerziehende

In anderen Bereichen steht Bayern ohnehin blendend da: mit der geringsten Pro-Kopf-Verschuldung, der niedrigsten Arbeitslosenquote, der höchsten Erwerbstätigenquote - und dem höchsten Wohlstandsniveau. Das durchschnittliche Jahreseinkommen je Einwohner stieg auf 22800 Euro.

"Bayerns Bürgern ist es mit ihrem Fleiß, ihrer Ausbildung und ihrer gegenseitigen Verbundenheit gelungen, sich in vielen Bereichen die besten Lebensbedingungen in Deutschland zu schaffen", kommentierte Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Besonders erfreulich sei, dass die regionalen Unterschiede in Bayern deutlich geringer seien als weithin angenommen. Es gebe aber keinen Grund, sich auf dem bisher Erreichten auszuruhen. "Unser Ziel ist es, dass auch diejenigen, die bisher noch nicht von der guten Situation profitieren konnten, ihre Chancen bekommen", betonte sie. Insbesondere gelte es abzuwarten, wie sich die finanziellen Verbesserungen, die sich durch die Einführung der Mütterrente ergäben, in künftigen Auswertungen bemerkbar machten.

Denn der neue Sozialbericht zeigt: Besonders von Armut bedroht sind Menschen über 65, vor allem Frauen. Hier stieg die Quote auf 25,1 Prozent. Deutlich höher ist die Quote noch bei Alleinerziehenden (42 Prozent) - auch wenn dies in der Summe "nur" 170 00 Menschen sind.

SPD fordert einen Maßnahmenkatalog

"Erschreckend", nannte Angelika Weikert, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, die Zahlen im Sozialbericht. Sie forderte das Sozialministerium auf, zügig einen Maßnahmenkatalog vorzulegen. "Ich bin etwas enttäuscht, dass Sozialministerin Müller nicht direkt Maßnahmen aufgezeigt hat, die zum Beispiel die gestiegene Armutsgefährdungsquote in Angriff nimmt", betonte Weikert. Dass es im neuen Sozialbericht erstmals ein Kapitel zur Wohnungslosigkeit gibt, ist für die Nürnberger Abgeordnete Weikert ein Alarmsignal: "In Zukunft wird die Zahl derer noch steigen, die sich insbesondere in den Metropolregionen schlichtweg keine Wohnung mehr leisten können - schon ohne die Flüchtlinge war dies abzusehen. Hier muss die Staatsregierung endlich handeln - zum Beispiel, in dem sie die von der SPD geforderten 100.000 zusätzlichen bezahlbaren Wohnungen in den Ballungsräumen baut." Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, sieht in den neuen Zahlen einen deutlichen Indikator für ein Anwachsen des Niedriglohnsektors in Bayern. „Denn viele der 1,76 Millionen armutsgefährdeten Menschen dürften nämlich durchaus einer Beschäftigung nachgehen, die allerdings nicht wirklich existenzsichernd ist.“

Grüne sprechen von einem "sozialpolitischen Skandal"

Einige Gruppen seien offenbar vom bayerischen Wirtschaftsaufschwung ausgeschlossen. „Weiterhin Hauptrisikogruppe sind die Alleinerziehenden, die im reichen Bayern ein Armutsrisiko von 42 Prozent haben. Das ist ein sozialpolitischer Skandal.“ Offensichtlich sei es für viele Alleinerziehende immer noch nur schwer möglich, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. „Das CSU-Betreuungsgeld ändert daran wenig, im Gegenteil, die Betroffenen werden noch darin bestärkt keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen.“ (dpa/BSZ)

Kommentare (3)

  1. Enrico Stiller am 05.11.2015
    "Armutsgefährdet sind Leute mit weniger als 60% des mittleren Einkommens der Bevölkerung". Die Gewerkschaften haben diese trickreiche Definition damals durchgedrückt. Trickreich - warum? Weil sie absurd ist, aber Gewerkschaftspolitik stützt: Gesetzt den Fall, das Durchschnittseinkommen wäre eine Million pro Jahr, dann wäre man selbst mit einem Einkommen unter 600.000 Euro logischerweise "armutsgefährdet". Es wäre dabei völlig egal, was man sich leisten könnte und welchen Lebensstandard man objektiv hätte.
    Ein Musterbeispiel für irre linke "Denke".
  2. Erich Vogl am 05.11.2015
    "Als armutsgefährdet gilt, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der gesamten Bevölkerung in Bayern auskommen muss." - und wieviel ist das in Euro? Oder ist das geheim? Oder sollen die Leser gar nicht informiert werden sondern nur zugesülzt werden?
  3. Zitrone am 04.11.2015
    Statt sich verstärkt dem Schutz der lebenden Mehrheit zu widmen und diese vor den Manipulationen der Wirtschaft (Lebensmittelbestandteile, Preisgestaltung) und den Kartellverbrechen (Zucker usw.) und der Armut auch durch staatliche Maßnahmen zu schützen, wird eine winzig kleine Minderheit von Menschen daran gehindert, über ihr Lebensende in Würde frei zu entscheiden, ohne einen schmerzvollen Gang in's nahe Ausland antreten zu müssen. Wer gibt dem Bundestag (der Politik) das Recht, Abtreibungen zu erlauben, aber ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben in Würde zu verunmöglichen?

    Nahe am Menschen ist das nicht.
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