Politik

Das alte Rathaus in Ingolstadt. Christian Lange, Stadtrat der Bürgergemeinschaft Ingolstadt (BGI), kritisiert, dass in der Großstadt „an vielen Stellen gemauschelt“ werde. Angesichts der großen Zahl städtischer Unternehmen spricht auch die SPD von einer fortschreitenden „Entmachtung” des Stadtrats. (Foto: dpa/Armin Weigel)

06.09.2019

Außer Kontrolle

Ingolstadt bekam es nicht gut, dass kommunale Aufgaben an eigene Firmen ausgelagert wurden – auch die Staatsanwaltschaft ermittelt nun

Der ehemalige Ingolstädter Oberbürgermeister steht vor Gericht, der Klinikchef begeht in der U-Haft Selbstmord. In Ingolstadt zeigt sich die Schattenseite sogenannter Bürgerkonzerne: Städte gründen Unternehmen, um Verwaltungsaufgaben auszulagern. Die Aufsichtsräte sind oft zu Verschwiegenheit verpflichtet – ein Nährboden für Korruption. Und aufgeklärt ist längst nicht alles.

Am 19. Oktober 2017 sitzt Heribert Fastenmeier in seiner Zelle und bereitet seinen Tod vor. Sein Testament umfasst neun Seiten. Er schreibt seiner Frau, in den Tagen darauf den Eltern, Kindern und Geschwistern. Er packt alle Briefe in einen Umschlag und schickt sie seinem Anwalt mit der Bitte, diese „im Falle eines besonderen Ereignisses“ weiterzuleiten.

Die Anschuldigungen gegen den früheren Geschäftsführer des Klinikums Ingolstadt wiegen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue in 99 Fällen vor, zudem Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Fastenmeier soll sich selbst bereichert haben, auch seine Familie und Bekannte rückten in den Fokus der Ermittler. Dem Krankenhaus soll ein Schaden von 2,18 Millionen Euro entstanden sein.

Ex-Klinikchef erhängt sich in seiner Zelle

Fastenmeier führte 15 Jahre die Geschäfte, unter seiner Leitung erzielte das kommunale Krankenhaus zuletzt mehr als drei Millionen Euro Jahresgewinn. In der Gesundheitsbranche war er als Experte gefragt. In Ingolstadt nannten sie ihn „Mr. Klinikum“. 2016 begann sein Absturz. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt ermittelte gegen ihn, Monate später nahm sie ihn wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Im Gefängnis versuchte Fastenmeier seine Unschuld zu beweisen und schrieb beinahe jeden Tag Briefe, Anträge und Rechtfertigungen. Am Ende zählte er „rund tausend Seiten“. Aber es nutzte ihm nichts. Das Gericht lehnte seine Haftbeschwerden ab, er kam nicht frei.

Am 21. Dezember 2017 verfasst Fastenmeier einen seiner letzten Briefe an Ingolstadts Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU). Fastenmeier wirft seinem ehemaligen Chef vor, dieser wolle ihn in der Haft wirtschaftlich ruinieren und vernichten, indem er seine Konten und Rentenansprüche durch die Justiz sperren ließ. Lösel missbrauche den Aufsichtsrat des Klinikums und ignoriere seine Einlassungen zu den Anschuldigungen, so Fastenmeiers Vorwurf. Zudem beklagt er Lösels „diskrete Zurückhaltung“ in den Themen, die den Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) betreffen sollen. Fastenmeiers Vorwürfe werfen Fragen auf: Wollte der amtierende Oberbürgermeister Lösel die Verantwortung und angebliche Mitschuld seines Vorgängers Lehmann verheimlichen? Deckte Lösel etwa Lehmann, um die eigene Karriere nicht zu beschädigen?

Fastenmeier erhängte sich sechs Tage später. Mithilfe interner Protokolle und vertraulicher Unterlagen lässt sich nun rekonstruieren, wie – versteckt vor der Öffentlichkeit – Fastenmeier und der frühere Oberbürgermeister Alfred Lehmann sich abstimmten, angeblich um sich am Klinikum und damit am Steuerzahler zu bereichern. Ob und ab wann Lehmanns Nachfolger Lösel davon wusste, ist unklar.
Recherchen der Bayerischen Staatszeitung werfen allerdings Fragen auf. Vernachlässigte Lösel seine Aufsichtspflicht, indem er Lehmann frei agieren ließ?

Hinter der Klinikum-Affäre verbirgt sich jedoch mehr als mutmaßliche Verfehlungen einflussreicher Männer. Es geht um ein System, welches Korruption begünstigt und Politikern erlaubt, sich demokratischer Kontrolle zu entziehen. Ein System, das so auch in vielen deutschen Kommunen existieren soll. Immer dann, wenn Landkreise oder kreisfreie Städte Unternehmer spielen, Teile ihrer Daseinsvorsorge wie sozialen Wohnbau, Müllabfuhr oder Energieversorgung in Tochterfirmen und eigenständige Gesellschaften auslagern, fehlt oft demokratische Kontrolle, was Missbrauch erleichtern kann.

Im Mittelpunkt der Ingolstädter Affären steht der „Bürgerkonzern“. So nannte der ehemalige Oberbürgermeister Lehmann das Geflecht aus inzwischen 56 kommunalen Tochterunternehmen, mit dem viele Aufgaben aus der Verwaltung in eigenständige Gesellschaften ausgelagert wurden. Die städtischen Tochtergesellschaften sollen mithilfe von Aufsichts- und Verwaltungsräten überwacht werden. Besetzt sind diese Gremien mit Mitgliedern des Stadtrats, um eine demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Die Lösung hat aber blinde Flecken: So müssen Aufsichtsräte in Ingolstadt über nahezu alle Sachverhalte schweigen. Vertraulichkeit ist in fast allen Unternehmenssatzungen festgeschrieben. Stadträte dürfen sich oft nicht einmal mit der eigenen Fraktion austauschen. Wer plaudert, dem können Sanktionen drohen.

In den „Bürgerkonzernen“ fehlt die Transparenz

Es fehlt an Transparenz. Wie wenig die Ingolstädter Räte wissen dürfen, zeigt ein Schreiben des Rechtsreferenten. Darin heißt es: „Das einzelne Stadtratsmitglied hat daher kein eigenes Recht (...), direkt Auskünfte einzufordern und zu erhalten.“ Die Öffentlichkeit bleibt von Beratungen der Aufsichtsräte fast gänzlich ausgeschlossen. Das Ergebnis mutet grotesk an: Die eigentlichen Kontrolleure sind geknebelt und die politischen Fraktionen dürfen von ihren Mitgliedern nahezu nichts erfahren und können so nur schwer Dinge erfragen.

Christian Lange macht das wütend. Der Stadtrat der Bürgergemeinschaft Ingolstadt (BGI) setzt sich seit Jahren für mehr Transparenz ein. Lange stört, dass in Ingolstadt „an vielen Stellen gemauschelt“ werde. Den Bürgerkonzern sieht Lange als Teil des Problems. „Ich kann meiner demokratischen Überwachungspflicht als Stadtrat mittlerweile nur noch schwer nachkommen, wenn ich nichts wissen und nichts sagen darf“, sagt er.

Manfred Schuhmann sieht das ähnlich. Seit mehr als 40 Jahren sitzt er für die SPD im Stadtrat. Schuhmann beobachtet eine fortschreitende „Entmachtung” des Stadtrats und kritisiert die „Gutsherrenart“ der Rathausspitze.

In seinem Bürgerkonzern fädelte Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann Immobiliengeschäfte ein, die ihm persönlich genutzt haben sollen. Seit März steht er unter anderem wegen Bestechlichkeit vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft Lehmann vor, dass er sich bei zwei Bauprojekten für zwei unterschiedliche Bauträger unzulässig eingesetzt haben soll. Als Gegenleistung soll Ex-OB Lehmann dafür Wohnungen in beiden Komplexen billiger erhalten haben. Über weite Teile des Prozesses bestritt Lehmann die Vorwürfe vehement. Gegen Ende des Verfahrens gab Lehmann dann zu, dass er seine Wohnungen günstiger erhielt und diesen Vorteil nicht hätte annehmen dürfen. Gericht und Staatsanwaltschaft befanden Lehmanns Geständnis als wenig glaubhaft.

Alt-Bürgermeister Lehmann und Klinikchef Fastenmeier sollen sich wohl seit Jahren gegenseitig zugearbeitet haben. Fastenmeier soll angeblich Aufträge und Stellen für seine Familie geschaffen haben. Im Gegenzug soll Fastenmeier offenbar „Sonderwünsche“ des Aufsichtsratsvorsitzenden Lehmann erfüllt und dessen Frau und Tochter im Klinikum untergebracht haben. Auch andere Stadträte profitierten von dieser Allianz.

2010 soll Lehmann den Klinikchef dazu gedrängt haben, den Fraktionsvorsitzenden der CSU im Stadtrat, Joachim Genosko, mit einem Gutachten für das Klinikum zu beauftragen. Genosko saß damals zugleich im Krankenhauszweckverband, der als Eigentümer die Klinikum GmbH beaufsichtigen sollte. Das Gutachten kostete fast 50 000 Euro. Joachim Genosko teilt auf Anfrage der BSZ mit, dass er von Lehmanns angeblicher Einflussnahme auf Fastenmeier nichts gewusst habe. Auch seinem städtischen Kulturreferenten soll Lehmann einen Nebenjob beim Krankenhauszweckverband verschafft haben.

Bevor Lehmann 2014 als Oberbürgermeister von Ingolstadt abtrat, spielte Fastenmeier mit dem Gedanken, seine Position als Geschäftsführer aufzugeben. Lehmann war zu dieser Zeit Fastenmeiers Chef. Diesen Posten sollte nun Lehmanns Nachfolger Christian Lösel übernehmen. So sieht es die Satzung des Klinikums vor. Vermutlich befürchtete Fastenmeier, dass, anders als bei Lehmann, dessen Nachfolger ihm nicht die vielen Freiheiten zugesteht oder gar Interessenskonflikte duldet. Die Sorge war wohl unbegründet. Lehmann wollte angeblich, dass alles weitergehe wie bisher, wie Fastenmeier notierte. Und auch Lehmanns langjähriger enger Mitarbeiter und Amtsnachfolger Christian Lösel hatte vermutlich ein Interesse, trotz Amtswechsel die Macht- und Arbeitsstrukturen in wichtigen Fragen beim Alten zu belassen. Darauf einigten sich die drei Männer in einem vertraulichen Gespräch, so der Klinikchef.

Nach BSZ-Fragenkatalog ermittelt Anklagebehörde

Offiziell führte zwar Lösel als amtierender Oberbürgermeister die Sitzungen des Aufsichtsrats, inhaltlich sei angeblich aber Lehmann direkter „erster Ansprechpartner“ des Geschäftsführers gewesen, behauptet Fastenmeier. Mit Alt-Oberbürgermeister Lehmann stimmte sich der Klinikchef über wichtige Fragen ab, vor allem zu Personal und Immobilien. „Sämtlicher Schriftverkehr, E-Mail-Korrespondenz und persönliche Vorbesprechungen haben daher nach Ausscheiden Herrn Lehmanns aus dem Amt des Oberbürgermeisters auch weiterhin zwischen Herrn Fastenmeier und Herrn Lehmann stattgefunden“, schreibt Fastenmeiers Anwalt. „Zwar hat es vierzehntägige Rücksprachen zwischen Herrn Fastenmeier und Herrn Dr. Lösel gegeben, diese waren indes eher allgemeinen Themen gewidmet.“

Was ist dran an Fastenmeiers Vorwürfen? Alfred Lehmann lehnte es ab, Fragen zu beantworten. Gegen Oberbürgermeister Lösel gibt es kein Ermittlungsverfahren. Es gilt die Unschuldsvermutung. Die BSZ schickte Lösel einen Katalog mit 27 Fragen zu den Vorwürfen und Recherchen. Lösel dementierte sämtliche Vorwürfe des Klinikchefs gegen sich und seinen Vorgänger Lehmann: „Es gab zu keiner Zeit eine Vereinbarung, dass Herr Dr. Lehmann für Herrn Dr. Lösel Aufgaben wahrnehmen sollte.“ Er habe den Vorsitz ab Mai 2014 „eigenverantwortlich, vollumfänglich und gewissenhaft ausgeübt“. Und: „Von einer kleinteiligen und ausschließlichen Absprache zwischen Fastenmeier und Dr. Lehmann war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Ich habe Dr. Lehmann nicht beauftragt und bevollmächtigt, an meiner Stelle zu handeln. Ich habe keine meiner Aufgaben an Dr. Lehmann delegiert.“

Keine Aufgaben delegiert? Fastenmeiers Tischterminkalender, der der BSZ in Auszügen vorliegt, lässt Zweifel aufkommen: Am 24. Juni 2015 vermerkte Fastenmeier einen Termin von 13.00 bis 14.00 Uhr mit Alt-Oberbürgermeister Lehmann. Grund: „Rü vor ASR (mit kleinem Imbiß)“ – Rücksprache vor Aufsichtsratssitzung. Zwei Wochen später verabredeten sie sich erneut zum Essen. Zwischen 2014 und 2016 finden sich in Fastenmeiers Tischkalender mehr Termine mit dem Alt-Oberbürgermeister als mit Lösel, dem amtierenden Oberbürgermeister. OB Lösel betont: Es sei der Wunsch Fastenmeiers gewesen, „zunächst bereits laufende Themen weiterhin mit Herrn Dr. Lehmann zusätzlich besprechen zu können“. Laufende Themen? Ein weites Feld. Sollte Lehmann nicht maßgeblicher Ansprechpartner gewesen sein, so hatte er jedenfalls einen eigenen, geduldeten und halboffiziellen Gesprächskanal zum Geschäftsführer.

Die Geschehnisse lassen sich im Nachhinein nicht endgültig klären. Denn: Was im Aufsichtsrat des Klinikums Ingolstadt besprochen wird, bleibt fast immer geheim. Aufgrund des Fragenkatalogs der BSZ an OB Christian Lösel ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Ingolstadt wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats gegen Unbekannt. Die Ermittlungen wurden mithilfe von Oberbürgermeister Lösel eingeleitet, da dieser offenbar veranlasste, den Fragenkatalog der BSZ an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. (Vinzenz Neumaier, Thomas Schuler)

Teile der vom Netzwerk Recherche geförderten Recherche wurden auch auf correctiv.org veröffentlicht.

Kleines Bild (dpa/Karl-Josef Hildenbrand): Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU) in besseren Zeiten – 2010 im Ingolstädter Stadion.

Kommentare (4)

  1. Spidermann am 09.09.2019
    Gerne,
    lasst sie nur machen. Sie denken, sie sind die Elite!
    In Wirklichkeit, Würmer. Der Dreck und Boden steht euch sehr gut!
    Mann(n) kann euch nur bemitleiden!
    Viel schlimmer ist der Verrat an den euch anvertrauten Menschen!
    Für diesen Vaterlandsverat werdet Ihr und eure Kinder noch vor Gott Rechenschaftsbericht ablegen müssen!
    Früher oder Später, ihr kommt alle nicht davon!!!

    Und das ist gut so!!!
  2. Cdullie am 06.09.2019
    Und deshalb nie wieder CDU/CSU
  3. Ingoltown am 06.09.2019
    Wer glaubt eigentlich das Lösel nicht wusste ? Niemand, nur es traut sich keiner sagen weil die Angst vor Repressalien zu groß ist. Es sind Zustände in Ingolstadt das glaubt keiner, aber keiner traut sich zu recherchieren.
  4. Schredder am 06.09.2019
    Wer im Jahr 2020 nach diesen Vorfällen wieder die CSU als Stadtspitze wählt, der fördert den Nährboden für Korruption. Wir Bürger und die Stadträte wollen keinen Bürgerkonzern. Es ist an der Zeit dass die Führungsriege in Ingolstadt ausgetauscht und durch neue Kräfte ersetzt wird. Dieser Sumpf muss nun endlich trocken gelegt werden!

    Wir erinnern uns: Fr. Haderthauer (2013 Modellauto-Affäre);
    Causa Lehmann (2019 Aktuell in Verhandlung);
    usw.

    Wie soll eine so stark wachsende Stadt regiert werden, wenn man sich mehr und mehr damit beschäftigen muss diese Verfehlungen aufzuarbeiten? Die "Herrschaft" macht offenbar Blind und Gierig.
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