Politik

Haben die Pflanzen genug Wasser? Die Virtual-Reality-Brille liefert Informationen, um Felder effektiver zu bewirtschaften. (Foto: Getty/Valentin Russanov)

02.08.2019

Bauernhof 4.0

Digitalisierung der Landwirtschaft: Vor lauter Chancen die Gefahren nicht übersehen

Das Wort Bauer trifft es nicht mehr. Andreas Dörr ist Landwirt 4.0. Seine Maschinen fahren GPS-gesteuert auf zwei Zentimeter genau über seine unterfränkischen Felder. „Dadurch können wir Kraftstoff, Dünge- und Pflanzenschutzmittel auf ein Mindestmaß reduzieren“, erklärt Dörr. Gleichzeitig könne die Qualität der Ernte gesteigert werden, da alle Daten via Cloud von überall aus in Echtzeit per App überwacht werden können. Smart Farming nennt sich die Digitalisierung der Landwirtschaft, die auch der Tiergesundheit zugutekommen soll. Schöne neue Welt?

Laut Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) setzt schon mehr als die Hälfte der bayerischen Betriebe bei ihrer täglichen Arbeit auf Agrar-Apps. Rund ein Drittel nutzt GPS oder Farm-Management-Software. In der Tierhaltung ist der Melkroboter auf dem Vormarsch. Und mehr als zwei Drittel der Betriebe können sich vorstellen, digitale Helfer zu nutzen. „Durch die Landwirtschaft 4.0 kann die kleinräumige Agrarstruktur in Bayern erhalten werden und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben“, ist man im bayerischen Landwirtschaftsministerium überzeugt. Um die Vernetzung und Weiterbildung zu fördern, wird jetzt am LfL ein Digitalisierungszentrum aufgebaut. Auch an den landwirtschaftlichen Hochschulen wird intensiv an Feldrobotern oder sensorbasierter Bewässerung geforscht.

Andere Bundesländer sind allerdings schon weiter. Der Freistaat liegt laut bayerischem Bauernverband bei der Digitalisierung der Landwirtschaft höchstens im Mittelfeld. Deren Experte Anton Huber begrüßt zwar das Sonderprogramm „Landwirtschaft digital“ der Staatsregierung. Es fördert die Anschaffung von Agrarsoftware, Sensoren und digitaler Hacktechnik. Huber fordert aber mehr Anstrengungen im Bereich Open Data. Die Auswertung statistischer Daten durch künstliche Intelligenz bringt Arbeitserleichterungen und Effizienzsteigerungen – beispielsweise durch die Ermittlung des idealen Erntezeitpunkts. Viele Datenbanken sind aber in der Hand industrieller Partner. „Hier fehlt es oft am Vertrauen der Landwirte, ob die Daten tatsächlich sicher gespeichert sind“, klagt Huber.

Wenn der Staat nicht eingreift, profitieren nicht die Bauern, sondern wohl wieder einmal nur Google, Amazon & Co

Damit der Bauernhof 4.0 funktioniert, braucht es auch eine reibungslose Datenübertragung zwischen Maschinen. Gerade in ländlichen Regionen Bayerns funktioniert das aber häufig nicht – es gibt kein Internet. Zur Überbrückung müssen die Bauern im Freistaat ihre Sensoren mit batteriebetriebenen Funkchips ausstatten. Immerhin konnte das Bundeslandwirtschaftsministerium durchsetzen, dass bei der 5G-Lizenzversteigerung auch landwirtschaftliche Kriterien berücksichtigt wurden. Hinzu kommt die Sorge vor neuen Monopolen durch die Digitalisierung der Landwirtschaft. „Sämtliche großen Internetkonzerne sind scharf auf das Thema“, weiß Agrarprofessor Heinz Bernhardt von der TU München. Entsprechend alarmiert sind Experten – die Staatsregierung leider nicht.

„Wenn durch die digitale Optimierung vor allem große Betriebe profitieren, werden kleine Betriebe langfristig auf der Strecke bleiben“, warnt der Agrarausschusschef des Landtags, Leopold Herz (Freie Wähler). Er fordert daher, die familiengeführte bäuerliche Landwirtschaft stärker zu unterstützen. In der Staatsregierung finden seine Worte aber kein Gehör. Das sei Sache der Wirtschaft und der landwirtschaftlichen Betriebe selbst, heißt es dort. So werden sie im Wettbewerb mit den großen Unternehmen allerdings nur schwer mithalten können. Auch viele Agrar-Start-ups fühlen sich von der Staatsregierung alleingelassen. „Wenn die Politik nicht bald reagiert, werden wir den Markt an die USA oder China verlieren“, kritisiert eine Sprecherin von Agrilution. Das Münchner Start-up ist im Bereich vertikaler Landwirtschaft aktiv – dazu gehört zum Beispiel der Anbau von Nutzpflanzen an Fassaden in Städten.

Nicht alle aber sehen in Smart Farming die Lösung aller Probleme. Vor lauter Begeisterung über die neue Technologie dürfe nicht vergessen werden, dass sie die systemischen Probleme der Landwirtschaft nicht löse, betont Cordula Rutz von der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern. „Bäuerliches Wissen kann und darf nicht durch Technologie ersetzt werden.“ Auch die Grünen erinnern daran, dass die Digitalisierung nicht nur zur Optimierung, sondern auch zur Maximierung der Erträge auf den Feldern und bei den Tieren führt. „Das ist eine Entwicklung“, sagt deren Abgeordnete Gisela Sengl, „die wir nicht befördern sollten.“ (David Lohmann)

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