Politik

Razzia Anfang Dezember: Auch dieses italienische Restaurant in München wurde durchsucht. (Foto: Peter Kneffel, dpa)

14.12.2018

Bayern – zweite Heimat der Mafia

Warum der Freistaat für die italienische ’Ndrangheta besonders attraktiv ist

Anfang Dezember schlugen die Ermittler zu. Zeitgleich um 4 Uhr morgens erfolgte in Italien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland eine groß angelegte Razzia gegen mutmaßliche Mitglieder der italienischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta. 90 Verdächtige wurden festgenommen, 15 davon in Deutschland. Die Polizei stellte vier Tonnen Kokain sicher.

Schwerpunkte der Aktion in Deutschland: Nordrhein-Westfalen und Bayern. Im Freistaat wurden drei Objekte durchsucht, darunter eine Pizzeria in den Münchner Riem-Arkaden. Es war bereits der zweite große Einsatz gegen die Mafia in diesem Jahr. Sie „versucht überall an Einfluss zu gewinnen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Was er nicht sagte, ist, dass Deutschland und vor allem der Freistaat für die Mafia und insbesondere für die kalabrische ’Ndrangheta längst zur zweiten Heimat geworden ist.

„Die Mafia ist immer dort, wo das Geld ist“, sagt die Mafia-Expertin Petra Reski der Staatszeitung. „Deutschland ist das reichste Land Europas und Bayern ist das reichste Bundesland Deutschlands. Natürlich hat sich die Mafia vor allem dort festgesetzt.“ Die Mafia kam im Gefolge der Gastarbeiter nach Bayern, spätestens seit den 1970er-Jahren hat sie im Freistaat Strukturen aufgebaut – und diese immer mehr erweitert. „Anfangs waren Städte wie Lindau oder Kempten für die Mafiosi vor allem ein Ruheraum“, sagt die Buchautorin Reski. „Hier spielte auch die geografische Nähe zu Italien eine Rolle.“ Aber seit der Grenzöffnung habe sich der Aktionsraum massiv erweitert. Laut bayerischen Behörden operiert die Mafia nicht mehr nur in München, Nürnberg oder Augsburg, sondern auch in kleineren Städten, etwa in Unterfranken.

Alle vier bekannten Mafia-Gruppierungen sind in Bayern aktiv, wenngleich sie unterschiedlich stark vertreten sind. Nach einem aktuellen Lagebericht des bayerischen Landeskriminalamts (LKA) leben in Bayern 136 Mafia-Mitglieder. Am stärksten vertreten ist die ’Ndrangheta mit rund 80 Mitgliedern, gefolgt von der Camorra mit 30 Mafiosi. Die Cosa Nostra und die apulische Mafia kommen zusammen auf 25 Mitglieder. Die tatsächliche Anzahl der Mafia-Mitglieder dürfte aber sehr viel höher sein. Sicherheitsbehörden gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Mafiosi mischen auch am Immobilienmarkt mit

Anders als die streng hierarchisch strukturierte Cosa Nostra ist die ’Ndrangheta föderal und in einzelnen Clans organisiert. Das mache ihre Bekämpfung schwierig, sagt Reski. „Wird ein Cosa-Nostra-Boss verhaftet, dauert es eine Weile, bis sich die Organisation davon erholt. Bei der ’Ndrangheta hingegen hat selbst die Verhaftung eines wichtigen Mitglieds keine großen Auswirkungen auf die Geschäfte.“ In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die ’Ndrangheta in ihren „Geschäftsbereichen“ immer breiter aufgestellt. Sie sei überall dort anzutreffen, wo es viel Geld zu verdienen gibt, erklärt ein LKA-Sprecher. Das geht los beim Handel mit Immobilien und Autos, geht weiter über das Gastronomie- und Baugewerbe, und endet bei Erpressung und Prostitution. Wichtigstes Standbein ist aber der Handel mit Drogen, vor allem mit Kokain. Es heißt, die ’Ndrangheta kontrolliere weite Teile des europäischen Drogenhandels. Weltweit, schätzen Ermittler, macht sie jährlich einen Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro.

Da es der Organisation aber gelingt, einen Großteil des Drogengelds in den legalen Wirtschaftskreislauf einzubringen – Stichwort Geldwäsche –, ist dies nur eine grobe Schätzung. Dass die Mafia Deutschland verstärkt zur Geldwäsche benutzt, ist bekannt. Vor allem auf dem Immobilienmarkt in deutschen und bayerischen Städten mischen die Kriminellen mit. Francesco Forgione, ehemaliger Vorsitzender der Anti-Mafia-Kommission im italienischen Parlament, appelliert an Deutschland, die Kapitalströme zu untersuchen. Denn nach seinen Informationen haben italienische Clans in Deutschland in private und gewerbliche Immobilien gigantisch hohe Beträge investiert. Bürger und auch legal arbeitende Firmen ziehen deshalb in diesem Wettbewerb oft den Kürzeren. „Die kriminellen Geschäfte der Mafia haben Auswirkungen auf alle“, sagt Reski.'

Dennoch spielen die Umtriebe der Mafia in der Politik wie im öffentlichen Bewusstsein kaum eine Rolle. Das liege zum einen daran, dass die Mafia alles daran setze, im Verborgenen zu existieren und zu operieren, erklärt Reski. Die sechs Mafia-Morde in Duisburg im Jahr 2007, die Folge eines eskalierenden Streits zweier ’Ndrangheta-Clans, waren eine Ausnahme. „Damals war die Mafia in Deutschland in aller Munde“, sagt Reski, „aber schon wenig später war alles wieder vergessen.“ Aus Ermittlerkreisen ist zu hören, dass immer wieder Beamte aus dem Bereich der organisierten Kriminalität abgezogen, und stattdessen im Kampf gegen den islamistischen Terror eingesetzt werden. Das bestätigen auch die Recherchen von Reski. „Es ist nicht so, dass deutsche Ermittler nicht wüssten, was die Mafia hier treibt“, sagt sie. „Aber es fehlt schlicht und einfach an Ressourcen. Hier fehlt es eindeutig an der Unterstützung durch die Politik.“

Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, hat mehrere Anfragen an das Innenministerium gestellt, um mehr über die Aktivitäten der Mafia in Bayern zu erfahren. Die Antworten nennt sie „besorgniserregend“. So habe es in zehn Jahren nur ein Ermittlungsverfahren gegen ein mutmaßliches ’Ndrangheta-Mitglied gegeben. „Wir brauchen bei den Kripo-Fachdienststellen mehr Ermittler“, fordert deshalb auch Schulze. „Nur so bekommen wir das Mafia-Problem in den Griff.“

Immerhin: Im Lagebericht Organisierte Kriminalität, den das LKA diese Woche veröffentlichte, sind für das vergangene Jahr acht Verfahren gegen italienische Tatverdächtige aufgeführt. Betroffen sind auch 16 Angehörige der Cosa-Nostra-Clans Sanangelo und Scalisi. Der Bericht macht aber auch deutlich, dass die organisierte Kriminalität in Bayern nicht von der Mafia dominiert wird. Von den bayernweit 905 ermittelten Tatverdächtigen stammt die Mehrheit aus Deutschland, gefolgt von Syrien und Rumänien. (Beatrice Ossberger)

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