Politik

Weil Impfstoff knapp ist, wird auch in Praxen meist noch nach Priorisierungsgruppen geimpft. (Foto: dpa/Gollnow)

11.06.2021

Beschimpfungen am Telefon

In Hausarztpraxen laden manche Impfwillige ihren Ärger ab – dort sind die Wartelisten noch immer lang

Ich bin über jeden froh, der woanders geimpft wird“, klagt ein Münchner Hausarzt. Wegen des Ansturms von Impfwilligen habe er bereits schlaflose Nächte gehabt. „Die Leute rufen den ganzen Tag lang an. Viele glauben nicht, dass es keinen Impfstoff gibt, und beschimpfen mich auch“, klagt der Mediziner.

In Bayern wurde Mitte Mai die Priorisierung für alle Corona-Impfstoffe in Hausarztpraxen aufgehoben. Doch wer sich gegen Corona impfen lassen möchte, braucht weiterhin Geduld und starke Nerven. Denn es fehlt nach wie vor an Impfstoff. Und so arbeiten die Hausarztpraxen in Bayern lange Wartelisten ab. Und impfen in der Regel auch nach der Freigabe der Priorisierung Risikopatient*innen weiterhin vorrangig. Auch der Münchner Hausarzt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Rund 100 Namen stehen auf seiner Liste.

Nicht nur bei vielen bislang leer ausgegangenen Impfwilligen herrscht Unmut, sondern auch bei den Hausärzt*innen. „Das ist kein Turbo, eher ein Goggomobil“, kritisiert Jürgen Büttner, stellvertretender Landesvorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands, die noch immer schleppend laufenden Impflieferungen. „Diese Woche habe ich nur sechs Fläschchen Biontech bekommen, da komme ich natürlich nur mit dem Schneckentempo voran“, sagt Büttner, der eine Allgemeinarztpraxis im fränkischen Roth leitet. Da seit dieser Woche auch in Betrieben geimpft werden darf, ist er nun auch in Firmen im Einsatz. Zum Start bekamen 23 Angestellte von Büttner die Spritze. „Das war noch nicht der große Schwung“, sagt er. „Wo sind die Millionen Impfdosen, die für den Juni versprochen wurden?“

Um seine Praxis vor dem Telefonchaos zu verschonen und weiterhin für seine Patient*innen erreichbar zu sein, hat Büttner ein eigenes Anmeldeportal für Impfwillige eingerichtet. „Wir haben jetzt diejenigen geimpft, die sich aktiv unter der Priorisierungsstufe 3 angemeldet haben.“ Nun fragt Büttner bei Risikopatient*innen nach, die sich bislang nicht rührten. Danach will der Hausarzt weiter nach der Anmeldeliste impfen. „Jetzt sind auch mal die Jungen dran,“ sagt Büttner, der kein Verständnis dafür hat, wenn 80-Jährige mehrfach ein Angebot mit Astrazeneca ablehnen, weil sie gerne einen anderen Impfstoff hätten.

Bisher bekamen laut bayerischem Gesundheitsministerium rund 5,7 Millionen Menschen im Freistaat die Erstimpfung, rund 2,8 Millionen den kompletten Impfschutz. Von Anfang März bis Anfang Juni gab es in 7457 bayerischen Hausarzt- und später auch Facharztpraxen Corona-Impfungen, so Axel Heise von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Rund 51,2 Prozent der in Praxen Geimpften sind unter 60-Jährige, darunter zahlreiche chronisch Kranke oder Angehörige priorisierter Gruppen, zum Beispiel Beschäftigte im Pflegebereich. „Eigentlich bräuchte man jetzt doppelt so viele Dosen, weil man die Zweitimpfungstermine einhalten muss und viele Menschen gerne erstgeimpft werden möchten“, so Heise. Stattdessen werde aktuell aber viel weniger geliefert. In der Regel erfahren die Ärzt*innen erst am Montag, wie viele der bestellten Impfdosen sie bekommen, die sie dann etwa zwei Tage später tatsächlich spritzen können. Das macht die Planung nicht einfacher.

Manche Praxen sind nicht mal mehr erreichbar

„Gefühlt ist die Lage ein wenig entspannter als noch vor ein paar Wochen, weil ja alle weiterimpfen“, sagt dagegen der Martinsrieder Hausarzt Jörg Schelling, Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Impfen. „Im Moment impfen wir die 50- bis 60-Jährigen und auch schon einige unter 50-Jährige oder junge Menschen mit chronischen Grunderkrankungen“, berichtet er. Dass die älteren Risikogruppen größtenteils geimpft sind, schwächt aus seiner Sicht den Druck etwas ab. Auch dass Impfzentren, Fach- und Betriebsärzt*innen mitmachen, helfe. Dennoch: Auch in seiner Praxis gibt es sehr lange Wartelisten. Und so zieht auch Schelling weiterhin chronisch Kranke und Risikopatient*innen vor. „Wir sagen nicht, wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Und bei einer Absage finde sich immer schnell ein Impfwilliger, der einspringen kann.

Fatal ist aber, dass auch Patient*innen mit akuten Problemen immer wieder in einer Endlos-Telefon-Warteschleife landen. „Regional kann es schon mal zu einem Ansturm auf die Hausarztpraxen kommen“, bestätigt Hausärzteverbands-Vizechef Büttner. Wenn jemand schnell ärztliche Hilfe braucht, ist das ein großes Problem. Nach der Erfahrung von Allgemeinmediziner Schelling wird die Erreichbarkeit aber schrittweise besser. „Ich denke, dass wir die Grundversorgung schon aufrechterhalten können“, so Schelling. Er betont aber auch: Oft seien es die medizinischen Fachangestellten in den Praxen, die „den ganzen Ärger und Frust der Patienten abbekommen“. Gerade bei der derzeitigen Impfbelastung trage das medizinische Personal 80 Prozent des Organisationsdrucks mit. „Ohne die würde das gar nicht gehen.“

Auch nach dem Wegfall der Priorisierung wird es noch dauern, bis sich jeder, der möchte, impfen lassen kann. Entsprechend hoch ist der Frust gerade bei vielen jungen Menschen. „Fast alle, die ich kenne, wollen sich impfen lassen, vor allem, weil sie einen schweren Verlauf oder Long Covid fürchten“, erzählt eine Münchner Studentin. Manche tragen sich auf vielen Impf-Anmeldelisten gleichzeitig ein oder registrieren sich in der neuen Non-Profit-Seite sofort-impfen.de, die Impfwillige an Arztpraxen vermittelt. Bleibt eine Dosis in einer Praxis übrig, bekommt derjenige den Zuschlag, der am schnellsten zusagt. Aber: Auch hier übersteigt die Zahl der Interessenten das Angebot bei Weitem
(Lucia Glahn)

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