Politik

Opus Magnum: Die kommentierte Fassung von „Mein Kampf“. (Foto: dpa)

12.02.2016

Besorgte Opposition, entspannte Lehrer

„Mein Kampf“ im Unterricht: Braucht es eine Handreichung des Kultusministeriums?

Seit fünf Wochen liegt er nun in einer kommentierten Neuauflage auf dem Tisch, der größte Sachbuch-Bestseller aller Zeiten: Adolf Hitlers Mein Kampf. 70 Jahre nach Kriegsende liegt der gruselige Schinken endlich in einer zweibändigen, wissenschaftlich akribisch kommentierten Ausgabe vor. Doch ist das 2000-Seiten-Kommentarwerk des Münchner Instituts für Zeitgeschichte auch für die Schule geeignet? Die Landtagsgrünen sehen Kultusminister Ludwig Spaenle in der Pflicht: Der solle pädagogische Handreichungen für Lehrer liefern.

„Hetzschriften wie Mein Kampf kann man nur gut vorbereitet, offensiv und historisch-kritisch entgegengetreten – deshalb brauchen die Schulen endlich eine Arbeitshilfe für den Unterricht!“ Nach Meinung der Grünen-Abgeordneten Sepp Dürr und Thomas Gehring ist das Kultusministerium in Verzug. Spaenle kontert mit einem „mehrstufigen Vorgehen“ seines Ministeriums. So würden „den Schulen erste Hinweise zum Umgang mit Mein Kampf an die Hand gegeben“. Gehring glaubt auch zu wissen, warum Spaenle Wochen nach Erscheinen der kommentierten Ausgabe noch nichts vorzuweisen hat: „In den letzten Jahren hat die CSU-Regierung ständig ihre Meinung geändert, dadurch ist viel Zeit verloren gegangen.“

Max Schmidt, der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands, sieht das nicht so eng. Braucht es überhaupt eine ministerielle Handreichung, damit Geschichts- und Sozialkundelehrer die kommentierte Mein Kampf-Ausgabe im Unterricht verwenden können? Nicht unbedingt, findet Schmidt: „Ich glaube schon, dass die Lehrer selbst in der Lage sind, das sauber zu machen und damit umzugehen. Ich denke, dass die Lehrer verantwortlich genug sind.“ Oberstufenschüler sollten seines Erachtens „schon die Möglichkeit haben, sich dieses Buch anzuschauen“. Aber man sollte Mein Kampf auch nicht überbewerten: „Die Edition jetzt hochzustilisieren als Unterrichtsgegenstand, ist genauso verkehrt wie sie zu verdammen oder zu verstecken.“ Im Übrigen sei Hitlers Machwerk „nur eine von vielen Quellen“, bei der Behandlung des Nationalsozialismus.

Ähnliches gab der Herausgeber der kommentierten Ausgabe bei deren Präsentation zu bedenken. Auf die Frage nach der Verwendung der kommentierten Edition im Schulunterricht antwortete Christian Hartmann, dass diese nicht speziell dafür konzipiert sei. Andererseits seien die 3700 Anmerkungen, die er und seine Mitarbeiter zu Hitlers Hasspredigt verfasst haben, durchaus für jeden interessierten Leser geschrieben und keineswegs nur für das historische Fachpublikum. Hartmann damals: „Wir machen Grundlagenforschung. Man kann die Edition in der Schule genauso verwenden wie im Altersheim.“

Die kritische Edition eignet sich auch für die Schule, sagt der Herausgeber

Die meisten Leute können sie momentan allerdings gar nicht verwenden, da die Startauflage bereits vor Erscheinen vergriffen war. Auch Philologen-Chef Max Schmidt hat sie deshalb noch nicht in der Hand gehabt. Anders Georg Rosenthal. Der SPD-Abgeordnete saß vor einer Woche mit Herausgeber Christian Hartmann und anderen im Mainfranken-Theater in Würzburg auf dem Podium und diskutierte über Sinn und Zweck der Edition. Rosenthal hat dazu eine klare Position: „Die kommentierte Neuausgabe setzt konsequent die Waffe des Wortes gegen den Ungeist, den das Buch atmet.“

Deshalb ist es für ihn keine Frage, dass die zwei gewichtigen Bände „im Schulunterricht und in der politischen Bildung eingesetzt“ werden sollten. Rosenthal verlangt allerdings wie die Grünen nach einer „pädagogisch begleiteten Handreichung“.

Wie sieht es aber nun in der Schule selber aus? Nachfrage bei einem Praktiker. Peter Geiger, Oberstudienrat an der Städtischen Wirtschaftsschule Friedrich Arnold in Amberg, hält es für „übertrieben, Mein Kampf als Pflichtlektüre zu empfehlen“. Im Unterrichtsalltag müsse man sowieso von allzu hohen Ansprüchen abrücken. Nach einer Klassenfahrt zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände habe er einmal eine 10. Klasse gefragt, was sie besonders beeindruckt habe. Die ironiefreie Antwort eines Schülers: „Da zu stehen, wo der Hitler gestanden hat, auf dene Stoana.“

Beim Thema Mein Kampf kann der Lehrer für Deutsch, Ethik und Geschichte sogar mit einer Episode aus der eigenen Familiengeschichte aufwarten – mit sowas kann man Schüler oft noch am ehesten einfangen. Peter Geiger: „Mein Opa hat Mein Kampf beim Einmarsch der Amerikaner im Ofen versteckt. Aber die Amis entdeckten es, und er saß dafür angeblich neun Monate im Knast.“ Als Geiger seine Oma gefragt habe, warum sie das Buch nicht verbrannt hätten, habe die in vollem Ernst geantwortet: „Ja, spinnst denn du! Des scheene Beichl!“ (Florian Sendtner)

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