Politik

Eine Vergewaltigung kann gravierende medizinische Folgen haben, in schlimmen Fällen sind sogar chirurgische Eingriffe nötig. (Foto: dpa/Frank May)

01.06.2025

Petition war Ausgangspunkt: Bessere Hilfe für Gewaltopfer

Manchmal bricht sich das Leid wieder schmerzlich im Bewusstsein. Das kennen viele Gewaltopfer, auch Gudrun Stifter. Doch die 31-jährige Münchnerin will kein Opfer sein. Sie kämpft für die Frauen, die sexuell missbraucht wurden. Denn nach einer Vergewaltigung wird Betroffenen die nötige Unterstützung oft verwehrt. Einen kleinen Erfolg haben Stifter und ihre Mitstreiterinnen nun in Berlin erzielt

Die Verzweiflung kommt und geht. Wie bei einer Brandung. Manchmal zieht sie sich zurück. Dann bricht sich das Leid wieder schmerzlich im Bewusstsein. Das kennen viele Gewaltopfer. Gudrun Stifter aus München kennt dies in besonderer Weise. Nicht nur, dass sie selbst 2020, wie sie sagt, „brutale“ sexuelle Gewalt erfahren hat. Sie kämpft seither auch für Opfer sexueller Gewalt. Dieser Kampf kostet sie, trotz kleinerer Erfolge, viel Kraft. Und bringt neue Leiderfahrung mit sich: „Es ist ein sehr mühsamer Weg.“

Sie setzt sich vor allem für finanziell schwache Gewaltopfer ein. Armut und Gewalt sind miteinander verschränkt, erklärt die 31-Jährige. Wer als Kind missbraucht wurde, ist oft lebenslang so stark belastet, dass er oder sie keine glänzende Karriere hinlegen kann. Und keinen großartigen Lohn empfängt. Im Gegenteil. Missbrauchsopfer können oft gar keinen Beruf ausüben, sagt Stifter: „Sie fallen aus der Bahn.“

Dass Armut und Gewalt zusammenhängen, belegt auch ein Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Ulm, an dem Gudrun Stifter beteiligt war. Im vergangenen Jahr wurde dabei eine Umfrage unter Gewaltopfern vor allem mit Blick auf das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ausgewertet. Das Resultat: 75 Prozent der Befragten konnten ihrem Beruf oder ihrem angestrebten Beruf zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr nachkommen. Insgesamt 42 Prozent waren aufgrund der Gewalttat voll erwerbsgemindert.

Seit ihrer eigenen Vergewaltigung gibt es kaum einen Tag in der Woche, an dem sich Gudrun Stifter nicht mit der Frage beschäftigen würde, wie Gewaltopfern besser geholfen werden könnte. Eine Petition an den Bayerischen Landtag von ihr hatte Erfolg: Seit Jahresbeginn erhalten alle Frauen nach einer Vergewaltigung kostenlos die „Pille danach“.

Immerhin erhalten alle Opfer jetzt die Pille danach, kostenlos

Das hat der Bundestag beschlossen, als Folge der Petition aus Bayern. Bisher gab es eine Altersgrenze von 22 Jahren. Das ist fraglos ein kleiner Durchbruch.

Im Gesamtkontext betrachtet allerdings nicht mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Eine Vergewaltigung kann gravierende medizinische Folgen haben, in schlimmen Fällen sind sogar chirurgische Eingriffe nötig. Ein Teil der medizinischen Folgekosten wird nicht finanziert.

Doch Gudrun Stifter hatte mit ihrer Petition vor allem auch erreichen wollen, dass die Kosten für eine Labordiagnostik auf sexuell übertragbare Krankheiten übernommen werden. Dies sei bislang nicht der Fall. Einen entsprechenden Antrag, erzählt sie, hatte die Unionsfraktion im Herbst 2024 in den Bundestag eingebracht. Stifter hatte gehofft, dass eine kostenlose Labordiagnostik nach einer Vergewaltigung ins neue Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz aufgenommen würde. Das ist nicht geschehen.

Beschließen Vergewaltigungsopfer nach der traumatisierenden Tat, die Sache nicht auf sich bewenden zu lassen, begeben sie sich in vielen Fällen auf einen schweren Weg. Ämter müssen kontaktiert werden. Plötzlich hat man es mit der Justiz zu tun. Die Verfahren, berichtet Gudrun Stifter, ziehen sich oft jahrelang hin: „Das ist zermürbend.“ Da geht es zum einem um Strafrechtliches. Dann muss um Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz gekämpft werden. Sind Kinder im Spiel, stehen häufig familienrechtliche Verfahren an. Immer wieder haben Betroffene nachzuweisen, dass das, was sie „behaupten“, tatsächlich geschehen ist. Und dass sie darunter noch immer leiden.

Viele Vergewaltigungsopfer, bedauert Stifter, stellen überhaupt keine Anzeige. Und erst recht keinen Antrag auf Opferentschädigung: „Sie wissen gar nicht, dass es das gibt.“ Nur etwa die Hälfte der OEG-Anträge wird anerkannt.

Gudrun Stifter kämpft schließlich für eine bessere ambulante wie stationäre traumatherapeutische Versorgung von Gewaltopfern. Sehr wenig Hilfe gibt es nach ihren Angaben vor allem dann, wenn zusätzlich zur Symptomatik aufgrund der Gewalttat ein schweres psychisches Leiden, etwa eine Zwangsstörung, kommt.

Sehr zu schaffen macht Stifter der Fall eines Gewaltopfers, das keine Hilfe erhielt – was schließlich zum Suizid führte. „Sein letzter Antrag auf therapeutische ambulante Versorgung wurde kurz vor seinem Suizid vonseiten der Krankenkasse abgelehnt, obgleich dringender Handlungsbedarf des Arztes attestiert wurde“, schildert Stifter.

Sie wünscht sich, dass noch mehr Menschen und Organisationen in Bayern auf die schwierige Situation von Opfern sexueller Gewalt wie auch von Menschenhandel aufmerksam machen.
Fakt ist: Die Problematik nimmt an Brisanz zu. Im Freistaat kam es 2023 zu mehr als 80 Gruppenvergewaltigungen. Laut Landeskriminalamt werden in Bayern immer mehr sexualisierte Übergriffe auf Bahnanlagen und in Zügen registriert. 246 waren es im Jahr 2023. Das waren 46 Prozent mehr als 2019.

Die Bundesregierung nannte zudem Ende vergangenen Jahres alarmierende Zahlen: Danach waren im Jahr 2023 bundesweit 155 Frauen und 24 Männer Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang geworden. Neuere Zahlen liegen nicht vor. (Pat Christ)
 

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