Politik

Die Stadtbücherei Münster hatte in einem zur Ausleihe zur Verfügung gestellten Buch einen Warnhinweis angebracht. (Symbolfoto: dpa/Gollnow)

25.07.2025

Betreutes Lesen

Etiketten in Werken umstrittener Autoren sollen Leser warnen – noch ist das eine Seltenheit

Ein neuer Trend ist auf dem Buchmarkt zu beobachten: nachträglich ein- oder aufgeklebte Warnetiketten bei „umstrittenen“ Büchern. Ein Gericht untersagte dies nun in Büchereien.
Eine Bücherei im nordrhein-westfälischen Münster war auf die Idee verfallen, in zwei Bücher von Gerhard Wisnewski Warnhinweise einzulegen. „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt“, hieß es. Doch solche Hinweise, entschied das Oberverwaltungsgericht in Münster, schränken die Meinungsfreiheit von Autoren ein.

Gerhard Wisnewski, der in München Politikwissenschaft studierte und für Münchner Zeitungen oder das P.M. Magazin schrieb, verbreitet zweifellos höchst ungewöhnliche Thesen. In seinem aktuellen Jahresrückblick verheimlicht – vertuscht – vergessen (2025 erschienen) blickt er auf das Jahr 2024 zurück und darauf, warum er zu dem Schluss kam, dass es keinen Atombombenabwurf auf Nagasaki und Hiroshima gab.
Nun kann man solche Theorien für krude halten. Etwas anderes ist es, davor zu warnen. Fans von Gerhard Wisnewski wissen, dass es in seinen Werken immer ans Eingemachte geht. Eben deshalb greifen sie zu den Jahrbüchern aus der 2008 gegründeten Reihe verheimlicht – vertuscht – vergessen.

Den aktuellen Rückblick gibt es auch in der Stadtbücherei München. Einen eingeklebten Warnhinweis finden Büchereinutzer darin nicht. Allerdings firmiert das Buch im Katalog unter dem Schlagwort „Verschwörungstheorie“. Außerdem gibt es im Katalog eine „Systematikangabe“. Die lautet, wie in weiteren 265 Büchern, „Widerstand gegen die Staatsgewalt“.

Autoren, die sich weit jenseits des Meinungskorridors bewegen, werden schnell in die rechte Ecke gestellt. Der Inhalt ihrer Bücher, wird befürchtet, kann unbedarfte Leser manipulieren. „Jeder, der als ‚rechts‘ abgestempelt wird, hat etwas Wahres gesagt“, kontert Gerhard Wisnewski.

Gefahr der Zensur

Seine Bücher bleiben Bestseller. Auch in der Regensburger Bibliothek ist sein aktueller Jahresrückblick vorhanden. Offeriert wird das Buch ohne Warnung im Katalog oder im Werk.

Laut Fabian Franke, Direktor der Universitätsbibliothek in Bamberg, gibt es bayernweit bisher in keiner Bücherei eingeklebte Warnhinweise.

Dass jemand Ungewöhnliches schreibt, muss keineswegs bedeuten, dass er undemokratisch wäre. Die meisten Leser trauen sich auch selbst zu, dies beurteilen oder herausfinden zu können. „Ich halte Warnhinweise in Büchern für kein geeignetes Mittel, um Mis- und Desinformation zu bekämpfen“, sagt Fabian Franke. Dies gelte insbesondere für wissenschaftliche Bibliotheken. Allerdings ist für ihn unverzichtbar, dass Bibliotheken die Informationskompetenz ihrer Nutzer fördern: „Damit sie alle Informationen kritisch bewerten und Mis- und Desinformationen erkennen können.“

Vermutlich gibt es in jeder bayerischen Bücherei eine Anzahl von Büchern, die nicht dem Mainstream entsprechen. Janine Weinberger, Leiterin der Stadtbücherei im oberbayerischen Puchheim, möchte auch in solche Bücher keine Warnhinweise kleben. Wobei sie die Frage differenziert sieht. Es gebe durchaus Gründe für derartige Etiketten: „Menschen mit Traumata oder psychischen Belastungen können sich dann besser vorbereiten oder gezielt auf Inhalte verzichten.“ Sie sieht aber auch Probleme. Allen voran die Gefahr einer Zensur: „Wir stellen ein möglichst breites Medienangebot zur Verfügung, ohne ideologische, politische oder inhaltliche Vorauswahl, soweit dies rechtlich zulässig ist.“

In früheren Zeiten gab es schon mal Bücher, die man besser nicht überall herumzeigte. Das wäre gefährlich gewesen. Wer wüsste das besser als Bibliothekare. Janine Weinberger möchte keine Literatur stigmatisieren. Es sei wichtig, betont sie, auch schwierige Themen zu reflektieren, „um gesellschaftliche Debatten zu ermöglichen“. Bibliotheken stehen für das kritische Denken, ergänzt Fabian Franke. Auch Informationen mit umstrittenen Inhalten würden zur Verfügung gestellt, um wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu ermöglichen: „Viele heute anerkannte wissenschaftliche Grundlagen waren ja zunächst umstrittene und diskutierte Thesen.“

Warnhinweise erinnern ein bisschen an den „Index Librorum Prohibitorum“ der katholischen Kirche. Darauf stand Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft ebenso wie Madame Bovary von Gustave Flaubert. Zuletzt waren über 6000 Titel indiziert. „Bibliotheken dürfen und sollen problematische Inhalte nicht verschweigen“, sagt Ute Engelkenmeier, Vorsitzende des Berufsverbands Information Bibliothek.

Ein Blick in die Kataloge zeigt, dass es umstrittenen Autoren durchaus gelingt, in öffentlichen Bibliotheken angeboten zu werden, ganz ohne Warnung. Während Gerhard Wisnewskis Bücher im Katalog der Bücherei München unter „Verschwörungstheorie“ gelistet sind, werden Bücher des ebenfalls als „umstritten“ gelabelten Autors Daniele Ganser neutral präsentiert. Er gilt als Verschwörungstheoretiker. Eines seiner Werke ist Imperium USA: Die skrupellose Weltmacht. In der Zusammenfassung der Bücherei München heißt es: „Der Schweizer Historiker und Publizist (Jahrgang 1972) beschreibt die Vorgehensweise der USA, um ihre Interessen zu schützen sowie ihre wirtschaftliche Macht und ihren politischen Einfluss stets auszuweiten.“ Ganz neutral. Mögen Erwachsene selbst darüber urteilen. (Pat Christ)

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