Politik

18.11.2021

Brauchen wir die Kernkraft gegen die Klimakrise?

Kernkraft ist effektiver Klimaschutz, sagt Albert Duin (FDP). Martin Stümpfig (Grüne) entgegnet: Nachhaltig bei der Atomkraft sind vor allem das Risiko und der Atommüll

JA

Albert Duin, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der Landtags-FDP

Kernkraft ist effektiver Klimaschutz. Nur mit einem technologieoffenen Ansatz werden wir die CO2-Emissionen in den Griff bekommen. Denn die Erreichung der gesetzlich vereinbarten Klimaschutzziele im Jahr 2030 erfordert beinahe eine Halbierung der Emissionen gegenüber 2019. Die aktuelle Energiepolitik reicht dazu in keinem Sektor aus.

Der zentrale Energie- und Hoffnungsträger der Transformation ist grüner Strom. Er kompensiert künftig in den verschiedenen Sektoren die Energie aus fossilen Trägern. Der Nettostromverbrauch wird dadurch allein in Deutschland nach Prognosen von heute knapp 500 Terrawattstunden (TWh) bis zum Jahr 2030 auf über 700 TWh und bis zum Jahr 2045 auf fast 1000 TWh ansteigen.

Wie wir unter diesem Gesichtspunkt mit einem gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Kernkraft die Pariser Klimaziele erreichen wollen, ist mir ein Rätsel. Denn Klimaschutz und eine konstante, bezahlbare Energieversorgung, die unseren Wohlstand sichert, werden wir in der uns verbleibenden kurzen Zeit mit rein regenerativen Energieträgern nicht erreichen. Wind und Sonne sind zu volatil, und die Skalierbarkeit der Speichertechnologien ist noch nicht weit genug fortgeschritten. Und selbst mit einem hohen Anteil der Erneuerbaren an der Energieversorgung besteht immer eine Gefahr regionaler Dunkelflauten.

Die Kernkraft bietet sich demgegenüber als grundlastfähige und CO2-neutrale Technologie an, die komplementär zu den Erneuerbaren eine klimaneutrale Zukunft sichern kann. Die Entsorgung müssen wir durch verstärkte Forschung angehen, denn es wird künftig sicher technische Möglichkeiten zur Verwertung der anfallenden Reststoffe aus Kernkraftwerken, Medizin und Technik geben.

Übrigens: Die Zeichen mehren sich, dass die Kernkraft auch nach dem Ende der Kernspaltung in der Kernfusion weiterlebt. Die Kernfusion wird also ohne die Herausforderungen der Kernspaltung möglicherweise schon bald und mit einer hohen Energiedichte die Stromversorgung sichern.


NEIN

Martin Stümpfig, energie- und klimaschutzpolitischer Sprecher der Landtags-Grünen

Alle paar Jahre wird die Geschichte vom „sauberen Atomstrom“ aus der Mottenkiste geholt. Daher überrascht es nicht, dass manche die Klimakrise dazu missbrauchen wollen, der dahinsiechenden Atomindustrie neues Leben einzuhauchen. Doch die Argumente sind so schlecht wie eh und je.

Nachhaltig bei der Atomkraft sind vor allem das Risiko und der Atommüll. Die Sanierung des Uranbergbaus der Wismut in Deutschland begann vor 30 Jahren, die geplanten sechs Milliarden Euro für die Altlastensanierung sind fast aufgebraucht. Die Sanierung muss aber bis 2045 fortgeführt werden. Wer zahlt?

Die Begeisterung fürs Atom steigt, je länger der letzte GAU zurückliegt. Erinnern wir uns noch? 2010 versprach Norbert Röttgen mit der Laufzeitverlängerung eine Energierevolution. Ein halbes Jahr später – nach Fukushima – wurden sieben Atomkraftwerke sofort und für immer vom Netz genommen.

Von der nach 60 Jahren immer noch ungelösten Endlagerung der abgebrannten Brennelemente in Deutschland gar nicht zu reden. Auch hier zahlen vor allem zukünftige Generationen.

Doch Atomkraft ist längst unwirtschaftlich geworden. In Europa findet sich kein privater Investor, der dieses Risiko eingehen will. In Großbritannien wird ein neues AKW gebaut, weil der Staat für 35 Jahre die Abnahme des Stroms zu einem hohen Preis garantiert – doppelt oder dreifach so hoch wie die Erzeugungskosten für Sonnen- und Windstrom. Der einzige AKW-Neubau im französischen Flamanville durch den Staatskonzern EDF ist bereits seit 2007 in Bau und hat bisher stattliche 19 Milliarden Euro gekostet. Weltweit ist der Atomstromanteil seit 1995 von 17,6 Prozent auf 10,1 Prozent im letzten Jahr gesunken – trotz des chinesischen Atomprogramms.

Auf der anderen Seite wurde weltweit in 2020 mit 300 Milliarden Euro 17 Mal mehr in Erneuerbare Energien investiert als in Atomkraft. Aber die Atomkraft ist nicht nur teuer, sondern vor allem langsam. Diese hochgefährliche Technologie käme auch viel zu spät, um die Welt auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen. Setzen wir lieber auf wirklich saubere Energien und stecken unsere in die Erneuerbaren.

Kommentare (1)

  1. Die sind doch alle dumm! Wirklich? ("Die Gesetze menschlicher Dummheit") am 20.11.2021
    Ich denke bei der Diskussion zeigt sich wieder mal wie festgefahren die beide Seiten in ihren jeweiligen Lagern sind. Wobei ich selbst mich auf der unpopulären, aber für mich logisch nachvollziehbareren Seite befinde. Genau die gleiche Situation haben wir ganz aktuell bei den Impfgegnern und -befürwortern. Dazu hat Prof. Christian Rieck heute einen Beitrag veröffentlicht, der die Situation aus Sicht der Spieltheorie beleuchtet. Und ja es geht nicht nur ums Impfen sondern auch um die Kernenergie. Sehr passend. Sehr empfehlenswert.

    Die sind doch alle dumm! Wirklich? ("Die Gesetze menschlicher Dummheit")

    (Anmerkung der Redaktion: Der Youtube-LInk wurde gemäß unserer Netiquette entfernt)

    Viele Grüße
    Hubert

Die Frage der Woche

Soll die staatliche Stellplatzpflicht abgeschafft werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.