Politik

Wenn neu gebaut wird, muss auch die Infrastruktur ertüchtigt werden. (Foto: dpa/Jens Wolf)

19.08.2022

Bürokratie blockiert

Der Wohnungsbau bräuchte dringend einen Schub

Nur weil die Energieversorgung massiv bedroht ist und die Inflation galoppiert, bleiben andere Probleme nicht stehen. Bayern wächst. Und wächst. Und wächst. Seit der Jahrtausendwende kamen in etwa so viele Menschen neu dazu, wie Nürnberg, Augsburg, Regensburg und Ingolstadt – also die zweit-, dritt-, viert- und fünftgrößte Stadt im Freistaat – zusammen an Bewohnenden haben: fast 1,2 Millionen Menschen.

Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Und alle diese Menschen müssen irgendwo wohnen. Und die Zahl der Bewohnenden pro Wohneinheit geht derzeit gesellschaftlich bedingt zurück. Laut Bundeszentrale für politische Bildung sind es inzwischen im Schnitt weniger als zwei Personen.

Doch der Wohnungsbau im „Vorhof zum Paradies“, wie Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) den Freistaat einst nannte, dümpelt dahin. 2021 wurden weniger als 61.000 Wohnungen fertiggestellt, knapp 5 Prozent weniger als 2020. Dass die Zahl in den nächsten Jahren deutlich gesteigert werden kann – schwierig. Und Wohnungsneubau zieht immer Folgebauten nach sich: Kitas zum Beispiel, und weitere Infrastruktur.

Personal fehlt

Die Personalnot bei den Baufirmen wird immer dramatischer, die Energiekosten explodieren, Baumaterialien werden knapp. Obendrein wird bebaubares Land immer weniger, soll es ja mitunter sogar – die Klagen aus den Naturschutzorganisationen, wie viele „Fußballfelder“ hierzulande tagtäglich „durch Flächenfraß zubetoniert“ würden, sind längst Teil der Programmatik vieler Parteien – und damit wird das Land auch immer teurer. In 20 Jahren hat sich der Quadratmeterpreis mehr als verdreifacht, von knapp 130 Euro auf rund 400 Euro – im Landesdurchschnitt, wohlgemerkt.

Hinzu kommt: Es darf nicht bürokratisch genug sein. Nach Auskunft der Baukostensenkungskommission des Bundes existieren in Deutschland rund 3300 für das Bauen relevante Normen (DIN, EN, ISO). Das sind etwa 600 Vorschriften mehr als noch vor 15 Jahren. „Ich bin seit 20 Jahren in der kommunalen Verbandsarbeit tätig“, berichtet Uwe Brandl, der Präsident des Bayerischen Gemeindetags. „Entbürokratisierung war immer das große Schlagwort – passiert ist das Gegenteil.“

Parallel – diese Erfahrung hat der Präsident in seiner niederbayerischen Heimatgemeinde Abensberg gemacht – klagen Alteingesessene immer häufiger gegen Neubauten, weil sie darin eine Beeinträchtigung ihrer Wohnqualität sehen. Ein neues Mehrfamilienhaus, das die eigene Sicht ins Grüne versperrt? Geht gar nicht!

Gemeindetag gibt nicht auf

Doch der Gemeindetag gibt nicht auf und präsentiert nun ein Positions- und Forderungspapier, von dem er sich eine deutliche Beschleunigung des Wohnungsbaus erhofft. Die Kernpunkte sind: Schaffung eines gemeinwohlorientierten Bodenrechts – also Spekulierenden, die bebaubares Land in der Hoffnung auf noch höhere Rendite brach liegen lassen, das Handwerk legen; eine Ausweitung des kommunalen Vorkaufsrechts sowie des Einheimischenmodells; erleichterte Planungsverfahren und weniger Baustandards (was die Nebenkosten senkt); leichterer Zugang zu Wohneigentum sowie eine Ausweitung des Homeoffice, was Ballungsräume entlasten und vom demografischen Wandel bedrohten Regionen Zuzug bescheren würde.
Nur teilweise Unterstützung vom Bauministerium

Im bayerischen Bauministerium sieht man die Ursache des Dilemmas vor allem darin, dass die Staatsregierung anderweitig einen so tollen Job mache. „Dass Wohnen in vielen Regionen Bayerns teurer ist als im bundesdeutschen Vergleich, ist in erster Linie auf die attraktiven Lebensbedingungen im Freistaat zurückzuführen“, heißt es auf Nachfrage aus dem Haus von Ressortchef Christian Bernreiter (CSU).

Gleichwohl arbeite man natürlich daran, „dass Wohnraum für die gesamte Bevölkerung erschwinglich ist“. Außerdem bereite Bayern die Festlegung von angespannten Wohnungsmärkten vor, damit diese Gemeinden ein erweitertes Baugebot nutzen können oder damit leichter von den Festsetzungen eines Bebauungsplans abgewichen werden kann.

Gegenwind aus dem Ministerium

Doch der Gemeindetag bekommt auch Gegenwind aus dem Ministerium: „Kommunale Zugriffsrechte auf den Grundstücksmarkt sind aber kein alleiniges Mittel, um die Spekulation mit Grund und Boden zu unterbinden. Solche Instrumente müssen wohlüberlegt sein, denn damit sind erhebliche Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht verbunden“, teilt der Bernreiter-Sprecher mit.

Uwe Brandl mag das nimmer hören. In den Ministerien säßen „findige Juristen“ und von denen erwarte er, „dass sie Lösungen finden und nicht immer zuerst darauf verweisen, was alles nicht geht“. Brandl verweist in diesem Zusammenhang auf das österreichische Land Wien, wo ein vergleichbarer verfassungsrechtlicher Zustand herrsche wie hierzulande – und wo man auch gezeigt habe, dass derlei möglich sei.

Allerdings: Selbst wenn wenigstens der Freistaat mit den bayerischen Gemeinden d’accord ginge – dann legt sich die EU quer. Die bevorzugte und in der Regel begünstigte Abgabe von Bauland an Einheimische ist nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt, so das Diktum aus Brüssel. (André Paul)

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