Politik

Kreativer Protest gegen Schulschließungen: Eltern legten Kinderschuhe vor zahlreichen Rathäusern ab. (Foto: dpa/Robert Michael)

25.02.2022

Corona-Fundis in Aktion

Die Pandemie ist fast vorüber, doch der Alarmismus von Eltern, die eine No-Covid-Strategie befürworten, ist größer denn je

Die geschmacklosen Bilder von Querdenkenden, die sich gelbe Sterne ans Revers heften und staatliche Corona-Maßnahmen mit der Verfolgung der Juden durch die Nazis gleich setzen, sind allgegenwärtig. Weit weniger mediale Aufmerksamkeit findet, dass sich die No-Covid-Bewegung zunehmend radikalisiert und vor abstrusen historischen Vergleichen nicht zurück schreckt.

Vor allem in Elternforen geht es hoch her: Soll man lockern und durchgehend Regelunterricht abhalten – oder nicht? Muss man auf einen Promilleanteil von gesundheitlich beeinträchtigten Kindern Rücksicht nehmen, indem Millionen andere Zwergerl auf die Normalität weiterhin verzichten? Extreme Positionen stellen offenbar das Gros der Meinungen, denn eben diese Mamas und Papas bestimmen den Diskurs.

Kinder in Deutschland hatten es besonders schwer

Aber zunächst die Fakten: Seit Ausbruch der Pandemie verzeichnet Deutschland laut Bundesgesundheitsministerium (Stand 21. Februar) 121 603 Menschen, die an Corona verstorben sind. Deutschland hat 83,24 Millionen Einwohner*innen. Die Zahl der Opfer beträgt also rund 0,15 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Schweden leben 10,35 Millionen Menschen. Dort starben nach Angaben des Nationalen Gesundheitsamts 16 800 Personen an dem Virus – also rund 0,16 Prozent der Bevölkerung. Fazit: Das Land mit den weltweit drakonischsten Corona-Maßnahmen, die Bundesrepublik, verzeichnet annähernd den gleichen Prozentsatz an Todesopfern wie jener skandinavische Staat, der im globalen Maßstab mit am lockersten und entspanntesten auf die Pandemie reagierte – ein Unterschied von 0,01 Prozentpunkten.

Beschränkungen des öffentlichen Lebens gab es in Schweden kaum, das Leben nahm seinen gewohnten Gang, fast alle Schutzmaßnahmen – etwa Masken oder Abstandsregelungen – waren stets freiwillig. Und, ganz wichtig: Zu keinem Zeitpunkt waren in Schweden die Schulen und Kitas geschlossen.

In Deutschland dagegen waren sie mehrmals zugesperrt, monatelang. Kinder mussten im Unterricht durchgehend FFP2-Masken tragen und frieren, weil auch bei Minusgraden immer wieder die Fenster geöffnet wurden. Sie saßen monatelang allein daheim vorm Computer, sie durften ihre Freunde nicht treffen, teilweise nicht mal auf den Spielplatz. Zweit- und Erstklässler wissen bis heute nicht, wie es sich anfühlt, wenn alle Klassen gemeinsam auf dem Pausenhof lachen und toben dürfen. Teenager durften nie erleben, wie sich Feten und Discos anfühlen. Familien gerieten an den Rand des Nervenzusammenbruchs, die Zahl der Kinder mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas und mit psychischen Schäden schoss dagegen in bisher nie gekannte Höhen, Kinder- und Jugendpsychiatrien können bis heute den Ansturm kaum noch bewältigen. Eine ganze Generation von Minderjährigen ist auf lange Zeit traumatisiert.

Doch für einige wenige Eltern spielt das alles keine Rolle. Sie interessiert nicht, wenn Kinderärzt*innen versichern, dass bei Buben und Mädchen ohne Vorerkrankungen eine Infektion mit dem Virus in der Regel mild verläuft, ähnlich jener eines grippalen Infekts. Ja, es gibt Fälle von – meist chronisch kranken – Kindern, die nach einer Corona-Erkrankung schwere dauerhafte Schäden behalten, und jeder dieser Fälle ist tragisch. Aber es sind, man muss es so sagen und das ist nicht herzlos: Promille-Fälle. Rechtfertigt also eine einzige womöglich verhinderte Herzmuskelentzündung Hunderte Fälle von zum Teil schweren Depressionen bei Altersgenossen?

Die Eltern innerhalb der No-Covid-Bewegung finden: Ja! Ihr Schlagwort lautet Durchseuchung. Mit diesem Vorwurf überziehen sie alle, die sich für Lockerungen an den Schulen aussprechen – wie zuletzt Karin Prien (CDU), die Kultusministerin von Schleswig-Holstein. Wobei aus epidemiologischer Sicht eine sogenannte Durchseuchung nichts anderes ist als eine Herdenimmunität mittels Erkrankung – also genau der Weg, den die schwedische Regierung seit Ausbruch der Pandemie konsequent und erfolgreich ging.

Dass die Fronten innerhalb der Elternschaft auch im Freistaat verhärten, bestätigt auch Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternvereins, im Gespräch mit der Staatszeitung. Die No-Covid-Anhängerschaft stehe der Querdenken-Bewegung in ihrem Rigidismus und ihrer Intoleranz inzwischen kaum noch nach, so Paede. Als zur Neutralität verpflichteter Verband habe man es immer schwerer, für eine respektvolle Kommunikation zwischen den verfeindeten Lagern zu sorgen.

„Euthanasie 2.0“: So lautet schon mal der Vorwurf“

Wer die Debatten in den Elternforen im Netz verfolgt, fühlt sich mitunter an den Streit verfeindeter Rockerbanden à la Hells Angels versus Bandidos erinnert. Ehrbare Mütter und Väter mit akademischem Abschluss befleißigen sich gegenüber den jeweils Andersdenkenden einer hasserfüllten Sprache: „Euthanasie 2.0!!!“ lautet beispielsweise ein Vorwurf im Chat von einer Mutter gegen eine andere in Anlehnung an die gezielte Ermordung von Behinderten durch die Nazis. Das „Vergehen“ der Frau: Sie meinte, auch wenn ein Kind mit Downsyndrom stärker von einer Infektion bedroht ist, könnten damit nicht Beschränkungen für alle anderen 28 in der Klasse gerechtfertigt werden.

Zwischen alle Fronten gerät dabei immer wieder Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (FW) – der als medizinischer Laie auch nur auf den Rat der Fachleute hören kann, ja muss. Dabei gestaltet sich die Kritik an ihm mitunter schizophren: Er solle „klare Vorgaben“ machen, heißt es aus Eltern- und Lehrerschaft einerseits. Wenn dann aber in einigen Schulen das Gemecker über eben jene Vorgaben zu heftig wird – womöglich noch verbunden mit einer im landesweiten Vergleich eher entspannteren Infektionslage –, dann murren die Damen und Herren Rektoren, der Minister „schert alles über einen Kamm“ beziehungsweise verweigere „Entscheidungskompetenz vor Ort“. Wie das Thema Querdenkende versus No-Covid beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband bewertet wird? Dazu schweigt man dort lieber. Eine BSZ-Anfrage blieb unbeantwortet.
(André Paul)

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