Politik

Studierende fordern eine angemessenere Unterstützung. (Foto: dpa/Arne Dedert)

03.07.2020

Corona-Not an den Unis

In der Krise haben viele Studierende ihren Nebenjob verloren – die Hilfszahlungen fangen das bei Weitem nicht auf

Vor vier Monaten blickte Martin Wimmer noch recht zuversichtlich in die Zukunft. Nicht nur deshalb, weil er zu diesem Zeitpunkt plante, sein Bachelor-Studium in den Fächern Geschichte und Anglistik nach dem Wintersemester 2020/21 abzuschließen. Sondern auch, weil er damit rechnete, dass die Touristen-Hochsaison bald wieder beginnen würde – mit guten Einkünften. Denn der 30-Jährige arbeitete neben seinem Studium als freiberuflicher Gästeführer in Bamberg. Vor allem Besucher*innen aus den USA zeigte er die schönsten Ecken der oberfränkischen Stadt.

Doch dann kam Corona – und zerschlug seine Hoffnungen jäh. Keine Touristen, keine Führungen, keine Einnahmen. Etwa 15 Touren pro Monat seien ihm sonst während der Hauptreisezeit vermittelt worden, sagt er, manchmal auch mehr. Was ihm monatlich oft zwischen 800 und 1000 Euro bescherte. Geld, das seinen Lebensunterhalt sicherte. „Ich habe im Sommer immer viel gearbeitet, um mich über den Winter zu hieven“, erzählt er. „Aber das fällt jetzt völlig weg.“
'
So wie Wimmer geht es momentan Tausenden, die an Unis und Hochschulen in Deutschland eingeschrieben sind. Nach Angaben des Deutschen Studentenwerks (DSW) waren vor der Corona-Pandemie mehr als zwei Drittel der 2,9 Millionen Studierenden erwerbstätig. Viele dieser Beschäftigungen fielen jedoch der Krise zum Opfer. Eine repräsentative Umfrage des Personaldienstleisters Zenjob ergab im Mai, dass 40 Prozent der Studierenden im Zuge von Corona ihren Nebenjob verloren haben.

Wucherzinsen für Studienkredite

Dass besonders bedürftige Student*innen nun Überbrückungsgeld vom Staat beantragen können, dürfte für die meisten nur ein schwacher Trost sein. Bis zu 500 Euro pro Monat könnten in „pandemiebedingten Notlagen“ fließen, verkündete Bundeswissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) – Geld, das nicht zurückgezahlt werden müsse. Verwaltet werden diese Hilfen vom DSW. Die Sache hat gleich mehrere Haken. Diese Unterstützung gibt es nämlich nur für Juni, Juli und August. Und: Die Höhe der Zuschüsse richtet sich nach dem Kontostand. Nur diejenigen, die weniger als 100 Euro auf ihrem Konto haben, können auf die Höchstsumme von 500 Euro hoffen. Wer beispielsweise noch 300 Euro hat, erhält maximal 200 Euro, und bei 500 Euro auf dem Kontoauszug ist Schluss.
Maximilian Frank von der Landes-ASten-Konferenz (LAK) Bayern, dem Zusammenschluss aller Studierendenvertretungen der bayerischen Hochschulen, kann angesichts dieser Beträge nur den Kopf schütteln. „Viel zu wenig“, sagt er – vor allem dann, wenn man das mit den Lebenshaltungskosten der meisten Studierenden vergleiche, die bei 700 bis 800 Euro pro Monat lägen.

Dass das Bundesministerium für die Nothilfe 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, beeindruckt den LAK-Vertreter ebenso wenig. Er verweist auf Zahlen des „Freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften“ (FZS), wonach 750 000 Studierende in Deutschland wegen der Corona-Pandemie in existenziellen finanziellen Notlagen steckten. Rein rechnerisch könnte es für jeden von ihnen gerade mal 133 Euro an Überbrückung geben. Dabei seien finanzielle Mittel da, sagt Frank – schließlich seien 2019 rund 900 Millionen Euro an BAföG-Geldern gar nicht abgerufen worden. „Das hätte man unproblematisch umleiten können“, so der LAK-Mann. „Aber der politische Wille war wohl nicht da.“ Ein weiterer Kritikpunkt: Die Hilfe sei viel zu bürokratisch und restriktiv. 16 Seiten umfassen die Anträge, für jeden Monat muss man einen neuen stellen. Teilweise grenze das schon an Gängelei, sagt Frank.

Und die zinslosen KfW-Studienkredite, die es seit Mai gibt – laut Karliczek das „größte Sicherungsnetz“ für die Studierenden? „Eine Mogelpackung“, findet der LAK-Vertreter. Denn diese Regelung gelte nur bis März 2021, danach fielen für die Kredite wieder bis zu 4,3 Prozent Zinsen an. In Anbetracht der aktuellen Kapitalmarktlage mit null Zinsen macht schon das Stichwort „Wucherzinsen“ die Runde. Unter diesen Bedingungen komme ein KfW-Studienkredit für die meisten gar nicht infrage, sagt Maximilian Frank. Entsprechend vernichtend fällt seine Kritik an den Hilfen insgesamt aus: Damit lasse man die Studierenden „am langen Arm verhungern“.

Ein Eindruck, den Verzögerungen bei der Auszahlung der Überbrückungsgelder nicht mindern dürften. Zwar können entsprechende Gesuche seit dem 16. Juni gestellt werden. Bis zum 30. Juni seien bundesweit Anträge für rund 32 Millionen Euro eingegangen, informiert ein Sprecher des Bundeswissenschaftsministeriums. Doch Geld ist bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geflossen. Was wiederum daran liege, dass das Studentenwerk für die Hilfen innerhalb weniger Wochen ein neues System aus dem Boden stampfen musste, sagt DSW-Sprecher Stefan Grob. „So ein Projekt würde in normalen Zeiten einen Vorlauf von mehreren Jahren brauchen.“ Das Antragstool sei zwar fertig, andere Funktionen aber noch nicht. „Wir können jetzt nur bei laufendem Motor alles zu Ende bauen“, sagt Grob. „Wir mühen uns nach Kräften, aber das ist wie eine Operation am offenen Herzen.“ Man hoffe, dass erste Zuschüsse in diesen Tagen ausgezahlt werden können. Einfacher wäre es gewesen, wenn man die Hilfen über das BAföG-System hätte laufen lassen, wie das DSW vorgeschlagen hatte. „Da hätte man die Infrastruktur schon gehabt.“

Im Bundeswissenschaftsministerium sieht man das anders. „Eine vorübergehende Öffnung des BAföG wäre systemfremd und keineswegs schneller umsetzbar gewesen“, heißt es dort. „Die Verankerung im BAföG wäre dem Charakter einer einmaligen vorübergehenden Nothilfemaßnahme nicht gerecht geworden und hätte Mitnahmeeffekte nach sich gezogen.“

Student Martin Wimmer betrachtet die jetzt anlaufende Unterstützung mit Skepsis. Natürlich sei es gut, dass es sie überhaupt gebe, sagt er. „Aber in dieser Form hilft sie nur denen, die komplett mittellos sind. Mir erschließt sich nicht, wer davon überhaupt profitieren könnte.“ Er zählt jedenfalls nicht dazu. Um seinen Lebensunterhalt irgendwie zu finanzieren, räumt er seit März vier- bis sechsmal pro Woche Supermarkt-Regale ein, für den Mindestlohn. Darunter leide allerdings sein Studium, sodass fraglich ist, ob er seinen Abschluss im nächsten Frühjahr überhaupt machen kann. Deshalb will er jetzt auf Minijob-Basis weiterarbeiten, für 450 Euro im Monat, und hofft, dass er den Rückstand im Studium aufholen kann. Auch mit Unterstützung seiner Eltern, die ihm nun 400 Euro pro Monat leihen wollen. Dabei habe er immer das Ziel gehabt, sich alleine zu finanzieren, sagt er. „Es ist nicht schön, mit 30 noch mal bei den Eltern anzuklopfen. Die Situation ist schon bitter.“
(Brigitte Degelmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.