Ein wenig verloren steht Aabid Al Sayed beim Semesterstart diese Woche im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Er ist einer von 30 Flüchtlingen, die am so genannten Hinführungsprogramm der Hochschule teilnehmen. Nach seinem Anglistik-Bachelor an der Universität Damaskus musste der 29-Jährige Syrien aus religiösen Gründen verlassen. Aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis und guter Deutschkenntnisse kann er jetzt an der LMU wie ein Austauschstudent studieren – Sprachkurs und Mentor inklusive. Über seine Flucht will er nicht sprechen. „Aus Sicherheitsgründen“, sagt Al Sayed. Daher möchte er auch seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. „Meine Familie ist leider noch in meinem Heimatland.“
Von den rund 105 000 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befragten Asylsuchenden über 20 Jahren gaben rund 17 Prozent an, eine Universität oder Fachhochschule besucht zu haben – bei den Syrern waren es sogar knapp 30 Prozent. Immer mehr Hochschulen wollen daher den von der Friedrich-Ebert-Stiftung geschätzten 50 000 studierwilligen Flüchtlingen den Weg in den Hörsaal ebnen. Dazu zählen der Erlass von Semesterbeiträgen, kostenlose Semestertickets oder die Nutzung der Bibliotheken. Bisher sind es rund 90 Hochschulen – darunter auch viele im Freistaat.
An der Technischen Universität München (TUM) zum Beispiel können Flüchtlinge als Gasthörer kostenlos deutsche oder englische Lehrveranstaltungen besuchen, um sich auf ein reguläres Studium vorzubereiten. Außer den zulassungsbeschränkten Fächern stehen ihnen alle Studiengänge offen. Speziell geschulte Studierende beraten und integrieren die aktuell 100 Interessenten. „Wir helfen Flüchtlingen und bereiten zukünftige Leistungsträger auf die mit der Integration verbundenen Herausforderungen vor“, fasst TUM-Präsident Wolfgang A. Herrmann das Ziel zusammen.
Die Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat zur „Bewältigung der humanitären Herausforderung“ ein englischsprachiges Orientierungsprogramm für Flüchtlinge ins Leben gerufen. Die Teilnehmer sollen so lernen, wie ein Studium abläuft und Kenntnisse zur deutschen Geschichte, Politik, Gesellschaft und Kultur vermittelt bekommen. Wer bereits einen höheren Schulabschluss und gute Deutschkenntnisse nachweisen kann, darf sich für ein Bachelorstudium einschreiben. Eine Bewerbung auf die rund 20 englischsprachigen Master ist sogar ohne Deutschkenntnisse möglich.
Flüchtlingshilfe im Zeugnis
Bayerns Hochschulen für angewandte Wissenschaften bieten den Flüchtlingen ebenfalls Unterstützung an. In Neu-Ulm dürfen sie ein Schnupperstudium aufnehmen oder als Gasthörer in die Vorlesungen. In Augsburg werden Migranten mit akademischen Abschlüssen in dem Förderprojekt „Integration durch Qualifizierung“ beraten und die Integration in den Arbeitsmarkt gefördert. Die Hochschule München bietet seit Oktober einen berufsbegleitenden Bachelor in internationalem Projektmanagement an, der auf den Arbeitserfahrungen der Flüchtlinge aufbauen soll. Ein Zeugnis und eine Arbeitsstelle sei aber Voraussetzung, betont die Hochschulleitung.
Die Universität Erlangen-Nürnberg sieht das nicht so eng: Flüchtlinge dürfen in zulassungsfreien Fächern Vorlesungen besuchen, auch wenn ihnen die entsprechenden Zeugnisse fehlen. Bisher haben sich rund 300 Flüchtlinge für verschiedene Angebote eingeschrieben. Die Hochschulrektorenkonferenz unterstützt das: „Ich möchte die Hochschulen bestärken, die bestehenden rechtlichen Spielräume großzügig auszuschöpfen“, betont deren Präsident Horst Hippler. Er sehe es mit Sorge, dass die Fremdenfeindlichkeit mancherorts zunehme.
„Die Schaffung einer Willkommenskultur für Flüchtlinge ist ein Anliegen der gesamten Universitätsgemeinschaft“, versichert daher der Regensburger Universitätspräsident Udo Hebel und verweist auf das „CampusAsyl“ der katholischen Hochschulgemeinde und die „Refugee Law Clinic“, die Flüchtlinge bei Fragen zum Asyl- und Ausländerrecht berät. An der Katholischen Universität Eichstätt unterstützt die studentische „.tun.starthilfe“ Flüchtlinge bei der gesellschaftlichen Teilhabe – was am Ende des Studiums sogar mit in die Bewertung einfließt. In Bayreuth hat sich das Studierendenparlament mit Erfolg dafür eingesetzt, 25 Flüchtlingen grundlegende Deutschkenntnisse zu vermitteln. Und an der LMU lud die Lehrbeauftragte Angela Parvanta vom Institut für den Nahen und Mittleren Osten afghanische Flüchtlinge dazu ein, Studierende in ihrer Landessprache Dari zu unterrichten.
Um das Engagement der Hochschulen weiter zu verbessern, will Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) jetzt 2400 zusätzliche Plätze speziell für Flüchtlinge an den 30 Studienkollegs einrichten. Des Weiteren sollen Flüchtlinge schon nach 15 statt 48 Monaten BAföG beantragen können. Das bayerische Wissenschaftsministerium sieht vor allem Handlungsbedarf bei der Beratung Studieninteressierter, dem Erlernen der deutschen Sprache und bei der Anerkennung der Hochschulzugangsberechtigung beziehungsweise Studienleistungen. Laut dem Ressort von Ludwig Spaenle (CSU) kümmert sich aktuell eine Arbeitsgruppe der Kultusministerkonferenz zusammen mit dem BAMF um eine neue Handreichung für Geflüchtete an Hochschulen.
Der Opposition im Landtag reicht das nicht. „Das Wissenschaftsministerium muss endlich Informationen über die Angebote mehrsprachig und gut auffindbar zur Verfügung stellen“, verlangt der Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses Michael Piazolo (Freie Wähler). Die SPD bemängelt die bürokratischen, organisatorischen und finanziellen Hürden beim Hochschulzugang: „Wir fordern im Nachtragshaushalt Gelder für die Universitäten und Fachhochschulen, um mehr Angebote für Gasthörer, Tutorenprogramme, Sprachkurse und Beratungen zur Verfügung zu stellen“, mahnt deren hochschulpolitische Sprecherin Isabell Zacharias. Die Grünen kritisieren, dass es im Freistaat noch keine landesweite Regelung für den Hochschulzugang von Flüchtlingen ohne Zeugnis gibt – wie beispielsweise in Niedersachsen. Dort seien für die Hochschulen und Betroffenen verlässliche Verfahren geschaffen worden, betont die hochschulpolitische Sprecherin Verena Osgyan. „Diesem Vorbild gilt es jetzt auch in Bayern zu folgen.“
(David Lohmann)
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