Politik

Hilfe bei Sprache, Behördengängen oder Wohnungssuche: In Nürnberg sind rund 2200 Menschen ehrenamtlich in der Integrationsarbeit tätig. (Foto: dpa/Heinl)

18.01.2019

"Das Ehrenamt ist der Königsweg der Integration"

Integrationslotsin Natalie Lebrecht über das neue Projekt für freiwillige Helfer, deren größte Sorgen und wie ihnen geholfen werden kann

In fast jeder Stadt und Kommune in Bayern gibt es inzwischen Integrationslotsen. Das sind Hauptamtliche, die sich um Ehrenamtliche kümmern, die sich wiederum für Geflüchtete einsetzen. Die Staatsregierung fördert das Projekt. Natalie Lebrecht vom Sozialreferat in Nürnberg ist eine von zwei Integrationslotsinnen der Stadt. Sie ist bereits seit dem ersten Modellversuch 2016 dabei.

BSZ: Frau Lebrecht, was sind die häufigsten Fragen der ehrenamtlichen Helfer an die Integrationslotsen?
Natalie Lebrecht: Ehrenamtliche haben kein Schwerpunktthema. Ihre Anliegen reichen von rechtlichen Dingen wie zum Beispiel der Arbeitsgenehmigung über Sprachvermittlung hin zur Arbeits- oder Ausbildungsplatzsuche. Behördengänge, Kinderbetreuung, Wohnen – es gibt keinen Integrationsbereich, in dem Ehrenamtliche nicht aktiv wären.

BSZ: Was ist das größte Problem der freiwilligen Helfer?
Lebrecht: Die Suche nach einer Wohnung gemeinsam mit Geflüchteten birgt derzeit das größte Frustrationspotenzial. Viele Helfer haben vor zig Jahren zum letzten Mal selbst eine Wohnung gesucht und Schwierigkeiten mit dem Prozess. Da können wir zwar noch mit einer Handreichung helfen. Wenn aber bei der Besichtigung über 100 andere Interessenten da sind, kommt es natürlich immer wieder zu Rückschlägen. Es fehlt einfach bezahlbarer Wohnraum. Dadurch wohnen viele Geflüchtete immer noch in Unterkünften, obwohl sie längst ausziehen dürften.

BSZ: Bergen nicht Abschiebungen das größte Frustrationspotenzial?
Lebrecht: Für den Einzelnen sicher. Zusätzlich sind Menschen mit geringer Bleibeperspektive oft nicht motiviert, Angebote der Ehrenamtlichen anzunehmen, wenn diese aus ihrer Sicht sowieso zu nichts mehr führen. Wenn sich aber Menschen für bereits integrierte Geflüchtete einsetzen, die dennoch das Land verlassen müssen, ist das natürlich ein herber Rückschlag und schwer verständlich. Diese Beispiele haben große Strahlkraft.

BSZ: Lehren Integrationslotsen auch, Behördenschreiben zu entziffern?
Lebrecht: Die Bürokratie ist tatsächlich enorm. Das weiß jeder, der schon mal einen Antrag in der Hand gehabt hat. Wer kein Muttersprachler ist, hat dann ein Problem. Es gibt hauptamtliche Angebote, Ausfülllhilfen und die Asylsozialberatung, die unterstützt, aber auch die Ehrenamtlichen sind dabei stark involviert und teilweise schon echte Experten.

BSZ: Wie wird die von der Staatsregierung gewünschte Wertevermittlung vorangetrieben?
Lebrecht: Zum einen gibt es bei uns Workshops vom Menschenrechtsbüro für Ehrenamtliche und Geflüchtete. Zum anderen fördern auch die Ehrenamtlichen im Rahmen ihrer Angebote quasi nebenbei die Wertevermittlung. In Sprachkursen geht es eben nicht nur um Grammatik, sondern auch um die Kultur. Pünktlichkeit ist zum Beispiel ein Thema, das immer wieder auftaucht. Und das ist ja auch ein deutscher Wert. (lacht)

BSZ: 6,5 Millionen Euro pro Jahr stellt die Staatsregierung für das Projekt zur Verfügung. Reicht das?

Lebrecht: Das hängt von den Schwerpunkten in der Kommune ab. Jede kann seit 2018 eine Förderung beantragen – auch meine Stelle wird anteilig davon finanziert. Das ist ein großes Plus. Aber es braucht natürlich auch Eigenmittel. Über die finanzielle Unterstützung hinaus organisiert das Integrationsministerium Vernetzungstreffen, weist auf Fortbildungen hin und ist ansprechbar bei Fragen. Natürlich lässt sich die finanzielle Ausstattung aber immer optimieren.

"Wir sind kein verlängerter Arm der Behörden"

BSZ: Zum Jahreswechsel haben erst 81 der 96 Städte und Kommunen eine Förderung beantragt. Warum noch nicht alle?
Lebrecht: Schwierig. Vielleicht weil es in ländlichen Regionen nicht so einfach ist, Integrationslotsen zu finden. Möglicherweise besteht vor Ort aber auch bereits ein intaktes Engagementnetzwerk mit zum Beispiel einer Freiwilligenagentur, und es besteht keine Notwendigkeit. Oder der bürokratische Aufwand, den ein Förderantrag immer bedeutet, ist zu hoch.

BSZ: Sonstiger Verbesserungsbedarf?
Lebrecht: Vor allem die stärkere Vernetzung ist für den regelmäßigen Austausch wichtig. Da ist aber im letzten Jahr viel passiert. 2018 war die Zusammenarbeit etwas holprig, weil das Projekt vom Sozial- ins Innenministerium gewechselt ist. Ob weiterer Optimierungsbedarf besteht, wird sich zeigen, wenn sich die neuen Strukturen etwas eingespielt haben.

BSZ: Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisierte, manche Lotsen seien ein verlängerter Arm der Behörden. Sehen Sie das genauso?

Lebrecht: Das kann ich nicht nachvollziehen. Uns werden keine Vorschriften gemacht, was wir zu tun haben. Auch die Schwerpunkte können relativ frei gewählt werden. Was auch wichtig ist, weil in jeder Kommune andere Gegebenheiten herrschen.

BSZ: Aber Ehrenamtliche unterscheiden nicht zwischen guter und schlechter Bleibeperspektive, Behörden schon.
Lebrecht: Das Zauberwort lautet Transparenz. Ich sage den Freiwilligen ehrlich, wo und wie ich unterstützen kann. Andererseits würde ich mich auch nicht verweigern, Ehrenamtlichen unter die Arme zu greifen, wenn sie Angebote machen, die auch von Geflüchteten mit geringer Bleibeperspektive besucht werden.

BSZ: Viele Ehrenamtliche sind resigniert. Gibt es noch genug freiwillige Helfer?
Lebrecht: Viele sagen, es werde immer schwieriger, ehrenamtliche Helfer für den Integrationsbereich zu finden. Das stimmt, liegt aber eher daran, dass die Situation „normal“ geworden ist. Jetzt müssen wir aktiv Ehrenamtsakquise betreiben wie bei allen anderen Ehrenamtsfeldern auch. 2015 und 2016 war das noch anders: Da hatten wir mehr Freiwillige als Einsatzmöglichkeiten.

BSZ: Wirken sich Vorfälle wie kürzlich die Übergriffe durch Flüchtlinge in Amberg auf ihre Arbeit aus?
Lebrecht: Das denke ich im ersten Moment immer. Um dann festzustellen, dass ich in meiner täglichen Arbeit davon nichts bemerke. Ich bin aber nur im Hintergrund tätig. Es kann sein, dass sich einzelne Helfer zurückziehen und ich es nicht mitbekomme.

BSZ: Und persönlich? Erhalten Sie oder das Sozialreferat Drohungen?
Lebrecht: Mittlerweile nicht mehr. 2015 und 2016 kam es verstärkt zu großem Missmut, aber nicht auf persönlicher Ebene. Nur auf unserer Facebook-Seite merkt man, dass es nach solchen Vorfällen Aufhänger für spezielle Ressentiments gibt – aber darunter ist nichts Persönliches.

BSZ: Können die Integrationslotsen dabei helfen, die Spaltung der Gesellschaft zu verringern?

Lebrecht: Unterstützung von Zivilgesellschaft fördert in meinen Augen immer den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir haben große Fortschritte gemacht. Seit 2016 ist unser Netzwerk stark gewachsen. Wer möchte, kann in Nürnberg jede Woche eine Fortbildung für Ehrenamtliche besuchen. Es gibt viele Materialien, und auch der Austausch untereinander ist durch die Vernetzungstreffen besser geworden. An manchen Stellen ist die Gesellschaft sicher so verhärtet, dass keine Verbesserung möglich ist. Grundsätzlich ist das Ehrenamt aber der Königsweg der Integration. (Interview: David Lohmann)

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