Soll man angesichts des Ukraine-Krieges und der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas deutsche Kernkraftwerke länger am Netz lassen? Diese Frage beschäftigt zurzeit viele, auch in Bayern. So plädiert die CSU dafür, zumindest das AKW Isar 2 noch länger zu betreiben. Das könnte insofern sinnvoll sein, weil rund 20 Prozent des in Deutschland genutzten Gases durch die Stromerzeugung verbraucht wird.
Auch andere EU-Staaten denken bereits über eine erweiterte Kernkraftnutzung nach. So hat Belgien beschlossen, wegen des Ukraine-Krieges den für 2025 beschlossenen Atomausstieg um zehn Jahre zu verschieben. Die sieben Meiler bleiben also weiter am Netz.
Ohnehin fällt auf, dass das Ausland kein großes Problem mit der Atomkraft hat. Während in Deutschland bis Jahresende die drei noch laufenden Kernkraftwerke Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen abgeschaltet werden sollen, will etwa Frankreich einen massiven Ausbau der Atomkraft vorantreiben. Sechs neue Atomkraftwerke sollten dort gebaut werden, die Errichtung von acht weiteren Kraftwerken bis 2050 wird geprüft. Dabei hat die Grande Nation bereits 56 Meiler in Betrieb, die knapp 70 Prozent des Stromes liefern.
Auch Tschechien will neuen Meiler bauen
Auch Bayerns unmittelbarer Nachbar Tschechien plant den Bau von mindestens einem neuen Atomkraftwerk. In Bulgarien und Finnland soll es ebenfalls jeweils ein neues geben. Großbritannien, Rumänien und Ungarn planen sogar jeweils zwei neue. Und Ägypten will vier neue Atomkraftwerke errichten. International fallen vor allem China, Russland und Indien auf. In der Volksrepublik sollen 35, in Russland 27 und in Indien 12 neue Meiler entstehen.
Wie es in Deutschland weitergeht, ist noch offen. Die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke liegt beim Bund. Eine zügige Änderung des Atomgesetzes wäre dazu nötig. Dieses schreibt vor, dass die Kernkraftwerke nach Erlöschen ihrer Betriebsberechtigung unverzüglich stillzulegen und abzubauen sind.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat schon mal vorgearbeitet und die Bundesnetzagentur um Prüfung gebeten, ob in Bayern auch dann noch eine sichere Stromversorgung gewährleistet ist, wenn das Kernkraftwerk Isar 2 Ende 2022 vom Netz geht „und wir gleichzeitig auch im Fall einer Gasmangellage möglicherweise die Gaskraftwerke nicht mehr in vollem Umfang nutzen können.“ Die Antwort steht noch aus. Vom Ergebnis dieser Prüfung hängt ab, ob Bayern tatsächlich eine Verlängerung der Laufzeiten der bestehenden beziehungsweise der vor Kurzem außer Betrieb genommenen Kernkraftwerke einfordern wird.
Im Ausland baut man im großen Stil neue Kernkraftwerke
Ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums betont, Sicherheitsbedenken stünden einem längeren Betrieb nicht entgegen. Isar 2 erfülle die Kriterien für einen sicheren Betrieb, auch über den 31. Dezember 2022 hinaus. Ebenso Block C des Kernkraftwerks Gundremmingen, der seit 31. Dezember 2021 abgeschaltet ist. Ein Weiterbetrieb beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme wären auch technisch möglich.
Dennoch sind umfangreiche Sicherheitsprüfungen nötig, die für den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke mit insgesamt 4300 Megawatt Leistung wichtig sind, betonen Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium. Stellt sich während dieser Prüfungen heraus, dass es Mängel gibt, müssen diese behoben werden. In dieser Reparaturphase läuft der betroffene Meiler nicht. Also besteht die Gefahr, dass man in Sachen Versorgungssicherheit nichts gewonnen hat. Ob die Berliner Ampel die Verlängerung angesichts dieser Konstellation durchwinkt, darf jedenfalls bezweifelt werden.
Ob die bestehenden AKW weiter laufen dürfte auch davon abhängen, wie schnell der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommt. Deshalb registriert man in Bayern mit Verdruss, dass das Bundeswirtschaftsministerium jetzt auch noch den Rückbau der Erdgasnetze fordert. Diese sind entscheidend dafür, dass Wasserstoff, der aus Ökostrom erzeugt wird, gespeichert und transportiert werden kann. Zahlreiche Verbände laufen zurzeit gegen dieses absurde Ansinnen Sturm.
Entlastung brächte der Weiterbetrieb der drei letzten deutschen Kernkraftwerke durchaus. Allerdings: Wer mit Gas oder Öl heizt, kann im nächsten Winter nicht mal schnell seine Heizanlage auf Strombetrieb umstellen.
(Ralph Schweinfurth)
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