Politik

Protestaktion der IG Metall in Roding: Continental will das Werk aufgrund der Schwäche der Automobilindustrie 2024 schließen. (Foto: dpa/Armin Weigel)

11.10.2019

"Das ist keine normale Krise, sondern ein Epochenwandel"

Bayerns IG-Metall-Chef Johann Horn über die Zukunft der Automobilbranche, die Gefahren des Transformationsprozesses und das Klimaschutzpaket der Bundesregierung

Bayerns Wirtschaft beginnt zu schwächeln. Gerade die Branchen der Metall- und Elektroindustrie haben mit den Herausforderungen des Klimawandels und der Mobilitäts- sowie Energiewende heftig zu kämpfen. Johann Horn, IG-Metall-Chef in Bayern, fordert die bayerische Staatsregierung auf, seine Gewerkschaft zu unterstützen – damit in der aktuellen Umbruchphase die Rechte der Arbeitnehmer nicht auf der Strecke bleiben.

BSZ: Herr Horn, Personalabbau im bayerischen Autobau ist nach Jahren des Booms längst keine Theorie mehr. Droht dem Freistaat in seiner Leitbranche eine Krise?
Johann Horn: Auf jeden Fall befinden wir uns in einem grundlegenden technologischen Wandel. Dazu kommen Abschwung, Brexit, Klimawandel sowie die Herausforderungen durch die Mobilitäts- sowie Energiewende. Gibt es dann auch noch hausgemachte Krisen, kann es tatsächlich zu einer Rezession kommen.

BSZ: Was könnte dagegen helfen?
Horn: Die Unternehmen müssen sich eine Strategie geben und darüber nachdenken, wie und mit welchen Produkten sie in Zukunft auf welchem Markt bestehen können. Und sie müssen investieren. Und zwar nicht nur in neue Technologien und Produkte, sondern auch in die Menschen und ihre Qualifizierung.

BSZ: Und die Zukunft heißt zum Beispiel Elektroautos?
Horn: Ja – für den Bau von E-Autos braucht man aber weniger Leute als für den Bau von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Das heißt, die Unternehmen müssen jetzt Mitarbeiter ausbilden und qualifizieren – und zwar für die jeweilige Strategie, mit der sie sich künftig am Markt behaupten wollen. Warten sie, bis die Rezession da ist, wird es kein Geld mehr für neue Strategien geben. Die Unternehmer sind es gewohnt, jede Menge Geld zu verdienen. Kommt eine Krise, baut man reflexartig Personal ab, statt eine Übergangslösung zu suchen und sich mit ein paar Prozent weniger Gewinn zufriedenzugeben. Leider fehlt es an Managern, die auch in der Krise in der Lage sind, zukunftsfähige Entscheidungen zu fällen.

BSZ: Wie nervös sind die Beschäftigten bereits?
Horn: Viele Kolleginnen und Kollegen machen sich große Sorgen. Sie sehen ja, dass sich gerade viel verändert. Beim eigenen Arbeitsplatz oder bei dem eines Kollegen. Sie sehen aber nicht, wo das Ganze hingehen soll. Diese Verunsicherung macht sich in den Unternehmen breit und das ist ein ganz großes Problem.

BSZ: Tritt die IG Metall angesichts der drohenden Krise künftig etwas zahmer auf?
Horn: Nein, im Gegenteil. Wir sind stark, auch weil unsere Mitgliederzahl zunimmt. Wir gehen das Thema mit Kraft an. Gemeinsam mit den Betriebsräten haben wir zum Beispiel die einzelnen Betriebe für die Erstellung eines Transformationsatlas unter die Lupe genommen. Wir wollten wissen, welche Zukunftskonzepte die Unternehmen haben und ob die Belegschaft informiert ist. Das Ergebnis ist bei vielen Unternehmen leider ernüchternd. Aber wir positionieren uns nicht nur gegenüber den Arbeitgebern stark, sondern auch gegenüber der bayerischen Staatsregierung. Denn sie muss die Rahmenbedingungen setzen, damit der Wandel gut funktioniert.

BSZ: Hören Sie dazu die richtigen Signale aus der Staatsregierung?
Horn: Leider herrscht immer noch die Ideologie vor, dass es der Markt schon richten wird. Wird er aber nicht. Die Umbauphase, die wir gerade erleben, ist keine normale Krise. Sie ist ein Epochenwandel. Kohle- und Kernkraftausstieg gelingen nur mit staatlicher Hilfe. Solch eine Begleitung brauchen wir auch in so einer wichtigen Branche wie der Automobilindustrie mit ihren vielen Zulieferern.

"Wir brauchen endlich ein Tariftreuegesetz"

BSZ: Sie fordern finanzielle Unterstützung?
Horn: Es geht nicht nur ums Geld. Das brauchen vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, um in dieser neuen Welt zurechtzukommen. Was wir von der Staatsregierung aber vor allem benötigen, ist die Unterstützung für unseren Kampf dafür, dass die Rechte der Arbeitnehmer in diesem Prozess nicht verloren gehen. Dazu gehört es zum Beispiel, Tarifverträge zu stärken. Wir brauchen ganz dringend ein Tariftreuegesetz. Öffentliche Aufträge müssen an die Auflage gekoppelt sein, dass Betriebe tarifgebunden sind. Denn immer mehr Unternehmen geben die Tarifbindung auf. In Bayern sind aktuell nur noch 60 Prozent der Beschäftigten in der Metall- und Elektrobranche im Tarifvertrag. Das ist viel zu wenig.

BSZ:
Wie zufrieden sind Sie mit Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler)?
Horn: Er müsste sich noch mehr einmischen. Sehr gut war aber seine Wortmeldung zur Standortschließung in Roding. Er sagte ganz deutlich, Continental könne nicht erst Gelder der Staatsregierung für die Errichtung eines Standorts einsammeln, um ihn dann einfach zu schließen.

BSZ: Wie könnte der Standort gerettet werden?
Horn: Dort stellen 540 Mitarbeiter Teile für Verbrennungsmotoren her. Das Unternehmen könnte dort zeigen, dass eine Umstellung auf Elektromotoren gelingen kann. Die Belegschaft wäre dazu bereit.

"IG Metall und AfD – das geht nicht zusammen"

BSZ: Die IG Metall hat sich bereits wiederholt zum Klimaschutz bekannt. Wie zufrieden sind Sie mit dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung?
Horn: Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos sehe ich einen Fortschritt, wenn auch nur einen kleinen. Leider fehlt das Thema Stromtrassen komplett. Was mir aber wirklich Sorge bereitet, ist, dass wir über Batterien für Millionen von E-Fahrzeugen reden, ohne zu wissen, was mit gebrauchten und kaputten Batterien passieren soll. Außerdem verliert die ganze Elektromobilität ihre Klimawirkung, wenn der Strom noch zu lange aus fossilen Energieträgern gewonnen wird.

BSZ: Es braucht also mehr Anstrengungen in der Forschung?
Horn:
Ja, und es braucht vor allem eine Technologiefolgeabschätzung, die den ganzen Herstellungsprozess betrachtet. Schauen Sie sich doch die E-Scooter an. Sie machen Spaß, ich habe es auch ausprobiert. Aber weil es kein Recyclingkonzept für sie gibt, werden sie einfach weggeschmissen. Eine CO2-Einsparung findet auch nicht statt, weil es erwiesenermaßen nicht die Autofahrer sind, die auf die Scooter umsteigen. Ihre Bilanz ist also verheerend, weil niemand vor der Erteilung der Zulassung eine Gesamtbetrachtung gemacht hat.

BSZ:
Ein anderes Thema: Nicht wenige Arbeitnehmer und Gewerkschaftsmitglieder haben ihr Kreuz bei vergangenen Wahlen bei der AfD gemacht. Wie geht man in der IG Metall damit um?
Horn: Das ist auch ein Ausdruck der großen Verunsicherung der Beschäftigten und sorgt uns sehr. Darüber haben wir auch beim Gewerkschaftstag in Nürnberg diskutiert. Die Werte der AfD sind mit denen der IG Metall überhaupt nicht vereinbar. Die AfD grenzt Menschen aus, stigmatisiert sie. Wir dagegen stehen für eine offene, tolerante und vielfältige Gesellschaft. Wir vertreten alle Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Weltanschauung.

BSZ: Wie geht man also mit AfDlern in den eigenen Reihen um?
Horn: Eine Satzungsänderung, die sie grundsätzlich ausschließen würde, kommt für uns nicht infrage. Wir wollen der AfD kein Futter für eine Diskussion darüber geben, dass die IG Metall nicht offen ist. Die Möglichkeit, Mitglieder, die der IG Metall Schaden zufügen und gegen unsere Werte verstoßen, auszuschließen, haben wir heute schon. Das hat auch der Gewerkschaftstag noch einmal bestätigt.

BSZ: Noch was ganz anderes zum Schluss: Wie fanden Sie eigentlich den Vorschlag von Juso-Chef Kevin Kühnert, dass man doch Großkonzerne wie BMW auch kollektivieren könnte?
Horn: Das ist für uns kein Thema. In unserer Satzung steht zwar noch, dass Schlüsseltechnologien vergesellschaftet werden können, damals ging es aber um die Montanunion, die Braun- und Steinkohleindustrie. Statt über Kollektivierung müssen wir heute über den Ausbau der Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Gewerkschaften in den Betrieben und Aufsichtsräten sprechen. In so einer Umbruchphase, wie sie gerade stattfindet, kommt es sonst zu Verwerfungen und damit zu sozialen Auseinandersetzungen. Am Ende haben wir auch in Deutschland Gelbwesten auf der Straße – und die AfD und andere freuen sich.
(Interview: Angelika Kahl)

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