Politik

Bisher können Jugendliche ihr Votum nur bei U18-Wahlen abgeben – diese sind unverbindlich und werden vom Kreisjugendring organisiert. (Foto: dpa/Puchner)

03.02.2023

Das Politikinteresse der Jugend wächst – was jetzt?

Eine parteiübergreifende Initiative will das Wahlalter auf 16 Jahre senken – dabei könnten Parteien junge Leute auch für ihre Jugendorganisationen begeistern und sie anhören

Nach Nichtraucherschutz, Studiengebühren und „Rettet die Bienen!“ bahnt sich in Bayern ein weiteres Volksbegehren an – und zwar zur Absenkung des Wahlalters bei Landtags- und Kommunalwahlen von 18 auf 16 Jahre. „Vote 16“ heißt das Bündnis, das sich dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben und laut Mitgründer Franz Wacker bereits Grüne, SPD, FDP und diverse Organisationen hinter sich geschart hat.

„Das Besondere an unserer Initiative ist, dass wir parteiübergreifend sind und viele verschiedene Gruppen mit im Boot haben“, sagt der Vorsitzende der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) in Bayern. Dem 23-Jährigen zufolge wird das Bündnis im Februar mit dem Sammeln der nötigen 25 000 Unterschriften beginnen. In den folgenden Monaten solle die Debatte übers Wählen ab 16, das andere Bundesländer bereits eingeführt haben, dann Fahrt aufnehmen, „pünktlich zur heißen Phase des Landtagswahlkampfs“, sagt Franz Wacker. Er glaubt, dass eine Absenkung des Wahlalters nur über ein Volksbegehren zu erreichen ist. Die CSU lehnt das Ansinnen ab und hat in den vergangenen Jahren diverse Vorstöße im Landtag blockiert.

Dass die Jugend in Bayern beim Thema Wahlrecht gerade jetzt ernst macht, kommt nicht von ungefähr. Vielmehr ist die Initiative nur einer von mehreren Fingerzeigen, die auf ein gestiegenes Interesse junger Menschen an der Politik hindeuten. Und: auf ihren Wunsch nach mehr politischer Teilhabe. Passend dazu lautet der Untertitel der jüngsten Shell Jugendstudie: „Eine Generation meldet sich zu Wort.“ Demnach interessieren sich 41 Prozent der 12- bis 25-Jährigen für Politik – deutlich mehr als noch bei früheren Untersuchungen.

Von Zukunftsangst geplagt

Und so erstaunt es nicht, dass bei der vergangenen Bundestagswahl die Wahlbeteiligung in keiner Altersgruppe so stark anstieg wie bei den unter 30-Jährigen. Darüber hinaus lässt sich auch auf kommunaler Ebene beobachten, dass die Zahl von Jugendräten, Jugendparlamenten und Jugendforen stetig zunimmt. Circa 120 solcher Jugendvertretungen gibt es inzwischen in Bayern.

Am augenfälligsten ist die Politisierung der Jugend jedoch abseits der Parlamente und Gemeinderäte. So waren es vor allem junge Menschen, die in den vergangenen Jahren unter anderem gegen strukturellen Rassismus, das neue EU-Urheberrecht und allen voran für eine andere Klimapolitik protestiert haben. Allein die Bewegung Fridays for Future brachte Hunderttausende Kinder und Jugendliche auf die Straße. Und auch die Mitglieder der Letzten Generation, die mit ihren Aktionen aktuell für Schlagzeilen sorgen, sind größtenteils jüngeren Alters.

Das Politikinteresse der Jugend allein auf den Klimawandel zu beschränken sei jedoch falsch, sagt Eva Feldmann-Wojtachnia. Sie leitet am Centrum für angewandte Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München die Forschungsgruppe Jugend und Europa. Feldmann-Wojtachnia betont: „Junge Menschen lassen sich nicht auf ein einziges Interessengebiet festnageln. Vielmehr zeigen Studien, dass sie sich für alle Themenbereiche interessieren – auch, wenn es beispielsweise um Sicherheitspolitik und die Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine geht.“ Grund für das gestiegene Interesse seien nicht zuletzt die Krisen der vergangenen Jahre, sagt Eva Feldmann-Wojtachnia. „Wir erleben eine wachgerüttelte Gesellschaft. Und gerade junge Menschen machen sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft.“

Diese Ängste der Jugend und ihre Unzufriedenheit mit der größtenteils von älteren Menschen geprägten Politik bestätigen auch Umfragen. So glauben laut einer Studie der Vodafone Stiftung nur 8 Prozent der 14- bis 24-Jährigen, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen. 75 Prozent erleben die Demokratie in Deutschland demnach als zu schwerfällig, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu lösen. Und: Weniger als ein Drittel der junge Menschen hat das Gefühl, Politik beeinflussen zu können.

Diese verbreitete Frustration über die eigene Machtlosigkeit verwundere ihn nicht, sagt Arif Tasdelen, jugendpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Zwar gebe es die Jugendverbände der Parteien, in denen sich einige junge Menschen engagieren. „Aber die große Masse ist von den politischen Prozessen komplett abgehängt, da gibt es null Berührungspunkte“, so Tasdelen. Wobei es auch an den Parteien liegt, junge Leute für ihre Jugendverbände zu begeistern.

Tasdelen kritisiert: Die Koalition aus CSU und Freien Wählern stehe auf der Bremse. „Es ist viel angekündigt worden, aber wenig passiert. Jugendpolitisch sind wir die letzten vier Jahre nicht vorangekommen, und das frustriert viele junge Menschen.“

Etwas anders sieht das der jugendpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Matthias Enghuber. Er verweist zum einen auf die Jugendverbände der Parteien, „wo man mitarbeiten kann und wirklich gehört wird“. Zum anderen habe die Staatsregierung im Vorjahr einen Fokus auf die politische Partizipation von Jugendlichen auf kommunaler Ebene gelegt. In der Folge seien vielerorts neue Jugendvertretungen gegründet worden. Dazu komme die Möglichkeit für junge Menschen, sich über Verbände und Vereine einzubringen, sagt Enghuber. Er ist überzeugt: „Mit dem Werkzeugkasten, den wir jetzt haben, kann ein großer Teil der Jugend erreicht werden.“

Anders klingt das bei Eva Lettenbauer, Vorsitzende der bayerischen Grünen und jugendpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. „Jugendliche in Bayern bleiben bei politischen Entscheidungen zu häufig außen vor“, moniert die 30-Jährige. Zwar gebe es Fortschritte wie die geplante Einführung von Jugend-Checks, wonach alle Gesetzesvorlagen auf ihre Auswirkungen speziell auf junge Menschen geprüft werden sollen. Doch insgesamt würden Kinder und Jugendliche immer noch zu wenig einbezogen in politische Entscheidungsprozesse, moniert Lettenbauer. „Wir sollten darauf achten, dass wir mit den jungen Menschen entscheiden – und nicht über sie hinweg.“

Tatsächlich fehle es oftmals an geeigneten Methoden und Formaten, um Kinder und Jugendliche bei politischen Entscheidungen mitreden zu lassen, kritisiert Expertin Eva Feldmann-Wojtachnia. Vieles beschränke sich auf Aktionismus und „Instant-Partizipation“, wie sie es nennt. „Da werden – gerne kurz vor einer Wahl – junge Leute angesprochen und nach ihrer Meinung gefragt. Doch was die Jugend wirklich will, ist dauerhaft mitreden und vor allem: mitentscheiden.“

Jungen Leuten zuhören

Um junge Menschen wirklich zu beteiligen, müsse man sie ernst nehmen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Außerdem brauche es Anreize, Begleitung und die Möglichkeit zur Projektarbeit. „Denn viele junge Menschen wollen sich heute nicht mehr dauerhaft an eine Partei oder Gruppierung binden“, sagt Eva Feldmann-Wojtachnia. Sie plädiert dafür, politische Bildungsarbeit breiter aufzustellen und in Institutionen zu verankern, allen voran in Schulen. „Denn da zeigt sich, dass das wirklich funktioniert und alle Jugendlichen angesprochen werden.“

Ob ein Absenken des Wahlalters dabei helfen könnte, junge Menschen im Freistaat besser einzubinden? „Aus meiner Sicht ist das ein überfälliger Schritt“, sagt Eva Feldmann-Wojtachnia. „Und es wäre auch ein aussagekräftiges Signal an die Jugend.“ Als Allheilmittel dürfe man das Wählen mit 16 jedoch nicht verklären, warnt die Expertin. Sie betont: „Ich würde mir wünschen, dass ein solcher Schritt einhergeht mit einem ganzen Paket zur politischen Bildungsarbeit.“ (Patrik Stäbler)
 

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