Politik

Immer wieder kam es zwischen Demonstranten und Polizei zu Auseinandersetzung - hier am 31. März 1986 am Bauzaun der geplanten Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. (Foto: Istvan Bajzat)

30.05.2019

Das WAA-Desaster und das Ende der Atomkraft

Als Energielieferant hat die Atomkraft in Deutschland bald ausgesorgt. In den 1980er Jahren hielten hingegen manche die Technik noch für zukunftsweisend. Doch eine kleine Oberpfälzer Gemeinde wurde zum Sinnbild des Scheiterns

Heute ist die Atomkraft in Deutschland nur noch ein Auslaufmodell, bis Dezember 2022 müssen die letzten Meiler abgeschaltet werden. Das Ende des Atomzeitalters in der Bundesrepublik wurde vor genau 30 Jahren eingeleitet. Am 31. Mai 1989 legten die Energiekonzerne ihren Plan, im oberpfälzischen Wackersdorf eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) zu bauen, zu den Akten.

Vorangegangen waren Jahre heftiger Auseinandersetzungen um das Projekt, zeitweise gab es am WAA-Gelände bürgerkriegsähnliche Zustände. Es gab Tausende Strafverfahren, Hunderte verletzte Demonstranten und Polizisten, und einige Menschen kamen bei den Aktionen am Bauzaun sogar ums Leben.

Die geplante Atomfabrik in Ostbayern polarisierte und spaltete in den 1980er Jahren die Gesellschaft. Zuvor war Ende der 70er Jahre schon ein entsprechendes Projekt in Niedersachsen am Widerstand gescheitert, denn ursprünglich sollte die WAA zusammen mit dem dort geplanten Atommüllendlager in Gorleben entstehen. Für die damals gewachsene Umweltbewegung, aus der auch die Partei der Grünen hervorging, wurde dann Wackersdorf einer der Brennpunkte des Widerstands. Auch andere technische Großprojekte wie der Main-Donau-Kanal oder die umstrittene Startbahn West des Frankfurter Flughafens mobilisierten in diesen Jahren die Massen.

In Wackersdorf wurde der Protest immer größer, nachdem ab 1985 im Taxöldener Forst fast 200 Hektar Baufläche gerodet und ein 4,8 Kilometer langer Sicherungszaun um das Gelände gezogen wurden. Zu Ostern 1986 wurde dort erstmals in der Bundesrepublik im großen Stil Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt.

"Bis heute warten die Menschen hier auf eine Entschuldigung der Staatsregierung"

Der Schwandorfer SPD-Landrat Hans Schuierer wurde zu einer der Galionsfiguren des Widerstands. Als sich Schuierer weigerte, die Baupläne für die Atomanlage zu unterzeichnen, änderte die CSU-Staatsregierung in München das Verwaltungsrecht. Das als "Lex Schuierer" bekannt gewordene Gesetz ermöglicht es seitdem dem Staat einzugreifen, wenn Landräte oder Bürgermeister trotz Weisung nicht tätig werden.

Doch die Zeit sollte dem widerspenstigen Sozialdemokraten Recht geben. Das Ende der WAA war einer der ersten großen Triumphe der Anti-Atom-Bewegung. "Bis heute warten die Menschen hier auf eine Entschuldigung der Staatsregierung", sagte der Altlandrat im vergangenen Jahr zum Erscheinen des Kinofilms "Wackersdorf". Schuierer ist die Hauptfigur in dem dokumentarischen Spielfilm.

Hubert Weinzierl, einer der Väter der deutschen Umweltbewegung, sieht die gescheiterte WAA als eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik an. "Es hat sich gezeigt, dass im Zweifelsfall das Volk das Sagen hat", sagte der Mitbegründer und damalige Chef des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) später einmal. "Wackersdorf war eine wichtige Erkenntnis für die deutsche Demokratie, es war ein Reifeschritt, und seither geht man auch anders miteinander um", betonte Weinzierl.

Ein Höhepunkt des Protestes wurde im Sommer 1986 das "Anti-WAAhnsinns-Festival" mit etwa 100 000 Menschen im nahen Burglengenfeld. Die gesamte deutsche Rock- und Pop-Elite - von Udo Lindenberg über BAP bis zu Herbert Grönemeyer - spielte damals, wenige Wochen nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, bei dem Open-Air-Festival auf. Das politische Megakonzert wurde so etwas wie das deutsche Woodstock.

Drei Jahre später war das Desaster für die Atomwirtschaft komplett. Die Konzerne hatten etwa 3,2 Milliarden Mark (1,63 Milliarden Euro) Investitionskosten in den Sand gesetzt. Die verbrauchten Brennelemente aus den deutschen Kernkraftwerken mussten dauerhaft zur Aufbereitung ins Ausland gebracht werden. Die Gemeinde Wackersdorf bekam quasi als Schmerzensgeld an Stelle einer Atomfabrik ein modernes Gewerbegebiet spendiert. Dort entstanden dann auch ohne die strahlenden Brennstäbe mehrere Tausend Arbeitsplätze.
(Ulf Vogler, dpa)

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