Politik

15.06.2022

Sozialer Pflichtdienst: Eine unsinnige Idee

Ein Kommentar von Tobias Lill

Die vergangenen zwei Jahre waren für Jugendliche keine leichte Zeit. Isolation statt Interrail, war das Motto gleich zweier Abiturjahrgänge. Schließlich galt es, Alte und Schwache zu schützen. Und wie dankt es die Politik den Jungen? Zumindest Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: Er schlägt einen sozialen Pflichtdienst in sozialen Einrichtungen oder bei der Bundeswehr vor. Die Menschen sollten sich „in den Dienst der Gesellschaft stellen“ und „aus der eigenen Blase rauskommen“, sagt das Staatsoberhaupt. Auch mehrere Unions- und SPD-Politiker forderten zuletzt eine De-facto-Wiedereinführung der Wehrpflicht und des Zivildiensts. Als Argumente für die Pflichtzeit dienen die angeblichen Vorteile für die Heranwachsenden: Die jungen Menschen könnten in andere Bereiche hineinschnuppern oder sich selbst finden, indem sie anderen helfen.

Soziale Arbeit muss attraktiver werden

Doch der tatsächliche Grund für die angedachte Zwangsbeglückung ist ein anderer: Der Personalmangel im sozialen Bereich ist eklatant. Mehrere Zehntausend Pflegekräfte fehlen bereits heute. Prognosen rechnen bis 2030 sogar mit einem Mehrbedarf von 300 000 Stellen. Und auch Erzieher*innen sind Mangelware. Einerseits könnte eine Pflichtzeit hier Lücken schließen. Andererseits, so die Hoffnung, könnten junge Menschen, die in Behinderteneinrichtungen oder Altenheimen ihre Dienstzeit verbringen, dort am Ende vielleicht dauerhaft arbeiten.

Doch wer mehr Menschen für die Pflege gewinnen will, sollte schlicht die dort üblichen miesen Löhne erhöhen und die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen verbessern. Der Zeitdruck ist dort enorm, Überstunden und Schichtdienst sind an der Tagesordnung. Wer junge Menschen für dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten gewinnen will, sollte vor allem die Konditionen für den Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) und vergleichbare Angebote verbessern. Nur 37 000 Frauen und Männer waren 2021 als Bufdis aktiv – Tendenz sinkend. Kein Wunder, dass es nicht mehr waren. Denn die jungen Menschen erhalten maximal ein paar Hundert Euro Taschengeld. In Bayern wird das Angebot so schlecht angenommen wie in fast keinem anderen Bundesland. Bund und Freistaat sollten hier dringend nachjustieren – und soziale Arbeit einfach besser bezahlen.

Kommentare (2)

  1. Leserin am 20.06.2022
    Der Kommentator macht sich leider gar nicht erst die Mühe, das Argument des Bundespräsidenten kritisch abzuwägen. Statt dessen wirft er einen (seinen) angeblichen Grund in die Runde und belegt diesen mit Totschlagargumenten. Schade, wenn ein wichtiger Vorschlag noch nicht mal ernsthaft reflektiert, sondern sofort mit Unterstellungen "argumentiert" wird. Verpasste Chance - geboren in der "Blase"?
  2. Tunneldenken am 19.06.2022
    Der Kommentar bestätigt eindrücklich, wie sehr das Tunneldenken inzwischen verbreitet ist. Statt sich mit dem eigentlichen Argument des Bundespräsidenten auch nur zu beschäftigen, zwingt der Kommentator den Leser*innen seine ganz eigene Interpretation auf und begründet diese mit moralischen Totschlargumenten. Schade, Chance auf kritisches Denken und Reflektieren wurde verschenkt.
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