JA
Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB Bayern
Arbeitszeitverkürzung steht seit jeher auf der gewerkschaftlichen Agenda. Während vor gut 100 Jahren der Achtstundentag erkämpft wurde und in den 1950er-Jahren unter dem Slogan „Samstags gehört Vati mir“ der arbeitsfreie Samstag zur Norm wurde, zeigen Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre, dass sich auch heute viele Beschäftigte kürzere Arbeitszeiten beziehungsweise mehr freie Zeit wünschen. Die aktuell vielfach diskutierte Viertagewoche sehen wir bei richtiger Ausgestaltung als folgerichtige Lösung an.
Unter keinen Umständen darf eine Viertagewoche jedoch zu einem Anstieg der täglichen Höchstarbeitszeit führen. Verschiedene Studien zeigen, dass nach etwa acht Stunden die Effektivität sowie die Konzentration deutlich nachlassen. Stattdessen nehmen Ermüdungserscheinungen zu und die Unfallgefahr steigt. Eine verkürzte Arbeitswoche führt bei den Beschäftigten dagegen zu verringerten Stresswerten und letztlich zu weniger Krankheitstagen, sie trägt also zum Gesundheitsschutz bei und wirkt sich positiv auf die Work-Life-Balance aus.
Davon profitieren auch die Unternehmen: Zum einen gelingt es dadurch vielen Fachkräften, auch tatsächlich bis zur Rente durchzuhalten. Zum anderen belegen Modellversuche, dass die Produktivität nach Stundenreduzierung durch das gesteigerte Wohlbefinden der Beschäftigten gleich blieb, zum Teil sogar anstieg. Auch aus gleichstellungspolitischer Perspektive sind kürzere Arbeitszeiten angezeigt. Noch immer ist Sorgearbeit deutlich öfter bei Frauen angesiedelt, noch immer arbeiten vor allem Frauen in Teilzeit. Mit einer „kurzen Vollzeit“ als neuem Standard in der Arbeitswelt wären die Bereiche Arbeit und Familie besser miteinander zu vereinbaren und Sorgearbeit könnte gerechter untereinander aufgeteilt werden.
Klar ist: Eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich bringt Kosten für die Arbeitgeber mit sich, aber sie bietet auch erhebliche Chancen. Der Weg bis dahin mag noch weit sein, aber es darf keine Denkverbote geben. Es ist an der Zeit, über neue Arbeitszeitmodelle nachzudenken, die die Wünsche der Beschäftigten berücksichtigen.
NEIN
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw Bayern
Nein. Eine gesetzliche oder tarifvertragliche Viertagewoche lehnen wir ab. Es gehört zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit, an wie vielen Tagen in einem Betrieb gearbeitet werden soll. Betrieblich ist die Viertagewoche heute schon möglich. Ich gebe aber zu bedenken: Wenn das Volumen der Wochenarbeitszeit lediglich von einer Fünftagewoche auf eine Viertagewoche umverteilt wird, führt dies zu einer Arbeitsverdichtung und damit in der Regel zu einer höheren Belastung der Beschäftigten und zu größerer Fehleranfälligkeit.
Für das produzierende Gewerbe ist das Modell einer Viertagewoche in jedem Fall sehr herausfordernd. Prozessabläufe würden komplizierter, man bräuchte neue Schichtsysteme und zusätzliches Personal, was in Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels nahezu unmöglich ist. Soweit es bei der Viertagewoche um eine Reduzierung des Wochenvolumens ohne gleichzeitige Absenkung des Entgelts geht, ist dies nichts anderes als eine deutliche Stundenlohnerhöhung. Dies verteuert die Arbeitskosten immens und beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Eine Viertagewoche bei gleichem Entgelt mag in einzelnen Unternehmen funktionieren, in den meisten aber nicht.
Viel wichtiger als die Diskussion über eine Viertagewoche ist es, grundsätzlich mehr Flexibilität im Arbeitszeitrecht zu erreichen. Bei der Gleitzeit können die Beschäftigten selbst über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit entscheiden, bei der Vertrauensarbeitszeit liegt die Arbeitszeitsouveränität fast vollkommen beim Einzelnen. Die Flächentarifverträge der bayerischen Metall- und Elektroindustrie bieten ebenfalls ein ganzes Bündel an Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung.
Erforderlich ist zusätzlich eine Aufhebung der täglichen Zehnstundengrenze, damit solche Modelle künftig noch besser funktionieren. Am Ende muss aber der Arbeitgeber entscheiden, wie viel Flexibilität mit den betrieblichen Notwendigkeiten vereinbar ist.
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